Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonstiges Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Werbungskosten-Pauschbetrag gemäß § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) steht, wenn beide Ehegatten eine Rente beziehen, jedem von ihnen zu.
Bei der Auslegung eines Gesetzes entgegen seinem Wortlaut ist besondere Zurückhaltung geboten, wenn anderenfalls eine Verschärfung der Besteuerung eintreten würde.
Normenkette
EStDV § 14 Abs. 1 Ziff. 3; EStG § 9; StAnpG § 1 Abs. 2; EStG § 9a Ziff. 3
Tatbestand
Der Beschwerdegegner (Bg.) bezog 1952 neben Einkünften aus Gewerbebetrieb und aus Kapitalvermögen eine Rente aus der Angestelltenversicherung von 1.106,40 DM. Seine Ehefrau bezog auch eine solche Rente von 654 DM. Das Finanzamt ließ bei der Zusammenveranlagung der Ehegatten zwar den Freibetrag von 600 DM nach § 3 Ziff. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1951 für jeden Ehegatten zum Abzug zu; dagegen setzte es den Werbungskosten- Pauschbetrag nach § 14 Abs. 1 Ziff. 3 der Einkommensteuer- Durchführungsverordnung (EStDV) 1951 nur einmal ab. Im Einspruchsverfahren gewährte der Steuerausschuß jedem Ehegatten den Werbungskosten-Pauschbetrag, bei der Ehefrau jedoch nur in Höhe des steuerpflichtigen Teils der Rente (54 DM). Der Vorsteher des Finanzamts drang mit seiner Berufung, die sich auf Abschn. 81 Abs. 2 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) 1951 stützte, nicht durch. Das Finanzgericht lehnte die Anwendung dieser Verwaltungsanweisung, nach welcher der Pauschbetrag für Werbungskosten in Fällen der Haushaltsbesteuerung nur einmal abgesetzt werden könne, als mit dem Gesetz nicht in Einklang stehend ab.
In der Rechtsbeschwerde erstrebt der Vorsteher des Finanzamts eine dem Steuerbescheid entsprechende Behandlung.
Der Bundesminister der Finanzen hat im Rechtsbeschwerdeverfahren zu der Frage unter Berücksichtigung der Rechtslage, die durch die übernahme der bisher in den Durchführungsbestimmungen enthaltenen Pauschbetragsregelung in das Gesetz selbst (§ 9a EStG 1955) geschaffen wurde, Stellung genommen. Seine Stellungnahme liegt zeitlich vor Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts betreffend die Nichtigkeit des § 26 EStG 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl - 1957 I S. 193). Der Bundesminister der Finanzen hält nur den einmaligen Abzug für gerechtfertigt. Er führt dazu im wesentlichen aus: äußerlich sei der Pauschbetrag eine den Nachweis von Werbungskosten entbehrlich machende Vereinfachungsmaßnahme. Der Sache nach sei er aber überwiegend ein tariflicher Freibetrag, weil im Gegensatz zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und aus wiederkehrenden Bezügen im Sinne des § 22 Ziff. 1 EStG nicht allgemein davon ausgegangen werden könne, daß dem Steuerpflichtigen in der Regel Werbungskosten in Höhe des Pauschbetrags erwüchsen; sie lägen vielmehr erheblich unter dem Pauschbetrag. Dieser überwiegend tarifliche Charakter ergebe sich hinsichtlich des bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen abzuziehenden Pauschbetrags eindeutig aus der Vorschrift des § 9a Ziff. 2 EStG 1955. Hiernach werde der Pauschbetrag nur gewährt, wenn die Einnahmen aus Kapitalvermögen 1.500 DM nicht überstiegen und das Einkommen nach Abzug des Pauschbetrags nicht mehr als 6.000 DM betrage. Diese Grenzen ließen sich aus der Funktion des Pauschbetrags, Werbungskosten abzugelten, nicht erklären, sondern nur aus der Zielsetzung, die Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen bei Steuerpflichtigen mit niedrigem Einkommen zu mildern. Blümich bezeichne deshalb in der dritten Auflage seines Kommentars - Anm. 4 zu § 9 EStG 1938 - den Werbungskosten-Pauschbetrag bei Einkünften aus Kapitalvermögen als "Kleinrentner-Vergünstigung". Sei hiernach dem in § 9a EStG 1955 bezeichneten Pauschbetrag in erster Linie tarifliche Bedeutung beizumessen, so könne er im Fall der Zusammenveranlagung der Ehegatten auch dann nur einmal gewährt werden, wenn jede in die Zusammenveranlagung einbezogene Person Einnahmen aus Kapitalvermögen oder aus wiederkehrenden Bezügen im Sinne des § 22 Ziff. 1 EStG 1955 habe. Man sei auch bei den gesetzgeberischen Arbeiten zu dem Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 davon ausgegangen, daß der in § 9a Ziff. 2 und 3 EStG 1955 bezeichnete Pauschbetrag in den Fällen der Haushaltsbesteuerung nur einmal abgezogen werden könne. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 EStDV 1951 (EStDV 1953), die im wesentlichen der des § 9a Ziff. 2 und 3 EStG 1955 entspreche, könne nicht anders ausgelegt werden. Der darin bezeichnete Pauschbetrag solle über die Vereinfachung hinaus vornehmlich der Milderung der Besteuerung dienen.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts ist nicht begründet.
Der Bundesminister der Finanzen folgt in übereinstimmung mit Abschn. 86 Abs. 2 EStR 1955 der Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 325/54 U vom 3. November 1955 (Slg. Bd. 61 S. 495, BStBl 1955 III S. 390), wonach, wenn beide Ehegatten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit haben, bei der Zusammenveranlagung jedem Ehegatten der Werbungskosten-Pauschbetrag gemäß § 14 Abs. 1 Ziff. 1 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 1 EStG 1955) zusteht. Er will aber bei § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) nicht in gleicher Weise verfahren, weil es sich sachlich um eine Tarifmilderung, nicht um eine echte Werbungskostenpauschalierung handele.
