Leitsatz

  1. Beim Verkauf von teilweise selbst zubereitetem Fingerfood wie Popcorn, Nachos, Süßigkeiten, Hot Dogs und Eis an den Verkaufstresen im Foyer eines Kinokomplexes überwiegt nicht der Dienstleistungscharakter, so dass diese Verkäufe nach der ab 2005 anzuwendenden Gesetzesfassung nicht als dem Regelsteuersatz unterliegende sonstige Leistungen, sondern als nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegende "Lieferungen" zu behandeln sind (gegen Finanzgericht Hamburg, Urteil v. 28.11.2006, 7 K 27/06[1]).
  2. § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 2005 ist nicht in vollem Umfang konform mit der 6. EG-Richtlinie.
 

Problematik

Die Beteiligten streiten im Wege der Sprungklage um die Frage, ob der Verkauf von Popcorn, Nachos (Tortilla-Chips) und Hot Dogs durch die Klägerin als sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 UStG dem Regelsteuersatz unterliegt.

Eine GmbH betreibt einen Kinokomplex, in dessen Eingangsbereich an Verkaufstheken Popcorn, Nachos, Süßigkeiten, Hot Dogs und Eis (als Fingerfood bezeichnet) verkauft werden. Die GmbH produziert das Popcorn aus Rohstoffen (Mais, Öl und Salz oder Zucker) auf Vorrat und füllt es aus offenen Wärmebehältern in der Verkaufstheke für die Kunden nach gewünschter Menge in dafür vorgesehene Papiertüten erwärmt ab. Hot Dogs und Nachos wurden erwärmt und unter Zugabe eines Dressings nach Wahl der Kunden aus einer Angebotspalette verkauft. Die übrigen Nahrungsmittel wurden nicht bearbeitet.

Abweichend von der Erklärung der GmbH setzte das Finanzamt nicht den ermäßigten Steuersatz von 7 %, sondern den Regelsteuersatz an. Die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle sei nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG eine sonstige Leistung (Sonstige Leistung, Tz. 2.1.). Seit dem 1.1.2005 unterliege der Verkauf von verzehrfertigen Speisen in sog. Multiplexkinos dem Regelsteuersatz. Diese Beurteilung beruhe auf der Auffassung, dass die Bestuhlung im Filmvorführsaal aufgrund der besonderen Verhältnisse auch zum Verzehr von Speisen bereitgehalten werde, so dass diese als besondere Vorrichtung zur Abgabe von Speisen zum Verzehr an Ort und Stelle im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG anzusehen sei.

 

Entscheidung des Finanzgerichts

Das Finanzgericht gab der Klage der GmbH statt und entschied, dass die Umsätze aus dem Verkauf von Fingerfood als Lieferung zu qualifizieren seien und folglich dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Anlage 2 unterlägen. Ein qualitatives Überwiegen des Dienstleistungselements sei nicht feststellbar. Ferner habe das Bereithalten des Fingerfoods keinen restaurationsartigen Charakter. Im Streitfall handle es sich um kein sog. Verzehrkino i.S. der BFH-Rechtsprechung.

Aus § 3 Abs. 9 Satz 4 und 5 UStG 2005 folge nichts anderes. Zwar möge die Abgabe von Speisen zum Verzehr innerhalb des Kinokomplexes grundsätzlich dafür sprechen, dass die GmbH eine Infrastruktur bereithält, die nicht notwendigerweise mit der Vermarktung von zubereiteten Speisen zusammenhänge. Der Wortlaut des § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG 2005 sei jedoch nicht in vollem Umfang richtlinienkonform[2]. Der deutsche Gesetzgeber darf insoweit nicht durch § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG eine Lieferung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie in eine sonstige Leistung (Dienstleistung) umqualifizieren.

Soweit nach dem Urteil des FG Hamburg v. 28.11.2006[3] die Abgabe von Popcorn und Nachos in Kinos im Rahmen einer Gesamtbetrachtung als sonstige Leistung im Sinne des § 3 Abs. 9 Satz 1 UStG zu behandeln ist, werde dem nicht gefolgt. Der Umstand, dass die Klägerin ihren Besuchern ein Gesamterlebnis "Kinovergnügen" bieten möchte, könne nicht dazu führen, die damit verbundene Schaffung einer angenehmen Umgebung maßgebend auch dem – insoweit selbstständigen – Verkauf von Fingerfood zuzurechnen und eine Dienstleistung anzunehmen, zumal keine besonderen Vorkehrungen getroffen worden seien, um den Kinobesuchern auch den Verzehr des Fingerfoods zu erleichtern und angenehm zu gestalten.

 

Konsequenzen für die Praxis

Die vorliegende Entscheidung und das angeführte "gegenteilige" Urteil des FG Hamburg belegen das umsatzsteuerrechtliche Dilemma, das dieser alltägliche Bereich den Betroffenen bietet. Mit welchem Steuersatz abgerechnet werden soll, wird insoweit nicht klarer gemacht. Dabei hat die BFH-Rechtsprechung im letzten Jahr zwar eine Reihe von Fällen unterschiedlicher Gestaltung entschieden. Eine endgültige praktische Bereinigung des Bereichs konnte aber offenbar nicht erreicht werden. Das könnte an dem wohl nicht klar erkennbaren Regelungszweck der Ermäßigung liegen.

Nach der umsatzsteuerrechtlich maßgebenden Abgrenzung der Lieferung von Speisen einerseits und der Darreichung zubereiteter Speisen als Dienstleistung andererseits – wie sie vom BFH nach den EuGH-Grundsätzen vorgenommen wird – steht eine mit der Verabreichung verbundene Dienstleistung – soweit sie nur die bloße Vermarktung des Nahrungsmittels betrifft – der Annahme einer Lieferung nicht entgegen (Beispiele: der Pizza-Heimservice bzw. der Verkau...

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