Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 11 Abs 1 Nr 2 und Abs 2a Nr 1 SGB 6. rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen verminderter Erwerbfähigkeit. Leistungsfall der Erwerbsminderung vor Stellung des Antrages auf Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Prognose einer erfolgreichen Wiedereingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt
Orientierungssatz
1. Zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe nach § 11 Abs 1 Nr 2 SGB 6 ist es nicht ausreichend, wenn im Zeitpunkt der Stellung des Rehabilitationsantrags lediglich ein Rentenantrag gestellt war, aber über diesen noch nicht entschieden ist, auch wenn sich der Rentenantrag später als begründet erweist.
2. Rentenantragsteller sind insoweit auch nicht den Rentenbeziehern gleichzustellen, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind und lediglich der Rentenbescheid noch aussteht.
3. Zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 11 Abs 2a Nr 1 SGB 6 ist eine Prognose dahingehend erforderlich, dass der Versicherte durch die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben voraussichtlich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt werden kann.
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für Leistungen zur Teilhabe nach § 11 Abs 1 Nr 2 SGB VI ist es nicht ausreichend, wenn im Zeitpunkt der Stellung des Rehabilitationsantrags lediglich ein Rentenantrag gestellt war, aber über diesen noch nicht entschieden ist, auch wenn sich der Rentenantrag später als begründet erweist. Diese Auslegung steht in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der Vorschrift, berücksichtigt, dass sie auch die Funktion einer Zuständigkeitszuweisung und Zuständigkeitsabweisung hat und verhindert nachfolgende Rechtsstreitigkeiten zwischen den Rehabilitationsträgern.
2. Rentenantragsteller sind insoweit auch nicht den Rentenbeziehern gleichzustellen, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind und lediglich der Rentenbescheid noch aussteht.
3. Die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gemäß § 11 Abs 2a Nr 1 SGB VI an Versicherte setzt voraus, dass der Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit unmittelbar droht und dieser durch berufliche Teilhabeleistungen voraussichtlich abgewendet werden kann. Dies erfordert eine Prognose dahingehend, dass der Versicherte durch die Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben voraussichtlich zu einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt werden kann.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.03.2021 - S 4 R 360/20 - aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens beider Instanzen.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 47.440,13 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Rahmen einer allgemeinen Leistungsklage über die Erstattung der Kosten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren und im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) für den Versicherten W (im Nachfolgenden: Versicherter) in Höhe von 47.440,13 € im Zeitraum vom 01.08.2016 bis zum 31.10.2018.
Der 1983 geborene Versicherte stellte am 05.06.2013 bei der Beklagten und Berufungsklägerin (im Folgenden: Beklagten) einen Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Der Antrag wurde seitens der Beklagten zunächst mit Bescheid vom 07.08.2013 abgelehnt. Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2013 zurückgewiesen. Hieran schloss sich ein länger andauerndes Klageverfahren vor dem Sozialgericht Leipzig an (siehe unten).
Am 09.11.2015, also während des Klageverfahrens gegen die Beklagte vor dem Sozialgericht Leipzig, stellte der Versicherte, für den zu diesem Zeitpunkt laut Versicherungsverlauf vom 12.11.2015 nur 157 Monate Wartezeit vorlagen, zudem bei dieser einen Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Unterbringung in der WfbM.
Der im - die Erwerbsminderungsrente betreffenden - Klageverfahren vom Sozialgericht Leipzig beauftragte Gutachter L war in seinem Gutachten vom 06.10.2015 zu dem Ergebnis gelangt, dass beim Versicherten eine paranoide Schizophrenie zu diagnostizieren sei. Der Versicherte könne auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in quantitativer Hinsicht nur noch Tätigkeiten im Umfang von weniger als drei Stunden täglich ausüben. Dieses Leistungsbild bestehe bereits seit Ende 2011. Der Sachverständige führte weiter aus, dass die Prognose im Hinblick auf die Besserung des Gesundheitszustandes und die Erwerbsfähigkeit schwerfalle. Nach seiner Ansicht bestehe nicht die begründete Aussicht, dass sich Gesundheitszustand und Erwerbsfähigkeit in den nächsten drei Jahren bessern...