Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Pflegeversicherung: Auskunftsansprüche des Versicherten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes
Leitsatz (amtlich)
1. Zum Vorliegen eines Anordnungsanspruch aus § 108 SGB XI.
2. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Schaffung von Transparenz.
3. Zur ausnahmsweisen Annahme auch eines Anordnungsgrundes unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls.
Orientierungssatz
1. Über § 108 SGB XI hat der Versicherte Anspruch auf Unterrichtung über die im letzten Geschäftsjahr in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten, insbesondere damit er überprüfen kann, ob ihm die beantragte Leistung bis zur gesetzlich vorgesehenen Höchstgrenze gewährt wurde. Handelt es sich bei den mit einer Zahlungsmitteilung abgerechneten Leistungen um das monatliche Pflegegeld, das sich bei der Abrechnung von Kombinationsleistungen nach § 38 SGB XI ergibt, so ist der sich daraus ergebende Betrag für den Versicherten nur dann nachvollziehbar, wenn er weiß, in welchem Umfang die Pflegekasse mit der ambulanten Pflegeeinrichtung Sachleistungen abgerechnet hat.
2. Im Einzelfall ist ein Anordnungsgrund für den Anspruch auf Unterrichtung nach § 108 SGB XI als erfüllt anzusehen, wenn sich aus der Situation des Versicherten ein allgemeines Bedürfnis ergibt, klar fällige Ansprüche auf Sozialleistungen zeitnah erfüllt zu bekommen und er hierzu die notwendigen Informationen erhalten muss, um in die Lage versetzt zu werden, die Erfüllung dieser Ansprüche zu überprüfen.
Normenkette
SGB XI §§ 108, 38; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4, § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 172 Abs. 3 Nr. 1; ZPO § 920 Abs. 2, § 924
Tenor
I. Unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 16.06.2016 wird die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig verpflichtet, die Antragstellerin über die der Zahlungsmitteilung vom 18.01.2014 zugrunde liegenden in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten zu unterrichten.
II. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin deren notwendige außergerichtliche Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Gegenstand des Antragsverfahrens ist ein Anspruch auf nähere Erläuterung der Zahlungsmitteilung vom 18.01.2014 über eine Kostenerstattung in Höhe von insgesamt 520,36 €.
Die 1927 geborene Antragstellerin erhält seit dem 01.05.2013 Leistungen der Pflegestufe III sowie einen Betrag von bis zu 100 € monatlich für zusätzliche Betreuungsleistungen (Bescheid der Antragsgegnerin vom 17.01.2014).
Die Antragstellerin lebt unter der Adresse der S. GmbH, S-Straße 14 in A-Stadt. Nach den Feststellungen des vom Sozialgericht München in einem Klageverfahren betreffend Behandlungspflege eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Dr. H. wird ausgeführt, die Pflegebedürftige wohne seit 2011 in den vormaligen Betriebsräumen der Firma S., die von Dr. O. A., dem Sohn der Antragstellerin, betrieben werde.
Dr. A. betreibe seine Firma nun aus einem einzelnen Zimmer heraus. Für die Antragstellerin sei in einem 10 m von der Toilette entfernten Raum ein Pflegebett aufgestellt.
Mit Zahlungsmitteilung vom 18.01.2014 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr einen Betrag von 520,36 € überwiesen habe. Die Zusammensetzung dieses Betrages ergebe sich aus folgender Aufstellung:
* Leistung 01.05.2013 bis 31.05.2013 A., D., C716234347 Betrag: 87,50 €
* Leistung 01.06.2013 bis 30.06.2013 A., D., C716234347 Betrag: 84,02 €
* Leistung 01.07.2013 bis 31.07.2013 A., D., C716234347 Betrag: 69,44 €
* Leistung 01.08.2013 bis 31.08.2013 A., D., C716234347 Betrag: 69,59 €
* Leistung 01.09.2013 bis 30.09.2013 A., D., C716234347 Betrag: 70,13 €
* Leistung 01.10.2013 bis 31.10.2013 A., D., C716234347 Betrag: 71,44 €
* Leistung 01.11.2013 bis 30.11.2013 A., D., C716234347 Betrag: 68,24 €
Mit Schreiben vom 08.02.2014 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Offenlegung der Abrechnung über den Gesamtbetrag von 520,36 € vom 18.01.2014 mit sieben individuellen Abrechnungsposten. Aus der Abrechnung sei überhaupt nicht ersichtlich, um welchen Abrechnungsgegenstand es sich handle. Es werde gebeten, den Rechtsgrund für Zahlung, Leistungsinhalt der Zahlung usw. mitzuteilen. Ohne diese Angaben könne die Antragstellerin nicht verbuchen bzw. ermitteln, ob die Abrechnung auf einem Rechtsgrund beruhe. Für die Antragsbescheidung werde eine Frist bis zum 08.03.2014 gesetzt.
Am 16.04.2014, am 08.08.2014 und am 07.03.2016 wiederholte die Antragstellerin schriftlich ihr Anliegen.
Die Antragsgegnerin beantwortete die Schreiben der Antragstellerin zu keinem Zeitpunkt.
Am 31.05.2016 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht (SG) München den Erlass einer einstweiligen Anordnung bezüglich der Rechnungslegung über die Zahlungsmitteilung vom 18.01.2014 gestellt.
Am 01.06.2016 hat die Antragstellerin beim SG München eine entsprechende Klage auf Rechnungslegung zur Zahlungsmitteilung vom 18.01.2014 erhoben (Az. S 18 P 219/16).
Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung vom 13.06.2016 ausgeführt, es handele sich um ...