Dr. Josef Baumüller, Prof. Dr. Kerstin Lopatta
Rz. 123
Eine bedeutsame Abweichung gegenüber dem Umfang der Berichtsgrenzen regeln die ESRS im Hinblick auf die Wertschöpfungskette: "Die in der Nachhaltigkeitserklärung enthaltenen Informationen über das Bericht erstattende Unternehmen werden durch Informationen über die wesentlichen Auswirkungen, Risiken und Chancen ergänzt, die mit dem Unternehmen durch seine direkten und indirekten Geschäftsbeziehungen in der vor- und/oder nachgelagerten Wertschöpfungskette im Zusammenhang stehen" (ESRS 1.63). Dies adressiert somit grds. sämtliche direkten und indirekten Kunden- und Lieferantenbeziehungen des Unternehmens, jedoch nur
- auf jenen Stufen und insofern, als i. R. d. Wesentlichkeitsanalyse wesentliche Auswirkungen, Risiken und Chancen identifiziert wurden, die in direkter oder indirekter Verbindung mit unterhaltenen Geschäftsbeziehungen des berichtspflichtigen Unternehmens resultieren (ESRS 1.64);
- in dem Umfang, in dem es notwendig ist, ein Verständnis bei den Nutzern der Nachhaltigkeitsberichterstattung für diese Auswirkungen, Risiken und Chancen zu schaffen – wobei die qualitativen Merkmale gem. ESRS 1 hier ebenso als Maßstab für die geforderten Informationen genannt werden (ESRS 1.65).
Anders als bei Tochterunternehmen ist nicht erforderlich, Daten von Kunden oder Lieferanten vollumfänglich in die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu integrieren (ESRS 1.64).
Rz. 124
Gefordert wird die gesamte Wertschöpfungskette, d. h. sämtliche direkte und indirekte Geschäftspartner in dieser, in der Wesentlichkeitsanalyse auf Auswirkungen, Risiken und Chancen hin zu untersuchen. Ebenso ist eine Berichterstattung über die Wertschöpfungskette in dem Ausmaß erforderlich, als es von spezifischen ESRS (ggf. bei Wesentlichkeit) gefordert wird (z. B. ESRS 2; ESRS 1.63(b)). Insbes. ist von Bedeutung, dass einzelne Angabepflichten der ESRS sich ausschl. auf die eigene Geschäftstätigkeit des berichtspflichtigen Unternehmens beziehen (z. B. ESRS E3-4 "Wasserverbrauch" oder der gesamte ESRS S1 "Arbeitskräfte des Unternehmens"). Weitere wichtige Sonderregelungen finden sich in ESRS E1 im Hinblick auf die Berichterstattung über THG-Emissionen.
Rz. 125
Aus ESRS 1 ist nicht klar erschließlich, wie die Begriffe "Geschäftsbeziehung" und "Wertschöpfungskette" voneinander abzugrenzen sind. Der Standard selbst scheint hier nicht immer einem klar abgegrenzten Begriffsverständnis zu folgen. Es liegt jedoch nahe, davon auszugehen, dass Geschäftsbeziehung ein weiter Begriff ist, der jenen der Wertschöpfungskette umfasst.
Geschäftsbeziehungen werden wie folgt definiert: "Geschäftsbeziehungen sind die Beziehungen des Unternehmens zu Geschäftspartnern, Betrieben in seiner Wertschöpfungskette und anderen nichtstaatlichen oder staatlichen Stellen, die unmittelbar mit seinen Geschäftstätigkeiten, Produkten oder Dienstleistungen in Zusammenhang stehen. Geschäftsbeziehungen beschränken sich nicht auf direkte Vertragsverhältnisse. Sie umfassen auch indirekte Geschäftsbeziehungen innerhalb der Wertschöpfungskette des Unternehmens, die über die erste Ebene hinausgehen, sowie Beteiligungen an Gemeinschaftsunternehmen oder Investitionen." Eine Geschäftsbeziehung stellt damit auf einen (weiter gefassten) Zusammenhang mit den Produkten und Dienstleistungen eines Unternehmens ab. Einzig reine finanzielle Beziehungen (z. B. Finanzinvestitionen aus lediglich Kapitalanlageerwägungen heraus) werden hiervon nicht umfasst sein, sofern das Unternehmen nicht seinen Geschäftszweck in solchen finanziellen Transaktionen hat (z. B. weil es dem Finanzsektor zuzurechnen ist). Das führt u. a. dazu, dass sich alleine aus dem Umstand, dass ein Unternehmen als assoziiertes Unternehmen gem. IAS 28 zu klassifizieren ist, keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Behandlung in der Nachhaltigkeitsberichterstattung gem. ESRS ableiten lassen. Dessen unbeschadet hat aber die Wesentlichkeitsanalyse jedenfalls eine etwaige Veranlagungspolitik des Unternehmens, das die Beteiligungen hält, auf ihre Auswirkungen, Risiken und Chancen zu würdigen (was dann aber ebenso für bloß geringfügige Anteilsbesitze gelten kann).
Rz. 126
Schon die Ausführungen zur Wesentlichkeitsanalyse (z. B. ESRS 1.43 und ESRS 1.49) unterstreichen, dass auch Geschäftsbeziehungen i. A. ebenso wie im Speziellen solche, die der Wertschöpfungskette zuzurechnen sind, in den Analysen des berichtspflichtigen Unternehmens berücksichtigt werden müssen. Die Unterscheidung zwischen beiden Begriffen kann daher so verstanden werden, dass generell alle direkten Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens analysiert werden müssen. Sofern diese Geschäftsbeziehungen auch Teil der Wertschöpfungskette sind, müssen für diese auch indirekte Geschäftsbeziehungen (z. B. Lieferanten von Lieferanten) untersucht werden. Dies setzt weiterhin voraus, das Konzept der "Wertschöpfungskette" eng zu verstehen und v.a. auf solche Wirtschaftsaktivitäten anzuwenden, die in unmittelbarem Bezug stehen zu den Kern-Leistungsprozessen eines Unternehmens.