Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen (z. B. das ArbSchG) konkretisieren die Fürsorgepflichten des Arbeitgebers nach dem privaten Arbeitsvertragsrecht im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer. Den Vorschriften des technischen Arbeitsschutzes kommt eine Doppelwirkung zu, wenn ihre Schutzpflichten über § 618 Abs. 1 BGB in das Arbeitsvertragsrecht transformiert werden. In diesem Fall sind sie neben öffentlich-rechtlicher Pflicht zugleich unabdingbare privatrechtliche Pflicht des Arbeitgebers i.S. eines einzuhaltenden Mindeststandards (BAG, Urteil v. 12.8.2008, 9 AZR 1117/06). Nach § 618 Abs. 1 BGB hat der Arbeitgeber
"Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften, die er zur Verrichtung der Dienste zu beschaffen hat, so einzurichten und zu unterhalten und Dienstleistungen, die unter seiner Anordnung oder unter seiner Leitung vorzunehmen sind, so zu regeln, dass der Arbeitnehmer gegen Gefahr für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Dienstleistung es gestattet".
§ 618 Abs. 1 BGB begründet nicht nur einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Einschreiten des Arbeitgebers gegen unmittelbare, konkret drohende Gefahren. Die Transformationswirkung erfasst auch Gefährdungen i.S. von § 5 Abs. 1 ArbSchG.
Gefahr und Gefährdung
Eine "Gefahr" bedeutet im Arbeitsschutz eine Sachlage, die bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens zu einem Schaden führt. Dem Schadenseintritt muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit zugrunde liegen. Welcher Grad der Wahrscheinlichkeit ausreicht, ist unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nach der Art der betroffenen Rechtsgüter zu bestimmen. Im Arbeitsschutz, bei dem es um Leben und Gesundheit der Arbeitnehmer geht, genügt ein geringeres Maß an Wahrscheinlichkeit als bei einer Gefahr für Sachgüter.
Eine Gefährdung i. S. des Arbeitsschutzgesetzes tritt dagegen schon früher ein. Der Begriff der Gefährdung bezeichnet im Unterschied zur Gefahr die Möglichkeit eines Schadens oder einer gesundheitlichen Beeinträchtigung ohne bestimmte Anforderungen an ihr Ausmaß oder ihre Eintrittswahrscheinlichkeit.
§ 618 BGB ist eine Teilausprägung der allgemeinen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Das Arbeitsschutzgesetz konkretisiert die zivilrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers, die sich aus § 618 Abs. 1 BGB ergeben. Deshalb muss er die Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz ausreichend und angemessen unterweisen (§§ 12 Abs. 1 Satz 1 , 14 ArbSchG). Damit Arbeitnehmer eine Gesundheitsgefährdung erkennen und dementsprechend handeln können, muss die Unterweisung auf die individuelle Arbeitsplatzsituation des Beschäftigten zugeschnittene Informationen, Erläuterungen und Anweisungen enthalten (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG). Ergeben sich Veränderungen bei der Gefahrensituation, müssen die Mitarbeiter erneut unterwiesen werden. Je schwerer ein möglicher Schaden für den Arbeitnehmer sein kann, desto stärker müssen die Schutzmaßnahmen sein, die der Arbeitgeber ergreift.
Anspruch auf rauchfreien Arbeitsplatz
Ist es durch Landesgesetz verboten, in Gaststätten Tabak zu rauchen, und fällt ein dort beschäftigter Arbeitnehmer außerhalb von Rauchergaststätten und Raucherräumen in den Schutzbereich dieses Rauchverbots, kann er nach § 618 Abs. 1 BGB i. V. mit § 5 Abs. 1 ArbStättV verlangen, auf einem tabakrauchfreien Arbeitsplatz beschäftigt zu werden (BAG, Urteil v. 19.5.2009, 9 AZR 241/08).
Nach § 5 Abs. 2 ArbStättV hat der Arbeitgeber aber nicht rauchende Beschäftigte in Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr nur insoweit vor den Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen. Dies kann dazu führen, dass er nur verpflichtet ist, die Belastung durch Passivrauchen zu minimieren, nicht aber sie gänzlich auszuschließen (BAG, Urteil v. 10.5.2016, 9 AZR 347/15).
Hepatitis-Infektion in Berufsschule
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, eine Berufsschullehrerin, die mit drogenabhängigen, in großem Umfang mit dem Hepatitis-C-Virus infizierten Schülern arbeitet, über die Gefahr einer Ansteckung aufzuklären (Urteil des BAG v. 14.12.2006, 8 AZR 628/05). Grund: In diesem Fall war bekannt, dass eine Vielzahl von Schülern infiziert ist, und es im Unterricht in erheblichem Umfang zu Schnittwunden und Hautverletzungen an den Händen kommt. Da meistens die Lehrerin als Fachpraxislehrerin die Wundversorgung bei den Schülern übernahm, wären angesichts der gravierenden Auswirkungen einer Hepatitis-C-Infektion verstärkte Informationen und Vorkehrungen gegen eine Infektion erforderlich gewesen.