Unabhängig davon, ob der Schwerpunkt eines Compliance-Programms präventiv (das sollte er immer sein) oder reaktiv ist, stellt der Umgang mit Verstößen Unternehmen und ihr Compliance-Programm auf die Probe. Die Ahndung von Compliance-Verstößen hat Signalwirkung für Mitarbeiter. Sie zeigt, ob es das Unternehmen mit Compliance wirklich ernst meint. Richtigerweise kann es auch in China nur eine "Null-Toleranz-Politik" für Verstöße geben. Die Grundsätze zur Ahndung von Verstößen sollten global gelten. Konsequenzen bei Verstößen sollten entschieden und streng sein. Dabei sind die Grundsätze von Verhältnismäßigkeit und Gleichbehandlung zu berücksichtigen.
Gleichbehandlung erfordert, dass die Ahndung von Verstößen unbeeinflusst von der persönlichen Leistung, Expertise und Wertschätzung des betroffenen Mitarbeiters bleibt. Wenn eine Kündigung angezeigt ist, sollte eine fehlende Nachfolgeplanung kein Kriterium sein, um Mitarbeiter zu halten. Konsequenzen sollten allerdings den Dienstrang des Mitarbeiters berücksichtigen. Von Führungskräften kann auch im Hinblick auf ihre Vorbildfunktion regelmäßig mehr erwartet werden als von Mitarbeitern auf niedrigeren Positionen, sodass Sanktionen zunehmend strenger sein sollten je höher der Rang ist. Bei Verstößen von Mitgliedern des Management Teams sind dessen Vorbildfunktion und persönliche Verantwortung für Compliance besonders zu berücksichtigen. Eskalationsstufen zur regionalen beziehungsweise globalen Compliance-Organisation sind hier geboten. Kooperation bei der Sachverhaltsaufklärung kann bei der Sanktionierung mindernd berücksichtigt werden.
Verhältnismäßigkeit erfordert, dass es abgestufte Mechanismen gibt, die in einem angemessenen Verhältnis zur Verfehlung stehen. Sie können von einer mündlichen oder schriftlichen Verwarnung über eine Versetzung, Bonuskürzungen etc. bis hin zur Kündigung, Strafanzeige und Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen gegen den Mitarbeiter reichen. Diese allgemeinen Grundsätze der Sanktionierung können in der Praxis nicht in einem globalen Sanktionskatalog mit präzisen Konsequenzen für einzelne Verstöße umgesetzt werden, da die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen in Deutschland und China wie auch vielen anderen Ländern (sehr) unterschiedlich sind. Gleichbehandlung im konkreten Fall kann sich daher immer nur auf Gleichbehandlung innerhalb Chinas (oder eines anderen Landes) beziehen. Insoweit ist auch ein detaillierter Sanktionskatalog möglich.
Welche Regeln gelten im Arbeitsverhältnis in China? Wie werden sie verbindlich verankert und wie können sie, insbesondere mit Blick auf die verhaltensbedingte Kündigung, durchgesetzt werden?
Die Grundlagen des chinesischen Arbeitsrechts sind auf mehrere nationale Gesetze und Durchführungsverordnungen verteilt. Die Rechtsanwendung im Einzelfall wird durch unzählige lokale Vorschriften, Auslegungen des Obersten Volksgerichts und der Arbeitsbehörden sowie durch eine mangels routinemäßiger Veröffentlichung von Entscheidungen unüberschaubare Spruchpraxis der Arbeitsschiedsgerichte und ordentlichen Gerichte bestimmt. Im Rahmen dieses Beitrags kann daher nur auf ausgewählte praktische Aspekte auf Basis der folgenden Gesetze eingegangen werden:
- Das Arbeitsgesetz vom 1. Januar 1995 (AG) bildet noch immer die Grundlage des chinesischen Arbeitsrechts, auch wenn es durch die spätere Gesetzgebung in weiten Teilen überlagert wird.
- Das Arbeitsvertragsgesetz vom 1. Januar 2008 (ArbeitsVG) und die Durchführungsverordnung zum Arbeitsvertragsgesetz vom 18. September 2008 (DVArbeitsVG) regeln insbesondere Abschluss, Inhalt, Änderung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen.
- Das Gesetz über Schlichtung und Schiedsverfahren bei Arbeitsstreitigkeiten vom 1. Mai 2008 (ArbeitsschiedsG), das die Anrufung der Arbeitsschiedsgerichte in Arbeitsstreitigkeiten zwingend macht.