Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeitsfeststellungsklage, Überprüfungsantrag, Überprüfungsbescheid. Verletzung der Unterhaltspflicht. Befangenheit des Sachbearbeiters. Feststellungsinteresse. Rechtsgrund für die bereits erhaltene Leistung. Ausschlussfrist. Nichtigkeitsfeststellungsklage. Zulässigkeit bei bestandskräftigen Überprüfungsbescheiden. Unzulässigkeit bei nicht bestandskräftigen Überprüfungsbescheiden und bei bestandkräftigen Bewilligungsbescheiden. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Beschränkung der rückwirkenden Überprüfung von Bescheiden auf ein Jahr ab dem 1.4.2011
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Nichtigkeitsfeststellungsklage im Hinblick auf bestandskräftige Bewilligungsbescheide ist unzulässig.
2. Eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen bestandskräftige Überprüfungsbescheide ist möglich.
3. Eine Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen nicht bestandskräftige Bescheide ist regelmäßig unzulässig.
4. § 44 Abs. 4 SGB X enthält eine materiell rechtliche Ausschlussfrist, so dass auch Überprüfungsbescheide, die mit einem neuen Überprüfungsantrag überprüft werden sollen, nur insoweit zeitlich geprüft werden können, als dies der neue Überprüfungsantrag eröffnet
Normenkette
SGB II § 40 Abs. 1 S. 2, § 77 Abs. 13; SGB X § 40 Abs. 1, 2 Nr. 4, § 44 Abs. 4; StGB § 170; SGG § 55 Abs. 1 Nr. 4
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2014, S 11 AS 543/12, wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt für die Zeit ab 01.01.2006 bis 31.12.2010 höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten der Bewilligung von Leistungen.
Seit 01.10.2005 betreibt der Kläger ohne Unterbrechung ein Gewerbe mit An- und Verkauf von Flohmarktartikeln, Computern sowie einen Ebay-Handel.
Der 1959 geborene Kläger ist geschieden und hat ein Kind, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt der Kläger UVG-Rückstände für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.09.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 €. Seit Juni 2009 tilgt der Kläger zusätzlich aufgelaufene Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen wegen Trennungsunterhalt gegenüber seiner ehemaligen Frau in Raten zu 50,00 € monatlich. Zahlungen auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt erfolgten zeitweise.
Der Kläger war zunächst vom 01.10.2005 bis einschließlich 01.02.2011 im Leistungsbezug beim Beklagten, wobei letztmalig mit Bescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2011 Leistungen bewilligt wurden. Vom 01.02.2011 bis 30.10.2012 war der Kläger dann nicht mehr im Leistungsbezug beim Beklagten. Seit 01.11.2012 erhält der Kläger neben seiner selbständigen Tätigkeit wieder Leistungen nach dem SGB II.
Am 15.12.2010 und am 15.03.2011 stellte der Kläger für die Zeit ab 01.01.2006 Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X. Seine Unterhaltsverpflichtungen bzw. Unterhaltszahlungen gegenüber seiner minderjährigen Tochter und gegenüber seiner ehemaligen Ehefrau seien in dieser Zeit nicht zutreffend berücksichtigt worden und hätten zu höheren Leistungen führen müssen. Die beiden Überprüfungsanträge wurden vom Beklagten mit Bescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 abgelehnt. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien in der vom Kläger nachgewiesenen Höhe stets berücksichtigt worden. Zahlungen auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Nachdem vor dem Sozialgericht Augsburg zwischenzeitlich noch der Zeitraum vom 01.05.2008 bis einschließlich 30.11.2009 anhängig war, entschied das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 13.03.2012, dass dem Kläger für diese Zeit wegen Anrechnung der jeweiligen Tilgungsleistungen bezüglich UVG-Schulden höhere Leistungen von insgesamt 637,88 € für den gesamten Zeitraum nachzuzahlen seien. Dieses Urteil setzte der Beklagte mit Bescheid vom 30.04.2012 für den diesen Zeitraum um.
Aufgrund des Urteils stellte der Kläger am 08.05.2012 erneut einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X betreffend sämtliche Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010. Mit dem Urteil sei bestätigt worden, dass im gesamten Zeitraum sämtliche von ihm getätigten Unterhaltszahlungen - auch solche auf Unterhaltsrückstände - auf sein Nebenerwerbseinkommen anzurechnen gewesen seien.
Mit Bescheid vom 09.05.2012 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag vom 08.05.2012 ab. Eine Überprüfung sei nur möglich für Bescheide, die maximal ein Jahr zurückliegen, also bezüglich Bescheide mit einer Geltungsdauer ab 01.01.2011. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, im Rahmen des Überprüfungsverfahrens müsste auch der Bescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 überprüft werden und dieser habe den von ihm gewünschten Überprüfungszeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 betroffen.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2012 als unbegrün...