Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers. Kosten einer heilpädagogischen Unterbringung eines Jugendlichen in Berufsvorbereitung. keine einheitliche Leistungsgewährung durch das BTHG. Zielsetzung bzw Schwerpunkt der Heimunterbringung maßgeblich. Teilhabe am Arbeitsleben. Leistungen zur sozialen Teilhabe. Persönlichkeitsentwicklung. keine Vor- und Nachrangprüfung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach der Umgestaltung des SGB IX durch das BTHG ist für die Abgrenzung der Zuständigkeiten für Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben einerseits und Leistungen zur sozialen Teilhabe andererseits weiterhin auf den Schwerpunkt der jeweils in Frage stehenden Maßnahme abzustellen; eine einheitliche Leistungsgewährung durch einen einzigen Rehabilitationsträger unabhängig von der Zuordnung der jeweiligen Leistungen zu den Leistungsgruppen wurde durch die Gesetzesänderung nicht beabsichtigt.
2. Die heilpädagogische Unterbringung eines Jugendlichen in Berufsausbildung kann grundsätzlich sowohl als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben als auch als Leistung zur sozialen Teilhabe anzusehen sein. Die Abgrenzung hat nach der Zielsetzung der konkreten Unterbringung im jeweiligen Einzelfall zu erfolgen.
3. Handelt es sich bei der Unterbringung nicht um eine Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben, kommt es auf die Frage eines grundsätzliches Vor- und Nachrangs zwischen der Bundesagentur für Arbeit und dem Träger der Jugendhilfe nicht an.
Normenkette
SGB IX § 5 Nr. 5, § 6 Abs. 1 Nrn. 2, 6, Abs. 2, § 7 Abs. 1 S. 2, § 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, § 49 Abs. 1, 4 S. 1, Abs. 7 Nr. 1, §§ 64, 73-74, 76
Nachgehend
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 15.01.2020 aufgehoben und die Klage insgesamt abgewiesen.
II. Die Widerklage wird abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Klage- und Berufungsverfahrens zu tragen. Die Widerklägerin hat die Kosten der Widerklage zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind wechselseitige Erstattungsansprüche und die Tragung der Kosten der heilpädagogischen Heimunterbringung des am 20.11.2001 geborenen H.
Am 30.01.2018 und 13.02.2018 beantragten die Eltern des H beim Kläger Jugendhilfe in Form von Eingliederungshilfe durch vollstationäre Unterbringung.
Nach einer kinder- und jugendpsychiatrischen Stellungnahme des Universitätsklinikums B vom 02.01.2018 leide H an einer Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung ohne Hyperaktivität und einer leichten depressiven Episode. Es zeigten sich Entwicklungs- und Reiferückstände im psychisch-emotionalen und sozialen Bereich. Anamnestisch beschriebene autistische Symptome und Verhaltensauffälligkeiten erfüllten nicht die Kriterien für die Vergabe der Diagnose einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung. Neben pädagogisch strukturierenden und erziehungsunterstützenden Maßnahmen werde aus fachärztlicher Sicht die weitere ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung mit Einleitung einer Stimulantientherapie zur Behandlung der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung empfohlen. Um H in seiner schulischen, berufsvorbereitenden, psychosozialen und emotionalen Entwicklung ausreichend fördern zu können, sei eine langfristige Perspektivplanung mit regelmäßiger Aktualisierung des Jugendhilfebedarfs erforderlich. Die Voraussetzungen des § 35a Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) lägen vor.
Einer Stellungnahme des Sozialen Dienstes des Klägers vom 08.02.2018 zufolge sei H seit 2011 wegen einer Aufmerksamkeitsstörung sowie einer Anpassungsstörung aufgrund von emotionalen Belastungen im schulischen Kontext in kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung gewesen. Durch die zum damaligen Zeitpunkt erfolgte Trennung der Eltern sei er zusätzlich belastet gewesen; gegenüber dem Vater seien Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz erforderlich gewesen. Die Eltern hätten über seine therapeutische Behandlung auch vor Gericht gestritten. Eine im September 2017 eingerichtete Erziehungsbeistandschaft für die Mutter, die H schon im Februar 2017 habe unterbringen lassen wollen, habe nicht die erhoffte Wirkung erzielt. H verweigere sich in der Schule und zuhause. Er habe keine Sozialkontakte und bis Dezember 2017 zwei Jahre lang seine Medikation verweigert. Es liege eine Teilhabebeeinträchtigung vor. Hs schulische und berufliche Integration drohe aufgrund seiner Auffälligkeiten und Störungen zu scheitern. Er benötige einen geschützten und damit stationären Rahmen, um überhaupt die Chance auf einen Schulabschluss und eine berufliche Integration zu haben, und müsse im Umfeld einer heilpädagogischen Wohngruppe angemessenes Sozialverhalten lernen.
Der Kläger bewilligte für H mit Bescheid vom 14.02.2018 Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche ab 18.02.2018 bis längstens zur Volljährigkeit unter Heimunterbringung in einer heilpädagogischen Wohngruppe, kombiniert mit einer berufsvorbereitenden Bi...