Leitsatz
Häufig erfolgt der Erwerb eines unbebauten Grundstücks und der Auftrag zur Bebauung mit einem Gebäude in zwei getrennten Verträgen. Diese beiden Verträge können aber durch einen rechtlichen Zusammenhang oder angesichts ihrer sachlichen Verknüpfung als Einheit anzusehen sein. Die Folge ist, dass beide Vorgänge als einheitlicher Leistungsgegenstand der Grunderwerbsteuer qualifiziert werden und damit Grunderwerbsteuer auch auf die Bauleistungen erhoben wird. Die dadurch eintretende doppelte Steuerbelastung für die Bauleistungen mit Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer könnte einen Verstoß gegen EU-Recht darstellen.
Sachverhalt
Die Grunderwerbsteuer (GrESt) erfasst als Verkehrssteuer im klassischen Fall Grundstücksumsätze. Die Umsatzsteuer (USt) ist ebenfalls eine Verkehrssteuer. Da aber Grundstücksumsätze im Regelfall nach § 4 Nr. 9a UStG steuerbefreit sind, wird damit eine Doppelbelastung mit GrESt und USt meist vermieden.
Bemessungsgrundlage für die GrESt ist die Gegenleistung für den Grunderwerb. Unerheblich ist dabei, ob die Gegenleistung für ein unbebautes oder ein bebautes Grundstück gezahlt wird. Deshalb ist es grunderwerbsteuerlich vorteilhaft ein unbebautes Grundstück zu erwerben und die Bebauung dann – rechtlich losgelöst vom Erwerb des Bauplatzes – vorzunehmen.
Sachverhalt 1:
A erwirbt einen Bauplatz zum Kaufpreis von 73.870 EUR und lässt später darauf ein Einfamilienhaus für 196.544 EUR erstellen. Für den Grundstückserwerb wird GrESt mit 3,5 % erhoben, dies sind 2.585 EUR.
Sachverhalt 2:
B erwirbt ein mit einem Einfamilienhaus bebautes Grundstück für 270.414 EUR. Auf den Grund und Boden entfallen 73.870 EUR, der Wert des Gebäudes beträgt 196.544 EUR. B hat 3,5 % GrESt aus 270.414 EUR = 9.464 EUR zu zahlen.
Sachverhalt
Der Urteilsfall betraf eine in der Praxis häufiger vorkommende Fallgestaltung. Ein Ehepaar hatte ein Bauunternehmen mit dem Bau eines Einfamilienhauses für 196.544 EUR beauftragt. Dabei wurde der Bauort im Bauvertrag festgelegt, denn die Eheleute hatten kurz darauf den Bauplatz für 73.870 EUR erworben. Insoweit ist der Fall durchaus mit dem obigen Beispiel 1 vergleichbar. Allerdings erfolgte der Grundstückserwerb von einer Grundstücksgesellschaft, an der auch der Gesellschafter-Geschäftsführer des beauftragten Bauunternehmens beteiligt war. Es lag bereits ein Bebauungsplan vor, in welchem das von den Eheleuten später beauftragte Bauunternehmen benannt war. Das Finanzamt hat, angesichts der Verflechtung und des Zusammenwirkens der beiden Unternehmen auf der Veräußererseite, einen einheitlichenLeistungsgegenstand angenommen. Die Rechtsfolge daraus entspricht dem obigen Beispiel 2: Gegenstand des Grunderwerbsvorgangs ist das bebaute Grundstück. Deshalb waren neben den Kosten für den Bauplatzkauf auch die noch anfallenden Baukosten in die Berechnung der GrESt einzubeziehen, sodass GrESt i. H. von 9.464 EUR festgesetzt wurde.
Entscheidung
Entscheidung
Die Steuerfestsetzung durch das Finanzamt entspricht der ständigen Rechtspraxis in Fällen mit einem sog. einheitlichen Vertragswerk. Dies wurde vom Bundesfinanzhof (BFH, Urteil v. 27.10.1999, II R 17/99, BStBl 2000 II S. 34) wie auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss v. 27.12.1991, 2 BvR 72/90, BStBl 1992 II S. 212) so gebilligt.
Allerdings sieht das Niedersächsische FG darin einen unzulässigen "Belastungscocktail". Die damit eintretende doppelte Steuerbelastung mit GrESt einerseits und USt auf die Bauleistungen andererseits, stellt nach Ansicht der Finanzrichter einen Verstoß gegen das Gebot des Art. 401 der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie (Richtlinie 2006/112 EG des Rats v. 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem) und seiner Vorgängervorschrift, Art. 33 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie (Richtlinie 77/388 / EWG v. 17.5.1977) dar. Danach sind umsatzsteuerliche Mehrfachbelastungen zu vermeiden.
Eine solche Doppelbelastung wird vom FG darin gesehen, dass es sich bei den besteuerten Bauleistungen zivilrechtlich nicht um einen Grunderwerb handelt. Die Grunderwerbsteuer auf diese Bauleistungen sei deshalb rechtlich als eine zusätzliche "Sonderumsatzsteuer" zu qualifizieren; sie wirke wie eine zusätzliche Umsatzsteuer auf die erbrachten Bauleistungen. Das Niedersächsische FG hat deshalb das Klageverfahren ausgesetzt und die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) zur Entscheidung vorgelegt.
Auswirkung für die Praxis
Hier könnte sich eine für die Steuerzahler positive Änderung der Besteuerung des Immobilienerwerbs in Deutschland ergeben. Zwar liegen keine konkreten Zahlen vor, jedoch sind schätzungsweise bis zu 40 % aller Grundstückserwerbe von den Auswirkungen des belastenden steuerrechtlichen Konstrukts des einheitlichen Leistungsgegenstand betroffen. Um eine Besteuerung der Bauleistungen zusätzlich zum Erwerb des unbebauten Grundstücks zu vermeiden, wurden bisher teilweise komplexe Gestaltungsvarianten empfohlen, deren rechtlich wirksame Umsetzung aber im Einzelfall auch misslingen konnte.
Auch ergab sich durch ...