Prof. Dr. rer. pol. Claudia Rademacher-Gottwald
Leitsatz
Die seit dem 1.1.2007 geltende Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz EStG, wonach Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte keine Werbungskosten mehr darstellen und erst ab dem 21. Entfernungskilometer wie Werbungskosten abzugsfähig sind (Härtefall), ist verfassungswidrig, da sie gegen den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG verstößt. Arbeitnehmer, die ihre Wohnung innerhalb von 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt haben, werden steuerlich schlechter gestellt als Arbeitnehmer, die weiter als 20 km entfernt wohnen. Das in der Gesetzesbegründung genannte Ziel der Haushaltskonsolidierung rechtfertigt die Neuregelung nicht.
Sachverhalt
Die Ehegatten erzielen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und machen in ihrem Antrag auf Lohnsteuerermäßigung 2007 einen Freibetrag für die Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte geltend. Bei der Berechnung des Freibetrags legten sie die tatsächliche Entfernung von 61 km zugrunde. Das Finanzamt wandte die Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG an und berücksichtigte nur eine Entfernung von 41 km. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Ferner lehnte das Finanzamt den Eintrag des Freibetrags im Wege der Aussetzung der Vollziehung ab.
Das FG gab der Klage und dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt und verpflichtete das Finanzamt dazu, den beantragten Freibetrag vorläufigauf der Lohnsteuerkarte einzutragen.
Nach Auffassung des FG verstößt die mit der Neuregelung verbundene Kürzung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für die ersten 20 Entfernungskilometer gegen das Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit und gegen das verfassungsrechtliche Gebot der gerechten Lastenverteilung. Die willkürlich erscheinende Streichung der Pendlerpauschale für die ersten 20 Entfernungskilometer führe zur Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die in unterschiedlicher Entfernung zu ihrem Arbeitsplatz wohnen. Benachteiligt würden insbesondere diejenigen Arbeitnehmer, die nicht weiter als 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen, da sie überhaupt keine Fahrtkosten mehr geltend machen können. Sachliche Gründe dafür seien nicht ersichtlich. Vielmehr erfolgte die Gesetzesänderung aus fiskalischen Gründen. Das Ziel der notwendigen Haushaltskonsolidierung rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht. Die Festlegung der 20 km-Grenze sei sachlich nicht begründet.
Nach dem Gesetzgeber sollen die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte der Privatsphäre zugeordnet werden, so dass erst am Werkstor die Berufsphäre beginnt. Dass jedoch Fahrtkosten ab dem 21. Entfernungskilometer zum Abzug zugelassen sind, widerspreche der konsequenten Umsetzung der Werkstortheorie. Für die Arbeitnehmer, die innerhalb von 20 km von ihrem Arbeitsplatz entfernt wohnen, gelte die Werkstortheorie, für die übrigen Arbeitnehmer hingegen nicht.
Die Kürzung der Entfernungspauschale verstoße gegen das objektive Nettoprinzip, das auf der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit beruhe. Danach dürfe nur das Einkommen besteuert werden, das dem Steuerpflichtigen nach Abzug seiner beruflich verursachten Aufwendungen verbleibt. Dazu gehörten auch die Aufwendungen für die Fahrten zur Arbeitsstätte. Es handele sich hierbei um Aufwendungen, die dem Steuerpflichtigen nicht freiwillig, sondern zwangsläufig entstünden. Die Neuregelung widerspreche den Grundprinzipien der Einkommensbesteuerung und verletze den Gleichheitssatz. Auf Grund der verfassungsrechtlichen Bedenken sei der beantragte Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.
Kommentar
Weitere Verfahren: Gegen den Beschluss des 7. Senats des FG ist die Beschwerde zum BFH zugelassen worden. Die Einlegung hat jedoch keine aufschiebende Wirkung, so dass das Finanzamt den beantragten Freibetrag eintragen muss. Dieser Beschluss ist nur wenige Tage nach dem Vorlagebeschluss des 8. Senats des Niedersächsischen FG an das BVerfG ergangen (Beschluss v. 27.2.2007, 8 K 549/06). Das BVerfG muss nun die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG prüfen (Az des BVerfG: 2 BvL 1/07).
In einem Musterverfahren der Haufe Mediengruppe hält auch das FG des Saarlandes die Neuregelung zur Entfernungspauschale für verfassungswidrig und lässt sie vom BVerfG prüfen (Beschluss v. 22.3.2007, 2 K 2442/06). Die Einschränkung der Pauschale verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG und den Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 GG. Denn in Fällen, in denen beide Ehegatten berufstätig sind, hänge die Wahl des Wohnsitzes nicht allein von privaten Erwägungen ab.
Das FG Baden-Württemberg hält dagegen die Kürzung der Entfernungspauschale als mit dem Grundgesetz vereinbar (Urteil v. 7.3.2007, 13 K 283/06). Der Gesetzgeber habe eine Systemänderung vorgenommen. Die Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zu der Privatsphäre sei mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn bei diesen Aufwendungen handele es sich nicht um originäre Werbungskosten. Das FG hat die Revision zum BFH zugelass...