Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes in Gemeinschaftspraxis. keine Fortführungsfähigkeit einer Praxis nach zweieinhalb Jahren ohne vertragsärztliche Tätigkeit
Orientierungssatz
1. Die Fortführung einer Praxis in Gemeinschaftspraxis setzt voraus, dass die Gemeinschaftspraxispartner gewillt sind, mit dem Nachfolger in Gemeinschaftspraxis zu arbeiten, da die verbleibenden Ärzte mit dem Anteilsübernehmer gesellschaftsrechtliche Verbindungen eingehen müssen. Daher kann eine Zulassung für die Gemeinschaftspraxis nur erfolgen, wenn der oder die übrigen Partner der Gemeinschaftspraxis zustimmen.
2. Sofern der Tatbestand einer Praxisfortführung iS des § 103 Abs 4 S 1 SGB 5 nicht erfüllt ist, weil es keine fortführungsfähige Praxis gibt, ist weder ein Vertragsarztsitz auszuschreiben noch eine Zulassung im Nachbesetzungsverfahren zu erteilen (vgl BSG vom 29.9.1999 - B 6 KA 1/99 R = BSGE 85, 1 = SozR 3-2500 § 103 Nr 5).
3. Nach zweieinhalb Jahren ohne vertragsärztliche Tätigkeit ist auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung keine fortführungsfähige Praxis mehr vorhanden.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.11.2011, Az.: S 38 KA 341/10, wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der Klägerin auf Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Verfahren nach § 103 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) bezüglich des Vertragsarztsitzes von Dr. S. im für Radiologen gesperrten Planungsbereich A-Stadt Stadt.
Dr. S., Radiologe, hatte mit Wirkung zum 31.03.2007 auf seine Zulassung verzichtet. Auf Antrag der verfügungsberechtigten Gemeinschaftspraxispartner der Praxis Dr. W. und Kollegen hatte die Beigeladene zu 1) diesen Vertragsarztsitz im bayerischen Staatsanzeiger (Ausgabe vom 04.05.2007) zu Fortführung der Praxis in einer Gemeinschaftspraxis durch einen Nachfolger (Zeitpunkt der Praxisübergabe: baldmöglichst) ausgeschrieben und nach Ablauf der Bewerbungsfrist am 18.05.2007 eine Liste der eingehenden Bewerbungen erstellt. Von den insgesamt sechs Bewerbern hielt lediglich die Klägerin ihre Bewerbung aufrecht. Zwar war sie nach ihren eigenen Aussagen bereit, den Verkehrswert zu bezahlen; trotzdem konnte eine vertragliche Einigung über den Praxiskauf mit den übrigen Partnern der Gemeinschaftspraxis nicht erzielt werden. Mit Schreiben vom 08.03.2007 machte der Zulassungsausschuss (ZA) den Gemeinschaftspraxispartner Dr. W. darauf aufmerksam, dass er für eine Weitergabe des Vertragsarztsitzes lediglich sechs Monate Zeit habe. Mit weiterem Schreiben vom 13.7.2007 erinnerte der ZA Dr. W. an diese Zeitspanne und wies ihn unter Hinweis auf die nächsten Sitzungen des ZA darauf hin, dass bei einer weiteren Verzögerung eine Praxisübergabe nicht mehr garantiert werden könne. Am 01.03.2009 bewarb sich eine weitere Ärztin (Frau Dr. A. W.).
Mit Beschluss vom 17.06.2009 lehnte der Zulassungsausschuss sowohl den Antrag der Klägerin als auch den Antrag der weiteren Ärztin Dr. A. W. mangels Fortführungsfähigkeit der Praxis ab. Dr. S. habe seit dem 31.03.2007 keine Praxis mehr betrieben. Auf die im Jahr 2007 erfolgte Ausschreibung sei eine Reihe von Bewerbern zur Übernahme der Praxis gegen Zahlung des Verkehrswertes bereit gewesen. Die Praxisabgeberseite habe aber keinen dieser Bewerber einschließlich der noch verbliebenen Klägerin zivilrechtlich in die Lage versetzt, im Falle einer Zulassung die Praxis vor Ort anstelle des ausgeschiedenen Dr. S. weiterzuführen. Die Gemeinschaftspraxis sei von der Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses wiederholt vergeblich darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Nachbesetzungsverfahrens möglichst zügig durchgeführt werden sollte, um eine Fortführungsfähigkeit der Praxis zu erhalten. Der Zulassungsantrag von Frau Dr. A. W. sei außerdem verfristet.
Der hiergegen von der Klägerin eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Beschluss des Beklagten vom 19.11.2009). Der Beklagte teilte die Auffassung des Zulassungsausschusses, wonach eine Fortführungsfähigkeit der Praxis im Jahre 2009 nicht mehr vorliege. Zwischen der Verzichtserklärung von Dr. S. am 31.03.2007 und der Entscheidung über den Antrag auf Nachfolgezulassung läge ein Zeitraum von nunmehr zweieinhalb Jahren, so dass ein Patientenstamm nicht mehr vorhanden sei. Zu Recht habe der ZA darauf hingewiesen, dass es auch innerhalb einer (gleichen) Berufsausübungsgemeinschaft keine Fortführungsfähigkeit der Praxis im Sinne des § 103 Abs. 4 S. 1 SGB V mehr gebe, wenn die verbleibenden Gesellschafter jedem Bewerber des Nachbesetzungsverfahrens entweder den Beitritt zu der Berufsausübungsgemeinschaft, die Gründung wenigstens einer Gemeinschaft vor Ort und/oder sonstige Maßnahmen zur Überleitung eines Teils des bisherigen Patientenstamm beziehungsweise des immateriellen Vermögens der Beru...