Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsvereinbarung. Neuregelung. Anwendung der Rechtsprechung zu § 15 Abs 1 S 6 SGB 2 aF. Rechtswidrigkeit eines Eingliederungsverwaltungsakts bei Überschreitung der Überprüfungsfrist. fehlende Ermessensausübung. Geltungsdauer. Anordnung der aufschiebenden Wirkung
Leitsatz (amtlich)
Auch nach der Neuregelung der Eingliederungsvereinbarung in § 15 Abs 3 S 1 SGB II zum 1.8.2016 ist bei Eingliederungsverwaltungsakten gem § 15 Abs 3 S 3 SGB II die zu § 15 Abs 1 S 6 SGB II aF, ergangen Rechtsprechung anzuwenden. Der Eingliederungsverwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfungsfrist von 6 Monaten ohne Ermessensausübung überschritten wird.
Orientierungssatz
Zur Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung vgl BSG vom 14.2.2013 - B 14 AS 195/11 R = BSGE 113, 70 = SozR 4-4200 § 15 Nr 2.
Normenkette
SGB II § 15 Abs. 3 Sätze 1, 3, § 39 Nr. 1; SGG § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 28. Februar 2017 unter Ziffer I und II aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage vom 04.04.2017 gegen die Eingliederungsverwaltungsakte vom 12.01.2017 und vom 02.02.2017 angeordnet.
II. Der Beschwerdegegner trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers.
III. Dem Beschwerdeführer wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung in Höhe der Selbstbeteiligung der Rechtsschutzversicherung von 150 € bewilligt und Rechtsanwältin C. B., B-Straße, B-Stadt beigeordnet.
Gründe
I.
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 04.04.2017 gegen die Eingliederungsverwaltungsakte vom 12.01.2017 und vom 02.02.2017.
Der 1966 geborene Bf erhält seit 2005 laufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom Antrags-und Beschwerdegegner (Bg).
Am 12.01.2017 fand eine persönliche Vorsprache des Bf beim Bg statt. Es wurde mit ihm über den Abschluss einer Eingliederungsvereinbarung gesprochen. Laut einem Aktenvermerk wurden Maßnahmen zur Wiedereingliederung auf den Arbeitsmarkt angeboten und erläutert. Der Bf habe mitgeteilt, dass er an keiner Maßnahme interessiert sei. Er habe sich geweigert eine Eingliederungsvereinbarung zu unterschreiben, unabhängig von den Inhalten, er wolle sie auch nicht mit nach Hause nehmen und durchlesen, weil er prinzipiell keine Eingliederungsvereinbarung unterschreiben werde. Er möchte, dass die Eingliederungsvereinbarung gleich per Verwaltungsakt geschlossen werde.
Der Bf erließ am gleichen Tag einen Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II, "gültig von 12.01.2017 bis auf weiteres". Der Verwaltungsakt könne mit einer Nebenbestimmung gemäß § 32 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) versehen werden. Hiervon werde Gebrauch gemacht, um die Gültigkeit zu konkretisieren. Der Bescheid werde regelmäßig überprüft und im gegebenen Falle mit neuem ersetzendem Verwaltungsakt fortgeschrieben. Dies erfolge insbesondere, wenn eine wesentliche Änderung in den persönlichen Verhältnissen eine Anpassung der vereinbarten Maßnahmen, Leistungen des Jobcenters und der Pflichten des Bf erforderlich mache. Das Gleiche gelte, wenn das Ziel der Integration in den Arbeitsmarkt nur aufgrund von Anpassungen und Änderungen erreicht bzw. beschleunigt werden könne. Das Ziel der Eingliederungsvereinbarung sei die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Der Bg unterstütze die Bewerbungsaktivitäten durch Übernahme der angemessenen nachgewiesenen Kosten für schriftliche Bewerbungen, sofern diese zuvor beantragt worden seien. Außerdem übernehme er die Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen. Der Bf wurde verpflichtet, jede zumutbare Arbeit anzunehmen und vier Bewerbungen pro Kalendermonat nachzuweisen und auf Vermittlungsvorschläge unverzüglich zu reagieren.
Mit einer E-Mail vom 29.01.2017 lehnte der Bf die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme ab, unter Hinweis auf seine gesundheitlichen Probleme sowie den fehlenden PKW und seine Unfähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Daraufhin erließ der Bg am 02.02.2017 einen Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 3 Satz 3 SGB II, mit dem die Eingliederungsvereinbarung "vom 02.02.2017" fortgeschrieben werde mit einer Gültigkeit "von 02.02.2017 bis auf weiteres". Eine Eingliederungsvereinbarung sei nicht zu Stande gekommen. Der Bescheid vom 02.02.2017 wiederholte den Inhalt des Eingliederungsverwaltungsakts vom 12.01.2017 und sah zusätzlich die Teilnahme des Bf am Bewerbungscenter bei den Beruflichen Fortbildungszentren der Bayerischen Wirtschaft mit den Bausteinen: Einführung in das Bewerbungscenter, Bewerbungscoaching, aktive IT-gestützte Bewerbungsbemühungen, Eigenrecherche sowie weitere Schulungsmodule für die Dauer von zwei Wochen jeweils Montag bis Freitag von 8:30 Uhr bis 12:30 Uhr vor. Die Einladung würde direkt vom Träger zugeschickt werden.
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