Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren. Verbot der unmittelbaren oder mittelbaren Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung für die Regierung Russlands oder für in Russland niedergelassene juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen. Ausnahme betreffend die Erbringung von Dienstleistungen, die zur Gewährleistung des Zugangs zu Gerichts-, Verwaltungs- oder Schiedsverfahren in einem Mitgliedstaat unbedingt erforderlich sind. Beurkundung und Vollzug eines Immobilienkaufvertrags durch einen Notar. Unterstützung durch einen Dolmetscher im Rahmen einer solchen Beurkundung
Normenkette
Verordnung (EU) Nr. 833/2014 Art. 5n Abs. 2, 6
Beteiligte
Tenor
Art. 5n Abs. 2 Buchst. b der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren, in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
- –
- weder die Beurkundung eines Kaufvertrags über eine im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegene Immobilie, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, durch einen Notar dieses Mitgliedstaats,
- –
- noch die Handlungen dieses Notars zum Vollzug eines solchen beurkundeten Vertrags, um die auf dieser Immobilie ruhenden Belastungen zu löschen, den Kaufpreis an den Verkäufer auszuzahlen und im Grundbuch das Eigentum umzuschreiben,
- –
- noch die von einem Dolmetscher bei einer solchen Beurkundung erbrachten Übersetzungsleistungen zur Unterstützung des Vertreters dieser juristischen Person, der die im Beurkundungsverfahren verwendete Sprache nicht beherrscht,
unter das in dieser Bestimmung vorgesehene Verbot, einer solchen juristischen Person Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen, fallen.
Tatbestand
In der Rechtssache C-109/23 [Jemerak](
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Berlin (Deutschland) mit Entscheidung vom 16. Januar 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Februar 2023, in dem Verfahren
GM,
ON
gegen
PR
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2024,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von PR, vertreten durch Rechtsanwalt U. Karpenstein und Rechtsanwältin R. Sangi,
- – der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und N. Scheffel als Bevollmächtigte,
- – der estnischen Regierung, vertreten durch M. Kriisa als Bevollmächtigte,
- – der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und M. H. S. Gijzen als Bevollmächtigte,
- – der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- – der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,
- – des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Bishop und T. Haas als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Carpus Carcea, C. Georgieva und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 11. April 2024,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5n Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 des Rates vom 31. Juli 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts der Handlungen Russlands, die die Lage in der Ukraine destabilisieren (ABl. 2014, L 229, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2022/1904 des Rates vom 6. Oktober 2022 (ABl. 2022, L 259 I, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 833/2014).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen GM und ON, den Erwerbern einer in Berlin (Deutschland) belegenen Wohnung, die einer in Russland niedergelassenen juristischen Person gehört, auf der einen und PR, einem in Deutschland tätigen Notar, auf der anderen Seite wegen dessen Weigerung, den Kaufvertrag über diese Wohnung zu beurkunden und zu vollziehen, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass diese Beurkundung gegen Art. 5n Abs. 2 der Verordnung Nr. 833/2014 verstoße, der es verbiete, für in Russland niedergelassene juristische Personen Dienstleistungen im Bereich der Rechtsberatung zu erbringen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung (EU) Nr. 269/2014
Rz. 3
Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 6) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 476/2014 des Rates v...