Der Senat tritt dieser Auffassung nicht bei. Bei der Schaffung der Vorschrift sind gewiß die vom Bundesminister der Finanzen angeführten sozialpolitischen Erwägungen bestimmend gewesen; es war an eine Tarifmilderung vorwiegend für Sozialrentner durch Gewährung eines Pauschbetrags für Werbungskosten gedacht, obgleich gewöhnlich in solchen Fällen keine Werbungskosten entstehen. Im Gesetz ist das aber nicht so zum Ausdruck gekommen. § 14 EStDV 1953 und § 9a EStG 1955 tragen die überschrift: "Pauschbeträge für Werbungskosten". Die Fassung des § 14 Abs. 1 Ziff. 1 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 1 EStG 1955) weicht im entscheidenden Punkt nicht von der des § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) ab. Ein Gesetz ist grundsätzlich nach seinem Wortlaut auszulegen, es sei denn, daß diese Auslegung dem Willen des Gesetzgebers offensichtlich widersprechen und zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen würde. Der Bundesfinanzhof hat wiederholt ausgesprochen, daß bei der Abweichung vom Wortlaut eines Gesetzes besondere Zurückhaltung geboten ist, wenn andernfalls eine Verschärfung der Besteuerung eintreten würde (Urteile des Bundesfinanzhofs VI 125/56 U vom 6. September 1957 - Slg. Bd. 65 S. 403, BStBl 1957 III S. 387 -, VI 59/55 U vom 31. Oktober 1957 - BStBl 1958 III S. 24 -, I 285/56 U vom 7. Mai 1957 - Slg. Bd. 65 S. 82, BStBl 1957 III S. 264 -). Die Steuerpflichtigen dürfen darauf vertrauen, daß die Steuergesetzes so gefaßt sind, daß sie den wirklichen Willen des Gesetzgebers zum Ausdruck bringen. Es mag Fälle geben, in denen die Auslegung eines Gesetzes gegen seinen Wortlaut so zwingend ist, daß bei vernünftiger überlegung eigentlich niemand das Gesetz anders auffassen kann. Diese Fälle werden aber selten sein. Würde die Rechtsprechung allzu leicht vom Wortlaut einer Bestimmung abweichen, so könnte das zur Rechtsunsicherheit führen. Die Abweichung wäre besonders bedenklich, wenn möglicherweise Steuerpflichtige im Vertrauen auf den Wortlaut eines Steuergesetzes Dispositionen getroffen haben. Wenn die Steuergerichte sich bei Auslegung der Steuergesetze, vor allem zuungunsten der Steuerpflichtigen, zu leicht vom Wortlaut lösen würden, so könnte darunter auch das Vertrauen in die Gesetzgebung und in die Objektivität der Rechtsprechung leiden. Es entspricht einer vernünftigen Interessenabwägung, in einem demokratisch- parlamentarischen Staat, in dem die Gesetzgebung und die Verwaltung die Gesetze und Durchführungsverordnungen erlassen, das Risiko unklarer Fassung nicht durch leichtherzige Abweichung vom Wortlaut einseitig auf die Steuerpflichtigen zu verlagern. Bringt die Fassung eines Gesetzes das, was gesagt werden soll, nicht zum Ausdruck, so muß in der Regel der Gesetzgeber das Gesetz ändern und es so fassen, daß es für die Zukunft seinen Willen klar wiedergibt.
Die Auslegung des § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) nach seinem Wortlaut ergibt im übrigen einen durchaus vernünftigen Sinn. Stellt man mit dem Bundesminister der Finanzen den sozialpolitischen Zweck der Bestimmung in den Vordergrund, so liegt es nahe, bei Sozialrentner-Ehegatten - und Sozialrenten kommen für § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) hauptsächlich in Betracht - den Werbungskosten-Pauschbetrag doppelt zu gewähren, da es sich im allgemeinen um wirtschaftlich schwache Steuerpflichtige handelt.
Die Auslegung des § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 (§ 9a Ziff. 3 EStG 1955) darf nicht, wie der Bundesminister der Finanzen will, mit der Ziff. 2 a. a. O. gekoppelt werden, weil der Wortlaut der Ziff. 2 insofern anders ist, als eine Einkommensgrenze festgesetzt ist. Wegen der Auslegung von Ziff. 2 wird auf die gleichzeitig ergehende und ebenfalls zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Entscheidung VI 19/56 U hingewiesen.
Die Vorinstanzen haben den Abzug des Werbungskosten- Pauschbetrags bei der Ehefrau nach § 14 Abs. 1 Ziff. 3 EStDV 1953 zutreffend auf den Betrag der verbleibenden Einkünfte von 54 DM beschränkt (Urteil des Bundesfinanzhofs IV 561/53 U vom 2. September 1954, Slg. Bd. 59 S. 237, BStBl 1954 III S. 302).
Wenn demnach die Rechtsbeschwerde des Vorstehers des Finanzamts im Streitpunkt auch unbegründet ist, so müssen die Vorentscheidung und die Einspruchsentscheidung trotzdem aufgehoben werden, damit die Veranlagung nach dem inzwischen erlassenen Gesetz vom 26. Juli 1957 durchgeführt wird (vgl. Urteil des Senats VI 33/56 U vom 31. Oktober 1957, Slg. Bd. 65 S. 520, BStBl 1957 III S. 433).
Fundstellen
Haufe-Index 409016 |
BStBl III 1958, 207 |
BFHE 1958, 539 |
BFHE 66, 539 |