Entscheidungsstichwort (Thema)
Nahtlosigkeitsregelung. Änderung der Verhältnisse. Ärztliche Begutachtung. subjektive Verfügbarkeit. Arbeitslosengeldanspruch: Aufhebung einer Bewilligung von Arbeitslosengeld auf der Basis der sog. Nahtlosigkeitsregelung wegen Änderung der Verhältnisse
Leitsatz (amtlich)
1.) Das Ergebnis der Begutachtung des/der Arbeitslosen durch den ärztlichen Dienst der BA stellt (bei unveränderten gesundheitlichen Verhältnissen) keine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X dar.
2.) Hieraus folgt, dass eine unter (irrtümlicher) Annahme der Voraussetzungen der sog. Nahtlosigkeitsregelung erfolgte Bewilligung von Arbeitslosengeld nicht nach
§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wegen Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden kann, wenn der ärztliche Dienst der BA festgestellt hat, dass die Voraussetzungen einer Leistungsbewilligung nach § 145 SGB III nicht vorgelegen haben.
3.) Ohne eine ausdrückliche Belehrung über die Rechtsfolgen fehlender subjektiver Verfügbarkeit kann nicht von einem Erklärungswillen des/der (arbeitsunfähigen) Arbeitslosen ausgegangen werden, er/sie sei entgegen den Formblattangaben bei der Antragstellung nicht mehr bereit, eine Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Sinne des § 138 Abs. 5 Nr. 3 SGB III anzunehmen und auszuüben.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 22. Dezember 2015 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 14. Mai 2014 und 10. Juni 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 2014 verurteilt, Arbeitslosengeld über den 16. Mai 2014 hinaus zu zahlen.
II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld an die Klägerin wegen Änderung der Verhältnisse ab 17.05.2014.
Die 1967 geborene Klägerin stand seit Juni 2006 in einem Teilzeit-Arbeitsverhältnis als Lagerhelferin in A-Stadt.
Seit November 2012 war die Klägerin wegen der Erkrankung an Agoraphobie mit Panikstörungen arbeitsunfähig. Sie bezog von der AOK Bayern vom 23.12.2012 bis zur Aussteuerung am 21.03.2014 Krankengeld - innerhalb dieses Zeitraumes bezog sie vorübergehend vom 02.01.2014 bis 05.02.2014 während einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik H. Übergangsgeld.
Laut dem Entlassungsbericht der Klinik H. wurde die Klägerin aus der Rehamaßnahme am 05.02.2014 als arbeitsunfähig entlassen, aus sozialmedizinischer Sicht sei jedoch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von einem vollschichtigen Leistungsvermögen auszugehen.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wurde durch arbeitgeberseitige Kündigung am 03.03.2014 zum 21.03.2014 beendet.
Am 13.03.2014 meldete sich die Klägerin bei der Agentur für Arbeit B-Stadt zum 22.03.2014 arbeitslos. Auf dem Antragsformular bejahte sie die Fragen (Nr. 2 a und e), ob sie alle Möglichkeiten nutzen werde, um ihre Beschäftigungslosigkeit zu beenden, und ob sie bereit sei, sich im Rahmen eines durch den ärztlichen Dienst festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung stellen.
Die Beklagte leitete ein Verfahren zur Feststellung ein, ob bei der Klägerin die Voraussetzungen der sog. Nahtlosigkeitsregelung vorliegen. Hierbei kam der ärztliche Dienst der Beklagten mit Stellungnahme vom 25.04.2014 zu dem Ergebnis, dass die Klägerin vollschichtig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingesetzt werden könne. Zur Begründung stützte sich der ärztliche Dienst auf den Reha-Entlassungsbericht der Klinik H..
Mit Bescheid vom 30.04.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin Arbeitslosengeld ab 22.03.2014 für 360 Leistungstage in Höhe von 17,83 Euro täglich.
Am 13.05.2014 wurde der Klägerin bei einer persönlichen Vorsprache das Gutachten vom 25.04.2014 eröffnet.
Laut vorliegendem Aktenvermerk der Arbeitsvermittlerin K. legte die Klägerin in dem Termin eine Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 21.05.2014 vor und gab an, dass sie sich aus gesundheitlichen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen könne. Die Klägerin sei über die leistungsrechtlichen Konsequenzen informiert worden. Ab dem 14.05.2014 liege keine Verfügbarkeit mehr vor.
Mit Bescheid vom 14.05.2014 hob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen "eigener Abmeldung aus dem Leistungsbezug" mit sofortiger Wirkung auf.
Die Entscheidung beruhe auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch (SGB) X.
Am 14.05.2014 beantragte die Klägerin bei der Deutsche Rentenversicherung Bayern Süd (DRV) Erwerbsminderungsrente. Am 09.07.2014 wurde sie durch den Rentenversicherungsträger ärztlich untersucht. Mit Bescheid vom 21.07.2014 lehnte die DRV den Antrag des Klägers auf Erwerbsminderungsrente ab. Die Klägerin erfülle die medizinischen Voraussetzungen nicht. Bei der Klägerin bestehe weiterhin eine Agoraphobie mit Panikstörungen und eine rezidivierende Depression, sie könne aber dennoch mindestens sechs Stunden täglich unter den...