Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Leitsatz
Verwendet der Unternehmer einen Gegenstand für vorsteuerabzugsberechtigende und für nicht vorsteuerabzugsberechtigende Ausgangsleistungen, muss eine Vorsteueraufteilung nach § 15 Abs. 4 UStG erfolgen. Dabei ist grundsätzlich ein wirtschaftlich vertretbarer Aufteilungsmaßstab zugrunde zu legen, hilfsweise kann die Aufteilung auch im Rahmen einer sachgerechten Schätzung vorgenommen werden. Mit Wirkung zum 1.1.2004 wurde aber einschränkend geregelt, dass eine Aufteilung nach Ausgangsumsätzen nur dann zulässig ist, wenn keine andere wirtschaftliche Zuordnung möglich ist. Diese Einschränkung hält das Niedersächsische Finanzgericht für nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Problematik
Die Klägerin errichtete in den Jahren 2003 und 2004 ein steuerfrei und steuerpflichtig genutztes Gebäude. In 2003 teilte die Klägerin die Vorsteuer entsprechend der erwarteten Ausgangsumsätze auf, dieser Aufteilungsmaßstab wurde so auch in 2004 beibehalten.
Das Finanzamt setzte ab 2004 die Vorsteuer im Verhältnis der steuerfrei und steuerpflichtig vermieteten Flächen fest und nahm für 2003 eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG vor.
Entscheidung des Finanzgerichts
Das Niedersächsische FG sah die Klage in seinem Urteil vom 23.4.2009 als begründet an. Nach Auffassung des FG verstößt die Beschränkung des § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG gegen das Gemeinschaftsrecht, sodass der Unternehmer auch in 2004 die Aufteilung der Vorsteuerbeträge im Verhältnis seiner Ausgangsumsätze vornehmen kann.
Das Gemeinschaftsrecht sieht nach Auffassung des FG den Umsatzschlüssel als Regelaufteilungsmaßstab für die Vorsteueraufteilung vor. Damit ist nicht vereinbar, dass eine nationale Regelung wie § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG den Umsatzschlüssel nur als subsidiären Aufteilungsmaßstab zulässt. Der Unternehmer kann sich damit auf das für ihn günstigere Gemeinschaftsrecht berufen. Wegen der Bedeutung der Sache wurde Revision zugelassen.
Konsequenzen für die Praxis
Es war abzusehen, dass sich der BFH mit dieser Frage eines Tages auseinandersetzen muss. Da es sich um einen vielfach in der Praxis auftretenden Sachverhalt handelt und auch eine hinreichend große Auswirkung auf den Umfang der Vorsteuerabzugsberechtigung vorhanden ist, kann sich hier wieder ein für die Bundesrepublik Deutschland teurer Rechtsstreit ergeben.
Es ist zu vermuten, dass der BFH sich entweder der Rechtsauffassung des FG anschließen oder die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorlegen wird. Die Chancen der betroffenen Unternehmer stehen damit gut, von einem günstigeren Aufteilungsmaßstab zu profitieren. Allerdings sind auch immer negative Überraschungen möglich.
Was soll nun ein Unternehmer derzeit tun, wenn er eine Immobilie errichtet und für gemischte Ausgangsumsätze nutzt? Die Finanzverwaltung wird ihm in der derzeitigen Situation noch keine Aufteilung im Verhältnis eines Umsatzschlüssels gewähren.
In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass nach der ständigen Rechtsprechung ein einmal gewählter – zulässiger – Aufteilungsmaßstab auch für die Zukunft der verbindliche Aufteilungsmaßstab für die Vorsteuer bleibt.
Da die Vorsteueraufteilung im Verhältnis der zu den unterschiedlichen Zwecken genutzten Flächen selbstverständlich ein zulässiger Aufteilungsmaßstab ist, wird es fraglich sein, ob ein Unternehmer, der diesen Aufteilungsmaßstab einmal gewählt hat, auch bei gerichtlicher Anerkennung des Umsatzschlüssels seinen individuellen Aufteilungsmaßstab ändern kann. In diesen Fällen wäre es zwar wünschenswert, dass dann nicht auf einem einmal gewählten Aufteilungsmaßstab beharrt wird. Ob aber eine solche Regelung von der Finanzverwaltung – bei positivem Ausgang des Revisionsverfahrens – getroffen wird, ist wohl nur wenig wahrscheinlich.
Zu beachten ist auch, dass nach der Rechtsprechung des BFH bei der Errichtung eines Gebäudes die Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach einem einheitlichen Verfahren aufzuteilen sind. Eine Zuordnung einzelner Baukosten zu einzelnen Bauteilen kommt nicht mehr in Betracht.
Dem Unternehmer bleibt damit eigentlich nur ein Weg: Soweit die Aufteilung nach einem Umsatzschlüssel für ihn vorteilhaft ist, sollte er seine Vorsteuern entsprechend diesem Aufteilungsschlüssel ermitteln. Unter Hinweis auf das FG-Urteil und unter Berufung auf Art. 173 MwStSystRL sollte dies dann der Finanzverwaltung dargelegt werden. Davon wahrscheinlich abweichende Bescheide sollten unter Hinweis auf das anhängige Verfahren vor dem BFH offen gehalten werden.
Link zur Entscheidung
Niedersächsisches FG, Urteil v. 23.4.2009, 16 K 271/06