Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. Teilnahme eines behinderten Leistungsberechtigten an einem Projekt eines Trägers der freien Wohlfahrtspflege zur Verbesserung der sozialen Teilhabe unter Zahlung einer Motivationszuwendung
Orientierungssatz
1. Die von einem Träger der freien Wohlfahrtspflege an die Teilnehmer eines Eingliederungsprojekts - hier an einen behinderten Leistungsberechtigten - gezahlte Motivationszuwendung, ist nach § 11a Abs 4 SGB 2 nur insofern gemäß § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 als Einkommen zu berücksichtigen, als sie einen Betrag von 200 Euro monatlich übersteigt.
2. Der den Betrag von 200 Euro monatlich übersteigende Zuflussbetrag ist als (sonstiges bzw Nichterwerbs-) Einkommen nach § 11b SGB 2 zu bereinigen.
Leitsatz (amtlich)
Ob eine Motivationszulage Einkommen iSd SGB II darstellt, hängt von deren Höhe ab.
Normenkette
SGB II § 11b Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 2 Sätze 3, 6, § 1 Abs. 2 S. 4 Nr. 5, § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 4-5, § 11 Abs. 1 S. 1, § 11a Abs. 4, § 17 Abs. 1 S. 2, § 19 Abs. 1 Sätze 1, 3, Abs. 3 S. 1, § 21 Abs. 4; SGB XII §§ 53, 82 Abs. 3 Sätze 1, 4, § 84 Abs. 1; SGB XII Anl. zu § 28; Alg II-V § 6 Abs. 1 Nr. 1; Alg II-V § 6 Abs. 1 Nr. 3; EStG §§ 82, 86; SGG § 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 96 Abs. 1, § 153 Abs. 1; UN-BRK Art. 27
Nachgehend
Tenor
I. Der Beklagte wird in Abänderung des Bescheides vom 8. März 2016 verurteilt, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren für
- Februar, März, Juni und Juli 2015 iHv 736,05 € monatlich,
- April 2015 iHv 698,55 €,
- Mai 2015 iHv 721,05 €
- August 2015 iHv 676,05 € und
- September 2015 iHv 716,05 €.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu neun Zehnteln.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Anrechnung einer sog Motivationszuwendung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Zeitraum Februar bis September 2015.
Der 1962 geborene Kläger, für den die zuständige Behörde einen Grad der Behinderung von 20 anerkannte und den der zuständige Rentenversicherungsträger für erwerbsfähig befand, ist nach eigenen Angaben ein vom Alkohol abstinent lebender Alkoholkranker. Er unterhielt im streitigen Zeitraum einen sog Riestervertrag mit einem monatlichen Beitrag iHv 5 € sowie ein Moped, für dessen Haftpflichtversicherung im März 2015 49,80 € fällig waren. Der Kläger lebte im streitigen Zeitraum allein und schuldete eine monatliche Miete von 337,05 € (bruttowarm). Seinen Lebensunterhalt bestreitet der Kläger zumindest seit 2010 (aufstockend) aus Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vom Beklagten bzw dessen Rechtsvorgängerin.
Unter dem 3.12.2014 schloss der Kläger mit dem örtlichen Caritasverband eV (in der Folge: Caritasverband) einen für die Zeit ab 1.1.2015 geltenden "Zuverdienstvertrag" ab. Ausweislich dessen Einleitung stellt der Caritasverband Betreuungsplätze im Zuverdienst ("Zuverdienstplätze") als Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung, die nach § 53 SGB XII behinderten oder von Behinderung bedrohten Menschen einen möglichst niederschwelligen Zugang in die Arbeitswelt bieten sollen. Durch Zuverdienstangebote sollen die in dem Rahmen tätigen Menschen dabei unterstützt werden, ihre sozialen und arbeitsorientierten Fähigkeiten zu stabilisieren und so weit wie möglich auszubauen und so die Teilhabemöglichkeiten des behinderten Menschen im Sinne des Inklusionsgedankens nach Art 27 der UN-BRK zu verbessern. Als diesem Hauptziel dienende Einzelziele werden ua die Erhöhung des Selbstwertgefühls und der sozialen Anerkennung, die Stärkung von Eigenverantwortung und Entscheidungsfähigkeit, der Aufbau einer Tagesstruktur und die Schaffung von Kontaktmöglichkeiten zur Vermeidung von Isolation und Rückzug, die Entwicklung einer realistischen Selbsteinschätzung und die Heranführung an berufliche Eingliederung und Entwicklung beruflicher Perspektiven genannt. Konkret vereinbarte der Caritasverband mit dem Kläger, dass auf unbestimmte Dauer für bis 14,99 Stunden wöchentlich ein Zuverdienstplatz zur Verfügung gestellt wird. Dabei wird dem Kläger angeboten, arbeitstherapeutisch mit den in der Einrichtung zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Aufgaben beschäftigt und betreut zu werden, wobei er durch die Einrichtung angeleitet und gefördert wird. Der Caritasverband und der Kläger einigen sich ausgehend von den zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Arbeiten - auf Basis der Kompetenzen, persönlichen Neigungen und Zielen des Klägers sowie seiner Tagesverfassung - auf geeignete Tätigkeiten. Der Kläger ist nicht verpflichtet, am Zuverdienstplatz zu erscheinen, wobei sich der Caritasverband vorbehält, den Kläger zu kontaktieren, falls er nicht erscheint, um die Gründe zu erfragen und ihn zu motivieren. Es bestehe Einigkeit, dass deshalb ein Arbeitsverhältnis im rechtlichen S...