Finanzmarktintegrität: Neuregelungen zum 1.7.2021
In Reaktion auf den Fall Wirecard hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität ( Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetz - FISG) den Versuch unternommen, offensichtlich gewordene Schwachstellen in der Überwachung von kapitalmarktorientierten Unternehmen zu beseitigen. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 28.5.2021 zugestimmt, die meisten Regelungen treten damit zum 1.7.2021 in Kraft, einige wenige erst zum 1.1.2022.
Der Gesetzgeber hat die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarktes für die deutsche Wirtschaft und für den Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland als von zentraler Bedeutung erkannt und festgestellt, dass die Manipulationen der Bilanzen von Kapitalmarktunternehmen das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt erschüttert hat, was sich klar auf den Fall Wirecard bezieht. Ziel des Gesetzes ist insbesondere die Stärkung der Bilanzkontrolle und die weitere Regulierung der Abschlussprüfung, um die Richtigkeit der Rechnungslegungsunterlagen von Unternehmen sicherzustellen. Dazu werden die Vorstände, Aufsichtsräte und Abschlussprüfer gerade – aber nicht nur bei kapitalmarktorientierten Unternehmen sowie Kreditinstituten und Versicherungen stärker in die Pflicht genommen und die Befugnisse der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) bei der Bilanzkontrolle deutlich ausgeweitet. Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) als vorgelagerte Enforcementinstanz wird abgeschafft. Die Maßnahmen sollen der Wiederherstellung und dauerhafte Stärkung des Vertrauens in den deutschen Finanzmarkt dienen.
BaFin soll Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen erhalten
Konkret wird das bisherige zweistufige, auf freiwillige Mitwirkung der geprüften Unternehmen ausgerichtete Bilanzkontrollverfahren abgeschafft und die bisherigen Aufgaben der DPR in ein stärker staatlich-hoheitlich geprägtes Bilanzkontrollverfahren integriert. Bis zum Ablauf des 31.12.2021 nicht abgeschlossene Prüfungen der DPR werden von der BaFin fortgeführt. Zukünftig soll die BaFin bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar mit hoheitlichen Befugnissen gegenüber Kapitalmarktunternehmen auftreten können. Dazu hat der Gesetzgeber der BaFin ein Prüfungsrecht gegenüber allen kapitalmarktorientierten Unternehmen eingeräumt. Der neue § 107 Abs. 5 S. 2 WpHG erlaubt der BaFin konkret, die Organmitglieder und Beschäftigen des geprüften Unternehmens sowie dessen Abschlussprüfer zu laden und zu vernehmen, soweit dies zur Wahrnehmung der Aufgaben der BaFin bei der Prüfung von Unternehmensabschlüssen und -berichten erforderlich ist. Mit dem neuen § 107 Abs. 7 WpHG wird ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmerecht geschaffen, das ebenfalls gegenüber Dritten gilt. Bedienstete der BaFin dürfen danach Geschäfts- und Wohnräume durchsuchen. Zudem wurde der BaFin das Recht eingeräumt, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen bei der Bilanzkontrolle zu informieren. Dies ermögliche der BaFin die Kontrolle über das Prüfungsgeschehen und stelle sicher, dass in allen Prüfungsphasen hoheitliche Mittel zur Verfügung stünden. Die Bilanzkontrollen würden damit insgesamt schneller, transparenter und effektiver, wobei allerdings kritisch anzumerken ist, dass gerade die BaFin in dem auslösenden Fall Wirecard selber keine gute Figur gemacht hat und es daher fraglich ist, woher nun die offenbar fehlenden Kompetenzen in der Kürze der Zeit kommen sollen.
Verpflichtende Prüferrotation und Pflicht zur Trennung von Prüfung und Beratung
Bezüglich der Abschlussprüfung werden die bisherigen Erleichterungen auf Basis der Mitliedstaatenwahlrechte der Abschlussprüfer-Verordnung gestrichen. Damit gilt die Verordnung ohne Einschränkungen, so dass für Kapitalmarktunternehmen eine verpflichtende externe Prüferrotation nach zehn Jahren gesetzlich verankert ist. Unternehmen, die bis einschließlich Geschäftsjahr 2021 (KJ = GJ) seit zehn oder mehr Jahren von einem Abschlussprüfer geprüft werden, müssten für das Geschäftsjahr 2022 einen neuen Abschlussprüfer wählen. Allerdings ist unter bestimmten Voraussetzungen die Nutzung der Übergangsregelung möglich, dann hat spätestens 2024 der Wechsel zu erfolgen. Auch die interne Prüferrotation wird beschleunigt. „Verantwortlichen Prüfungspartner“ beenden ihre Teilnahme an der Abschlussprüfung des geprüften Unternehmens künftig spätestens fünf Jahre nach dem Datum ihrer Bestellung.
Zudem kommt es nun zur Trennung von Prüfung und Beratung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse. Zum einen war bisher die Erbringung von bestimmten Steuerberatungs- und Bewertungsleistungen, die jeweils zu den nach der Abschlussprüferverordnung verbotenen Nichtprüfungsleistungen gehören, nicht per se verboten, sondern nur bei Nichtvorliegen bestimmter Voraussetzungen oder – im Falle der Steuerberatungsleistungen – der fehlenden Zustimmung des Prüfungsausschusses zu einem Ausschluss des Abschlussprüfers. Zum anderen war in Ausnahmesituationen in gewissem Umfang und für eine gewisse Zeit eine Überschreitung der Honorargrenze („Fee Cap“) für Nichtprüfungsleistungen möglich. Beides wurde nun gestrichen.
Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers
Zudem wurde trotz mahnender Stimmen, die lediglich steigende Prüfungskosten durch höhere Versicherungsprämien und eine noch stärkere Konzentration im Prüfermarkt befürchten, die Verschärfung der zivilrechtlichen Haftung des Abschlussprüfers gegenüber dem geprüften Unternehmen für Pflichtverletzungen mit dem Argument der Förderung der Qualität der Abschlussprüfung fördern. Dabei wird in § 323 Abs. 2 HGB die Haftungshöchstgrenzen bei grob fahrlässigem/fahrlässigem Handeln für Abschlussprüfer, seine Gehilfen und bei der Prüfung mitwirkende gesetzliche Vertreter einer Prüfungsgesellschaft, auf
- unbegrenzt/16 Mio. EUR bei kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften
- 32 / 4 Mio. EUR bei Kapitalgesellschaften, die Unternehmen von öffentlichem Interesse sind
- 12 / 1,5 Mio. EUR für die Prüfung von Kapitalgesellschaften, die nicht Unternehmen von öffentlichem Interesse nach § 316a S. 2 HGB sind (Nr. 3).
erhöht. Bei vorsätzlichem Handeln können sich Abschlussprüfer nicht auf die vorgenannten Haftungshöchstgrenzen berufen (§ 323 Abs. 2 S. 2, Halbsatz 1 HGB). Sie haften unbegrenzt.
Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Abschlussprüfer, seine Gehilfen und/oder die mitwirkenden gesetzlichen Vertreter der Prüfungsgesellschaft vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt haben und sich aus diesem Grunde nicht auf die vorgesehenen Haftungshöchstgrenzen berufen können, trägt nach allgemeinen Beweislastregeln der Anspruchsteller.
Bilanzstrafrecht wird verschärft
Für die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft, die Inlandsemittent i.S.v. § 2 Abs. 14 WpHG ist und nicht von den Erleichterungen nach § 327a HGB profitiert (also Unternehmen deren Wertpapiere nur im Inland zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind und es sich bei den Wertpapieren nicht um Schuldtitel mit einer Mindeststückelung von 100.000 Euro handelt) wurde die Abgabe eines unrichtigen „Bilanzeids“ durch Anpassungen im Bilanzstrafrecht eine ausreichend abschreckende Ahndung erfahren. Hier wird im neu eingefügten § 331a HGB mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe gedroht, wenn der Bilanz- oder Lageberichtseid oder die Konzernentsprechungen unrichtig abgegeben werden, wobei bei Leichtfertigkeit gem. Abs. 2 Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe droht.
Stärkung der Corporate Governance
Außerhalb des HGB wurden im § 91 Abs. 3 AktG Pflichten zur Einrichtung eines angemessenen und wirksamen internen Kontrollsystems sowie eines entsprechenden Risikomanagementsystems für börsennotierte Unternehmen geregelt Durch die verpflichtende Errichtung eines Prüfungsausschusses in Aufsichtsräten von Unternehmen von öffentlichem Interesse werden die unternehmensinternen Kontrollsysteme gestärkt und die Verantwortungsstrukturen verbessert. Die Mitglieder des Prüfungsausschusses dürfen unmittelbar bei den Leitern derjenigen Zentralbereiche der Gesellschaft, die in der Gesellschaft für die Aufgaben zuständig sind, die den Prüfungsausschuss betreffen, Auskünfte einholen. Zudem sieht der neue § 107 Abs. 3 Satz 2 AktG explizit vor, dass sich der Prüfungsausschuss künftig im Rahmen der Überwachung der Abschlussprüfung nicht nur mit der Auswahl und Unabhängigkeit des Abschlussprüfers, sondern auch mit der „Qualität der Abschlussprüfung“ beschäftigen muss. Hierdurch soll klargestellt werden, dass die Überwachung der Abschlussprüfung die Prüfung ihrer Qualität von der Auswahl des Prüfers bis zur Beendigung des Auftrags umfasst.
In Aufsichtsräten sollen zukünftig mindestens eine Person über Sachkenntnisse auf dem Gebiet der Rechnungslegung und eine weitere Person über Sachkenntnisse auf dem Gebiet Abschlussprüfung verfügen.
Diese Stärkung der Corporate Governance wird flankiert durch Änderungen des Börsengesetzes, um die Qualität der Zulassung von Unternehmen zu den qualifizierten Marktsegmenten der Börsen zu verbessern.
Beschäftigte der BaFin: Kein Handel mit bestimmten Finanzinstrumenten
Um Zweifel an der Integrität der BaFin von vorneherein auszuschließen und Interessenkonflikte zu vermeiden, wurde den Beschäftigten der BaFin der Handel mit bestimmten Finanzinstrumenten untersagt.
Verknüpfung von Informationen
Zudem ist eine bessere Verknüpfung von Informationen unter den Landes- und Bundesbehörden (insb. der BaFin) erfolgen, um weiteren Analysen einzelner Verdachtsmeldungen und die anschließende Bewertung zu erleichtern. Damit soll Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung effektiver aufgeklärt, verhindert und verfolgt werden. Auch wird geprüft, ob und inwieweit der Austausch polizeilicher Daten verbessert werden kann.
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