Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestandskraft eines Betriebsprüfungsbescheides ermöglicht eine nachfolgende weitere Beitragsnachforderung nur bei Anwendung des § 45 SGB X.
2. Stichprobenprüfungen können die Bescheidsrücknahme nach § 45 SGB X erleichtern, nicht ersetzen.
Tenor
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 20.02.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.05.2012 angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert wird auf € 44.546,35 festgesetzt.
Gründe
I.
Verfahrensgegenstand ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruches gegen Beitragsnachforderungen aufgrund Betriebsprüfung infolge der "CGZP-Entscheidung" des Bundesarbeitsgerichts.
Die Antragstellerin ist ein Zeitarbeitsunternehmen und betreibt erlaubt gem. § 1 AÜG die Arbeitnehmerüberlassung. Nach den Arbeitsverträgen der beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde die Anwendung der Tarifverträge zwischen der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) vereinbart und die entsprechenden Vergütungen gezahlt. Die Antragsgegnerin führte als zuständiger Rentenversicherungsträger bei der Antragstellerin am 19.01. und 20.01.2010 eine stichprobenweise Betriebsprüfung für den Zeitraum 01.01.2006 bis 31.12.2009 durch. Als Ergebnis forderte sie mit Bescheid vom 27.01.2010 Gesamtsozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge iHv 10.070,81 € nach im Wesentlichen wegen unzutreffender Beitragsbehandlung der Überlassung von Firmen-PKW zur Privatnutzung. Diese Entscheidung ist bestandskräftig.
Aufgrund neuer Betriebsprüfung vom 27.09.2011 bis 26.01.2012 an drei Tagen für den Prüfzeitraum 01.12.2005 bis 31.12.2009 forderte die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.2012 Gesamtsozialversicherungsbeiträge iHv 178.185,38 € nach. Für die überlassenen Arbeitnehmer ergebe sich eine höhere Vergütung aus dem gesetzlichen Anspruch auf gleichen Lohn (Equal-Pay) infolge der durch das Bundesarbeitsgericht am 14.12.2010 (Az.: 1 ABR 19/10) festgestellten Tarifunfähigkeit der CGZP. Daraus resultierten die nachgeforderten Beiträge (Lohndifferenz aufgrund Tarifunfähigkeit CGZP). Die Höhe der Arbeitsentgelte schätzte die Antragsgegnerin nach von ihr zur Tarifunfähigkeit der CGZP entwickelten Grundsätzen. Dabei legte sie einen Erhöhungsfaktor von 4,7074% entsprechend der Besonderheiten der Antragstellerin zu Grunde.
Dagegen hat die Antragstellerin parallel zu ihrem Widerspruch am 02.03.2012 beim Sozialgericht Nürnberg die Herstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruches beantragt. Sie hat dazu geltend gemacht, ausgeschlossen sei ein Rückgriff in einen bereits bestandskräftig verbeschiedenen Betriebsprüfungszeitraum, eine Entscheidung nach § 45 SGB X liege nicht vor und könne mangels Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen auch nicht erfolgen. Zudem bestehe auf Seiten der Antragstellerin Vertrauensschutz, so dass die Beiträge bis 2006 verjährt seien.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat im Wesentlichen eingewandt, dass noch vor Eintritt der Verjährung die Antragstellerin bösgläubig geworden sei, es gelte also die Verjährungsfrist von 30 Jahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei eine vorangegangene Betriebsprüfung mit keiner Sperrwirkung ausgestattet. Auch die übrigen Argumente der Antragstellerin träfen nicht zu.
Mit Beschluss vom 20.03.2012 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil die vorzunehmende Interessenabwägung mangels offenbarer Rechtswidrigkeit der Nachforderung zu Gunsten der Antragsgegnerin zu entscheiden sei.
Dagegen hat die Antragstellerin Beschwerde eingelegt in Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens. Ergänzend hat sie nach Veröffentlichungen der weiteren CGZP-Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 22. und 23.05.2012 ihren bisherigen Standpunkt zur fehlenden Rückwirkung relativiert. Erweiternd ist sie der Auffassung entgegen getreten, die Antragsgegnerin könne sich auf die 30-jährige Verjährungsfrist berufen. Darüber hinaus hat die Antragstellerin sich darauf berufen, dass die vorangegangene Prüfung im Jahre 2009 mit Sicherheit auch die Anwendung des Tarifvertrages zum Gegenstand gehabt habe, welcher Grundlage der geprüften Vergütung der Arbeitnehmer der Antragstellerin gewesen sei. Deshalb sei der zum gleichen Prüfpunkt der tariflichen Vergütung ergangene Bescheid vom 02.03.2012 rechtswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 07.05.2012 hat die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin abschlägig beschieden. Dagegen hat die Antragstellerin am 30.05.2012 Klage zum Sozialgericht Nürnberg erhoben (Az. S 12 R 654/12).
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Nürnberg vom 20.03.2012 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 22.02.2012 in der Gestalt des Wid...