Dr. Josef Baumüller, Astrid Leben
Rz. 93
Mit dem Ziel der Förderung von Vielfalt sowie Gleichstellung unter den Arbeitnehmern und den Leitungs- und Aufsichtsgremien haben Unternehmen nach ESRS S1-9 die definierten Diversitätskennzahlen für Alter und Geschlecht offenzulegen (ESRS S1.64). Diese ergänzen die Angabepflichten in ESRS 2 GOV-1, insbes. ESRS 2.21 (§ 4 Rz 33). "Diversität" i. S. d. ESRS S1-9 soll ein Verständnis zur Repräsentanz von Frauen auf der obersten Führungsebene sowie zur Altersverteilung der Beschäftigten vermitteln (ESRS S1.65).
Zur nicht erschöpfenden Liste von Faktoren in Zusammenhang mit dem Aspekt "Vielfalt", die bei der Wesentlichkeitsanalyse zu berücksichtigen sind, zählen gem. ESRS S1, App. A.1 neben der Altersverteilung unter den Arbeitskräften des Unternehmens die Vertretung von Frauen und/oder ethnischen Gruppen oder Minderheiten unter den Arbeitskräften des Unternehmens und der Prozentsatz von Menschen mit Behinderungen.
Während der Aspekt "Menschen mit Behinderungen" Gegenstand der Offenlegungspflicht gem. ESRS S1-12 ist (Rz 117), wird die Darlegung von Informationen zur Repräsentanz "ethnischer Gruppen oder Minderheiten" in keinem anderen Standard gefordert.
Das Verständnis von Diversität, wie es ESRS S1-9 zugrunde liegt, ist also nur ein Ausschnitt des ansonsten weiter gefassten Diversitätsbegriffs in den ESRS. Sofern für berichtspflichtige Unternehmen im Prozess der Wesentlichkeitsanalyse Auswirkungen, Risiken oder Chancen in Zusammenhang mit ethnischen Gruppen oder Minderheiten der Arbeitskräfte des Unternehmens als wesentlich bewertet wurden, hat das Unternehmen die Notwendigkeit zu prüfen, dahingehende Informationen als unternehmensspezifische Angaben, inkl. Kennzahlen und Ziele, offenzulegen.
Praxis-Beispiel Merck – Kultur und ethnische Vielfalt
"Mit einem Anteil von 23 % (2022: 24 %) unserer Mitarbeitenden und einem Nettoumsatz von 27 % (2022: 27 %) zählen die USA zu unseren wichtigsten Märkten. Daher streben wir an, in den USA ein bevorzugter Arbeitgeber für Menschen jeglicher ethnischer Herkunft zu werden: Bis 2030 wollen wir den dortigen Anteil von Führungskräften (Rolle 4+) aus unterrepräsentierten ethnischen Bevölkerungsgruppen von 23 % (2022: 21 %) auf 30 % erhöhen. [...]
2023 haben wir einen Aktionsplan zu den Themen Kultur, Nationalität und ethnischer Herkunft erarbeitet und ein Toolkit für Führungskräfte und HR eingeführt. Ziel ist es, unsere Fortschritte in diesen Bereichen zu beschleunigen."
Das Praxis-Beispiel des deutschen Wissenschafts- und Technologieunternehmens Merck KGaA demonstriert, wie die Repräsentanz unterrepräsentierter Bevölkerungsgruppen in Führungspositionen gefördert werden könnte, flankiert von einem Aktionsplan und Instrumenten für Schlüsselpersonen im Unternehmen.
Rz. 94
Gem. ESRS S1-9 ist offenzulegen:
- Die zahlenmäßige und prozentuale Verteilung der Geschlechter der Vertreter des Topmanagements sowie der obersten Führungsebene. Das Topmanagement umfasst die zwei Hierarchiestufen bzw. Managementebenen unter den Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen (diese Organe werden nämlich von ESRS 2 GOV-1 erfasst). Den berichtspflichtigen Unternehmen wird allerdings eingeräumt, eine abweichende Abgrenzung für das Topmanagement anzuwenden, sofern eine solche bereits bisher zur Anwendung gekommen ist; die unternehmensspezifische Definition sowie eine Erläuterung dazu sind hier zu berichten (ESRS S1.AR71). Angesichts der Heterogenität von Branchen-, Organisations- und Unternehmensstrukturen scheint die Option einer individuellen Definition des jeweiligen Führungskreises plausibel, jedoch dürfte der eröffnete Spielraum die Vergleichbarkeit der Berichterstattung einschränken.
- Die Verteilung der Arbeitnehmer nach Altersklassen: unter 30 Jahre, 30–50 Jahre, über 50 Jahre (ESRS S1.66).
Rz. 95
Diese Informationen, die bei Wesentlichkeit vom berichtspflichtigen Unternehmen offenzulegen sind, entsprechen jeweils den Punkten (i) und (ii) in GRI 405-1-a und GRI 405-1-b.
Rz. 96
Das Konzept "Diversitätsmanagement" nutzt die Heterogenität der Belegschaft zum Vorteil für das Unternehmen und der (Beschäftigten-)Gruppen: Dort knüpfen die in ESRS S1-1 beispielhaft angeführten Konzepte im Kontext mit dem Aspekt "Vielfalt" an und nennen in Anlage A.2 exemplarisch die Implementierung eines "Inklusionskonzepts (für ethnische Vielfalt oder Minderheiten)". In Zusammenhang mit "Vielfalt" wird in Anlage A.4 als exemplarisches Ziel "die Erhöhung des Anteils unterrepräsentierter Gruppen an den Arbeitskräften des Unternehmens der obersten Führungsebene" angeführt. Die Formulierung von messbaren, quantitativen Zielen für wesentliche Diversitätsaspekte fördert i. d. R. eine geschlechter- und diversitätsorientierte Unternehmenskultur. In der betrieblichen Praxis kommen unterschiedliche Diversitätsmodelle zum Einsatz, dazu zählt u. a. das Modell "Four Layers of Diversity". Ein multidimensionaler und intersektionaler Managementansatz erweist sich als besonders geeignet, um Potenziale un...