Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung: Arbeitslosengeldanspruch eines Arbeitslosen mit Auslandswohnsitz

 

Leitsatz (amtlich)

Grundsätzlich können auch Arbeitlose mit einem Wohnsitz außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland Arbeitslosengeld nach dem SGB III beziehen. Sie müssen dabei aber sämtliche Vorraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld nach deutschem Recht erfüllen.

Ein Wohnsitz in Nizza gehört nicht mehr zum Nahbereich einer deutschen Agentur für Arbeit und schließt die notwendige Erreichbarkeit aus.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.05.2012 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg) ab dem 20.08.2011.

Der Kläger bezog bis 19.08.2011 Krankengeld. Zum 20.08.2011 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Zahlung von Alg. Er stehe in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bei der L. AG, sei jedoch seit 19.02.2010 arbeitsunfähig erkrankt und könne seine Tätigkeit als Flugbegleiter nicht ausüben. Seinen Wohnsitz habe er seit 1999 in A-Stadt/Frankreich. Er sei telefonisch, postalisch und per E-Mail jederzeit erreichbar und könne sehr kurzfristig bei der Beklagten erscheinen. Über seinen Arbeitgeber könne er sehr günstige Flugtickets beziehen. Er müsse in Deutschland auch Arzttermine wahrnehmen und habe sowohl in Deutschland als auch in Frankreich Familie. Ausweislich des Gutachtens des Ärztlichen Dienstes der Beklagten vom 12.08.2011 lag ein vollschichtiges Leistungsvermögen beim Kläger vor.

Mit Bescheid vom 17.08.2011 lehnte die Beklagte die Zahlung von Alg ab. Der Kläger habe im Geltungsbereich des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) keinen gewöhnlichen Aufenthalt. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 07.10.2009 (B 11 AL 25/08 R) habe auch ein nicht in Deutschland wohnender Arbeitsloser Anspruch auf Alg, wenn dieser - wie er - sämtliche Anspruchsvoraussetzungen nach deutschem Recht erfülle. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 02.09.2011 zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht Nürnberg (SG) Klage erhoben. Der Gesetzgeber könne nicht ohne wichtige sachliche Gründe den Anknüpfungspunkt zwischen Beitragserhebung und Leistungsberechtigung wechseln. Er halte sich nach wie vor regelmäßig im R.-Gebiet auf und habe regelmäßig Arzttermine wahrzunehmen. Darüber hinaus bestünden starke familiäre und berufliche Bindungen nach Deutschland. Seine Situation unterscheide sich nicht wesentlich von der eines Grenzgängers. Während seiner Beschäftigung sei er zumindest einmal wöchentlich in Deutschland gewesen. Er sei insbesondere auch verfügbar, da er jederzeit nach B-Stadt fliegen könne. Trotz des Auslandswohnsitzes bestünden die besseren Eingliederungschancen auf dem deutschen Arbeitsmarkt. Er habe im Inland Beiträge entrichtet, solle aber nunmehr mit der Begründung vom Bezug von Leistungen ausgeschlossen sein, dass er weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland habe. Dies Verstoße gegen die Niederlassungsfreiheit und Art 3 Grundgesetz (GG).

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.05.2012 abgewiesen. Der Kläger habe mangels eines Wohnsitzes in Deutschland keinen Anspruch auf Alg. Zuständig für eine etwaige Leistungserbringung sei der Mitgliedsstaat, in dem er während der letzten Beschäftigung gewohnt habe. Ein Grenzgänger habe nur dann einen Anspruch gegenüber dem Mitgliedsstaat der letzten Erwerbstätigkeit, wenn er sich (allein) der Arbeitsverwaltung dieses Mitgliedstaates zur Verfügung stelle und die Anspruchsvorrausetzungen nach dem dort geltenden innerstaatlichen Recht erfülle. Vorliegend erfülle der Kläger jedenfalls letztere Voraussetzungen nicht. Es fehle an einer Verfügbarkeit. Hierfür bedürfe es nämlich der Erreichbarkeit im Nahbereich der Beklagten, was im Hinblick auf einen Wohnsitz in A-Stadt an der französischen Mittelmeerküste nicht gegeben sei. Eine mehrstündige Reisezeit würde eine tägliche Anreise zu eventuellen ganztägigen Integrationsmaßnahme unmöglich machen.

Dagegen hat der Kläger Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht eingelegt. Er sei für den deutschen Arbeitsmarkt jederzeit verfügbar. Während seiner beruflichen Tätigkeit habe er regelmäßig seine Arbeit in B-Stadt angetreten. Die Flugzeit betrage eineinhalb Stunden, was einem Arbeitslosen im Rahmen der Zumutbarkeit jederzeit abverlangt werden könne. Ob ein Arbeitsloser dabei im Nahbereich einer deutschen Agentur für Arbeit erreichbar sei, sei ohne Bedeutung. Er könne über die L. verbilligte Flüge in Anspruch nehmen und so jederzeit nach B-Stadt reisen, um dort mit der Arbeitsverwaltung zu sprechen, sich bei potentiellen Arbeitgebern vorzustellen und an Maßnahmen der Arbeitsverwaltung teilzunehmen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.05.2012 zu ...

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