Prof. Dr. Anja Mengel, Jan Peters
Die allgemeine Rechtfertigung für mittelbare Diskriminierungen und die speziellen Rechtfertigungstatbestände für unmittelbare Diskriminierungen (wesentliche und entscheidende Anforderung des Berufs) sind in § 3 Abs. 2 AGG sowie § 8 AGG übernommen worden. Gerade § 8 AGG nimmt an Bedeutung in der Rechtsprechung zu. Die Gesetzesbegründung nennt z. B. für die wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung das Beispiel, dass Minderheitenorganisationen bevorzugt Angehörige ihrer Gruppe einstellen.
Unzulässig dürfte es aber sein, wenn Tendenzunternehmen nur die Personen einstellen, die ihre Tendenz teilen, da die persönliche Ansicht keine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung ist. Ebenso sind bloße Kundenerwartungen oder Wünsche des Arbeitgebers wohl keine wesentlichen und entscheidenden beruflichen Anforderungen, sodass jedenfalls allein aus diesem Grund nicht abgegrenzt werden darf. Auch darf sich ein Arbeitgeber zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung eines Arbeitnehmers mit Behinderung dann nicht auf § 8 AGG berufen, wenn er zuvor versäumt hat, eine angemessene Vorkehrung i. S. d. Art 5 der RL 2000/78/EG zu ergreifen, welche den Einsatz ermöglichen würde.
Für Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen rechtfertigt § 9 AGG an sich Ungleichbehandlungen, allerdings beschränkt auf das Merkmal Religion oder Weltanschauung. Jedoch ist die Vorschrift auf Grundlage der jüngsten Rechtsprechung des EuGH und des BAG nunmehr europarechtskonform eng auszulegen. Die Freiheit der Kirche als Tendenzunternehmen gilt nicht mehr in vollem Umfang. Die Religionszugehörigkeit muss nach der Art der Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellen. Dazu muss eine einzelfallbezogene Prüfung mit Blick auf die konkrete Stelle erfolgen.
§ 10 AGG übernimmt die allgemeine Rechtfertigungsmöglichkeit für alle Arten der Diskriminierung wegen des Lebensalters. Zudem zählt § 10 AGG beispielhaft zahlreiche gerechtfertigte Differenzierungen auf.
Ungleichbehandlungen können aber auch als geeignete und angemessene positive Maßnahmen nach § 5 AGG gerechtfertigt sein, wenn sie Nachteile für Merkmalsträger verhindern oder ausgleichen. Der deutsche Gesetzgeber hat mit Blick auf § 164 Abs. 4 SGB IX darauf verzichtet, die Arbeitgeber zu einer Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung im Rahmen des Zumutbaren zu verpflichten. Allerdings gilt § 164 Abs. 4 SGB IX nur im bestehenden Arbeitsverhältnis, sodass die Richtlinie 2000/78/EG insoweit für das Vorfeld der Anstellung nicht vollständig umgesetzt ist. Zudem steht § 164 Abs. 4 SGB IX (nach bisheriger Lesart) unter dem Vorbehalt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Gerade dieses Argument aber hat der EuGH bei der Schwangerschaft nicht für zulässig gehalten, sodass auch insoweit eine Europarechtswidrigkeit wegen Diskriminierung von Menschen mit Behinderung vorliegen könnte.