Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Widerspruch gegen eine Überleitungsanzeige nach § 93 Abs 1 S 1 SGB 12. Erledigung der Überleitungsanzeige durch gerichtlichen Vergleich. Zurückweisung des Widerspruchs

 

Orientierungssatz

Eine Entscheidung der Widerspruchsbehörde nach § 85 Abs 2 SGG setzt ein noch unerledigtes Vorverfahren aufgrund eines wirksamen Widerspruchs voraus. Die Widerspruchsbehörde ist nicht befugt, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig oder rechtmäßig war.

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Bescheid über eine Anspruchsüberleitung nach § 93 SGB XII erledigt sich gem § 39 Abs 2 SGB X, wenn ein Vergleich die übergeleiteten Ansprüche abschließend regelt.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 13.07.2023; Aktenzeichen B 8 SO 15/22 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 08.04.2021 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte und Berufungskläger. Kosten des Beigeladenen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Anspruchsüberleitung.

Der Kläger ist der Sohn der 1920 geborenen Frau A. Diese erhielt ab dem 02.11.2012 Leistungen der Hilfe zur Pflege durch den Beklagten. Mit Bescheid vom 19.03.2015 leitete der Beklagte für die Zeit ab dem 02.11.2012 einen Anspruch der Leistungsempfängerin gegen den Kläger auf Zahlung einer Leibrente, Wart und Pflege sowie Verköstigung in Höhe von 204,05 EUR monatlich auf sich über. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 07.04.2015 Widerspruch. Mit Schreiben vom 25.08.2015 legte der Beklagte den Widerspruch der Regierung von Oberbayern als der zuständigen Widerspruchsbehörde zur Entscheidung vor.

Ausweislich des Protokolls der öffentlichen Sitzung des Landgerichts München I, 12. Zivilkammer, vom 11.02.2016 (Az.: 12 O 20292/15) schlossen die Beteiligten im dortigen zivilgerichtlichen Verfahren einen gerichtlichen Vergleich, dessen Ziffer IV lautet: „Mit dem vorliegenden Vergleich sind die streitgegenständlichen Ansprüche des Beklagten aus dem Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 abgegolten.“ Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 21ff der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.08.2016 wies die Regierung von Oberbayern den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des Beklagten vom 19.03.2015 zurück.

Dagegen richtete sich die am 05.08.2016 beim Sozialgericht Augsburg eingegangene Klage, die mit Beschluss vom 02.11.2016 an das Sozialgericht München (SG) verwiesen wurde. Zur Begründung der Klage bezog sich der Kläger auf den am 11.02.2016 geschlossenen gerichtlichen Vergleich.

Mit Beschluss vom 04.02.2020 lud das SG den Freistaat Bayern als Träger der Widerspruchsbehörde zu dem Rechtsstreit bei.

Das SG gab der Klage mit Gerichtsbescheid vom 08.04.2020 teilweise statt, hob den Widerspruchsbescheid vom 01.08.2016 auf, stellte die Erledigung des Widerspruchs fest und verpflichtete den Beklagten, die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Überleitungsbescheid habe sich durch den zivilgerichtlichen Vergleich erledigt. Damit sei auch der Widerspruch gegen diesen Bescheid erledigt und das Widerspruchsverfahren beendet. Die Kosten seien dem Beklagten aufzuerlegen, da er die Widerspruchsbehörde nicht über die Umstände, die zur Erledigung des Widerspruchs geführt hätten, informiert habe.

Gegen diesen Gerichtsbescheid legte der Beklagte Berufung ein. Er beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 08.04.2020 aufzuheben und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Der Überleitungsbescheid sei rechtmäßig und die Klage deshalb abzuweisen. Der Widerspruch habe sich nicht durch den Vergleich erledigt. Im Rahmen des § 93 SGB XII gelte der gespaltene Rechtsweg, das Zivil- und das Sozialgerichtsverfahren hätten völlig unabhängig voneinander Bestand. Der Überleitungsanspruch sei gerade Grundlage für den Vergleichsabschluss vor dem Zivilgericht. Würde man annehmen, der Überleitungsbescheid habe sich nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt, wäre der Beklagte nicht mehr Anspruchsinhaber.

Der Kläger hält den Gerichtsbescheid für korrekt. Er beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die beigezogenen Beklagtenakten sowie die Akten des Beigeladenen verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung war zurückzuweisen. Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Widerspruchsbescheid des Beigeladenen wegen der eingetretenen Erledigung des Widerspruchs rechtswidrig und damit aufzuheben war.

Die Überleitungsanzeige gem. § 93 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist ein Verwaltungsakt. Gem. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) bleibt ein Verwaltungsakt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Vorliegend hat sich der Überleitungsbescheid vom 19.03.2015 durch den gerichtlichen Vergleich vom 11.02.2016 gem. § 39 Abs. 2 (Alt. 5) SGB X erledigt, ...

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