Leitsatz
Verkauft ein Anleger im Wert gesunkene Wertpapiere innerhalb der Spekulationsfrist zur steuerlichen Realisierung der Spekulationsverluste und kauft er am selben Tag Wertpapiere derselben Art in derselben Anzahl zurück, stellt dies nach Ansicht des FG Baden-Württemberg keinen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO dar. Die Realisierung von Verlusten sei notwendige Folge eines an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Steuersystems und damit kein rechtfertigungsbedürftiges Privileg. Auch die speziellen Regelungen zum Verlustausgleich in § 23 EStG sollen danach keine Anhaltspunkte liefern, die einen Wiederankauf von Wertpapieren nach der Realisierung von Spekulationsverlusten als Steuerumgehung erscheinen lassen.
Kommentar
Sachverhalt
Der Steuerpflichtige hatte im Jahr 2000 am selben Tag zwei Bestände an Wertpapieren veräußert, die erheblich im Kurswert gesunken waren. Bei beiden Wertpapierbeständen war die einjährige Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG noch nicht abgelaufen. An demselben Handelstag wurden beide Wertpapiere in derselben Anzahl wie die veräußerten Wertpapiere wieder zurückgekauft.
Das Finanzamt erkannte die geltend gemachten Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nicht an. Der Ver- und Ankauf der Wertpapiere am selben Tag und in derselben Anzahl zur Realisierung von Spekulationsverlusten innerhalb der Spekulationsfrist sei ein Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO.
Entscheidung
Nach Auffassung des FG Baden-Württemberg ist die verlustrealisierende Veräußerung von Wertpapieren auch dann nicht als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten anzusehen, wenn ein identischer Bestand an Wertpapieren an demselben Tag zurückgekauft wird. Das Finanzgericht stellt für seine Entscheidung vorrangig darauf ab, dass nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG für die Besteuerung von privaten Veräußerungsgeschäften bei Wertpapieren allein maßgeblich ist, dass ein Wirtschaftsgut innerhalb eines bestimmten Zeitraums angeschafft und veräußert worden ist. Auf die Motivation und die Absichten des Steuerpflichtigen komme es nicht an. Stehe wie im entschiedenen Fall fest, dass er eine bestimmte Art und Stückzahl von Wertpapieren innerhalb der Jahresfrist an- und verkauft hat, sei der Besteuerungstatbestand erfüllt. Der anschließende Rückkauf der Wertpapiere kann den verwirklichten Steuertatbestand nicht rückwirkend beseitigen.
Der einmal erfüllte Steuertatbestand entfalte insoweit eine Zäsurwirkung und lasse für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise keinen Raum. Dies gelte auch dann, wenn der Wiederankauf der Wertpapiere von vornherein geplant gewesen ist. § 23 EStG frage für die Steuerpflicht nicht nach den Gründen für die Veräußerungsgeschäfte des Steuerpflichtigen. Es bedürfe daher auch keiner außersteuerlichen Gründe, um eine Verlustnutzung steuerlich anzuerkennen.
Bei der Geltendmachung der Verluste sei zusätzlich zu berücksichtigen, dass Verluste typischerweise aus rein steuerlichen Gründen realisiert werden. Ihre Ausnutzung sei kein besonderes, rechtfertigungsbedürftiges Privileg, sondern notwendige Folge eines an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Steuersystems. Der Steuerpflichtige kann Verluste mit steuerlicher Wirkung nur entstehen lassen, wenn er sie innerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Veräußerung realisiert. Die Vorschrift räumt nach Auffassung des Finanzgerichts dem Steuerpflichtigen damit die Möglichkeit ein, durch die Wahl des Veräußerungszeitpunkts über den Eintritt des Steuertatbestands zu entscheiden und damit sein Grundrecht der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in Anspruch zu nehmen. Räumt das Gesetz selbst dem Steuerpflichtigen ein Gestaltungsrecht hinsichtlich des Eintritts eines Steuertatbestands ein, kann nach Auffassung des Finanzgerichts allein die Ausübung dieses Gestaltungsrechts nicht als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten angesehen werden.
HINWEIS
Das Finanzgericht widerspricht der Entscheidung des FG Schleswig-Holstein v. 14.9.2006 (5 K 286/03, EFG 2007 S. 192). Allerdings entspricht es im Ergebnis dem Tenor des Urteils des FG Münster v. 14.3.2007 (10 K 3380/04 E, EFG 2007 S. 1024). Gegen dieses Urteil ist eine Revision vor dem BFH anhängig, deren Ausgang im Einzelfall abgewartet werden muss.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil v. 1.8.2007, 1 K 51/06; Rev. eingelegt, Az. beim BFH: IX R 55/07.