Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Witwenrente. Widerlegung: gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe. "besondere Umstände". Tod des Ehegatten ca 3 Wochen nach der Eheschließung

 

Leitsatz (amtlich)

Einzelfall, in dem die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe durch besondere Umstände trotz Ablebens des Ehemannes ca 3 Wochen nach der Eheschließung widerlegt sind.

 

Orientierungssatz

Der Ausnahmetatbestand des § 65 Abs 6 Halbs 2 SGB 7 wird nur erfüllt, wenn insoweit nach § 202 SGG iVm § 292 der Zivilprozessordnung der volle Beweis erbracht wird.

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.05.2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente.

Die im Jahre 1961 geborene Klägerin ist Witwe des im Jahre 1959 geborenen und am 17.07.2006 verstorbenen M. H. (Versicherter; im Folgenden V genannt). Die Klägerin und V lebten seit August 2002 in einer Liebesbeziehung, ab 01.08.2005 auch zusammen in einem gemeinsamen Haushalt.

Im Dezember 2005 wurde bei V eine Krebserkrankung der Nasennebenhöhlen diagnostiziert. Diese wurde noch im Dezember 2005 als Berufskrankheit nach Nr. 4203 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BK 4203) bei der Beklagten ärztlich angezeigt. Nach Diagnosestellung und umfangreicher Operation am 15.12.2005 befand sich V im Anschluss daran bis zu seinem Ableben die meiste Zeit in stationärer Behandlung. Er unterzog sich hierbei u. a. einer Radio- und einer Chemotherapie. Am 30.06.2006 ließ sich V von der stationären Behandlung beurlauben und heiratete an diesem Tag die Klägerin. Am 17.07.2006 verstarb V.

Nach Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens des Prof. Dr. D. vom 31.07.2006 kam die Beklagte zu dem Ergebnis, dass die Krebserkrankung des V auf dessen berufliche Tätigkeit als Schreiner zurückzuführen und als BK 4203 anzuerkennen sei. Nach Beiziehung der medizinischen Handakte der HNO-Universitätsklinik E. lehnte sie mit Bescheid vom 21.03.2007 (Widerspruchsbescheid vom 26.07.2007) einen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus Anlass des Todes des V ab. Zwar sei V an den Folgen einer Berufskrankheit verstorben, jedoch sei die Ehe erst nach dem Versicherungsfall geschlossen worden und der Tod innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten. Gemäß § 65 Abs. 6 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) spreche die gesetzliche Vermutung dafür, dass es sich um eine sog. Versorgungsehe gehandelt habe, die den Anspruch auf Hinterbliebenenrente grundsätzlich ausschließe. Diese gesetzliche Vermutung einer Versorgungsabsicht sei hier nicht durch besondere Umstände des Einzelfalles widerlegt.

Hiergegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Das SG hat die Akte der Beklagten, die medizinische Handakte der HNO-Universitätsklinik und die Akte der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern beigezogen und mit Urteil vom 05.05.2010 die Beklagte verurteilt, der Klägerin Witwenrente aus Anlass des Todes ihres Ehegatten zu gewähren. Der Witwenrentenanspruch sei nicht nach § 65 Abs. 6 SGB VII ausgeschlossen. Zwar habe die Ehe mit V weniger als ein Jahr gedauert, so dass die gesetzliche Vermutung des § 65 Abs. 6 SGB VII zunächst eingreife, jedoch sei diese Vermutung widerlegbar. Die gesetzliche Vermutung sei hier widerlegt.

Dagegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Sie führt aus, die gesetzliche Vermutung sei nicht widerlegt. Die Ehe sei 17 Tage vor dem Tod des V geschlossen worden. Je näher die Hochzeit am Todestag liege, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe zumindest überwiegend aus Versorgungsgründen geschlossen worden sei. Das erstinstanzliche Urteil sei fehlerhaft. Bereits im Mai 2006 seien Metastasen der Hirnhäute und der Wirbelsäule festgestellt worden. Bei Auftreten von Metastasen sei grundsätzlich von einer schlechten Prognose auszugehen. Der Befundverlauf weise auf eine eindeutige Progredienz hin. Die Klägerin habe im Zeitpunkt der Hochzeit den schlechten Gesundheitszustand des V gekannt und gewusst, dass mit einem baldigen Ableben zu rechnen gewesen sei. Vor Juni 2006 hätten keine konkreten Hochzeitspläne bestanden. Für die Vermutung einer Versorgungsehe spreche auch, dass die Klägerin einige Jahre arbeitslos gewesen sei. Es habe eine wirtschaftliche Abhängigkeit von V und damit der Wunsch nach einer Sicherstellung der Versorgung bestanden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.05.2010 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 21.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.07.2007 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 05.05.2010 zurückzuweisen.

Die gesetzliche Vermutung des § 65 Abs. 6 SGB VII sei widerlegt. Das SG gehe rechtsfehlerfrei davon aus, dass der V der Klägerin bereits mehrfach Heiratsanträ...

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