Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwenbeihilfe: Fiktiver Berufschadensausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Einen fiktiven Berufschadensausgleich für Zeiten vor dem Inkrafttreten der Regelungen zum Berufsschadensausgleich zum 01.06.1960 gibt es nicht.
2. Das in § 48 Abs. 1 Satz 6 BVG enthaltene Erfordernis eines mindestens fünfjährigen Anspruchs auf Berufsschadensausgleich ist ein bindendes Mindesterfordernis.
3. Zur Beurteilung des Anspruchs auf Witwenbeihilfe bei nicht exakt ermittelbaren Daten zum Vergleichseinkommen in der Vergangenheit: Berechnung, wie hoch das fiktive Einkommen des Beschädigten in den schädigungsbedingt beeinflussten Zeiträumen sein hätte müssen, um einen Anspruch auf Witwenversorgung zu begründen, und Vergleich mit dem nur annäherungsweise bekannten Vergleichseinkommen.
Tenor
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 3. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 48 Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die ursprüngliche Klägerin, die am 06.09.2012 verstorben ist und deren Rechtsnachfolger der Berufungskläger ist, war die Witwe des 1913 geborenen und am 23.02.1977 verstorbenen A. W. (im Folgenden: Beschädigter). Der Berufungskläger hat die Witwe seit 1977 als Bevollmächtigter vertreten.
Vor dem Krieg durchlief der Beschädigte von 1927 bis 1930 eine Metzgerlehre. Bis 1933 war er in einer Fleischerei tätig, anschließend von 1933 bis 1934 als Chauffeur, von 1934 bis 1937 wiederum als Metzger, im Jahr 1937 in einer Farbenhandlung und anschließend von 1938 bis 1940 als Kraftfahrer, bevor er zum Wehrdienst eingezogen wurde.
Während seines Kriegsdienstes in Russland wurde der Beschädigte durch Granatsplitter verwundet. Er befand sich bis zum 15.11.1949 in russischer Kriegsgefangenschaft.
Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft war der Beschädigte, der sich zunächst in einem deutlich reduzierten Gesundheitszustand befand, bis Anfang 1953 arbeitslos, unterbrochen durch eine Kur und einen fremdverschuldeten schweren Motorradunfall am 01.10.1950 (doppelter Oberschenkelbruch mit daraus resultierender Beinverkürzung links), nach dem er längere Zeit im Krankenhaus behandelt wurde. Ab März 1953 war er als Bauhilfsarbeiter und ab August 1953 als Arbeiter in einer F. beschäftigt. Ab dem 17.07.1973 konnte der Beschädigte mit Unterbrechung in der Zeit vom 01.08.1973 bis 28.08.1973 einer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen.
Bei einer versorgungsärztlichen Begutachtung am 28.09.1950 wurde der Beschädigte als in gutem Allgemeinzustand befindlich, mit kräftiger Muskulatur und - mit Ausnahme eines tastbaren Granatsplitters im linken Unterschenkel - ohne wesentliche Auffälligkeiten bei den unteren Extremitäten beschrieben. Mit Bescheid des Versorgungsamts Augsburg vom 16.01.1951 wurde ihm für die Zeit vom 01.11.1949 bis zum 31.10.1950 Rente nach dem Gesetz über Leistungen an Körperbeschädigte gewährt. Ab dem 01.11.1950 wurde von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von nur noch 15 v.H. ausgegangen. Als Versorgungsleiden wurden anerkannt: verheilte Splitterverletzungen an der rechten Halsseite, an beiden Unterarmen und am linken Bein sowie eine abklingende Dystrophie.
Am 13.12.1972 beantragte der Beschädigte eine Grundrente nach dem BVG, da sich sein Kriegsleiden wesentlich verschlimmert habe. Mit Bescheid vom 08.05.1974 wurde ihm eine Grundrente nach einer MdE von 50 v.H. ab dem 01.12.1972 gewährt. Dem lag zugrunde, dass als Spätfolge der Dystrophie eine chronische Leberentzündung entstanden war.
Seit dem 01.01.1974 bezog der Beschädigten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Hauptursache dafür war, wie sich aus einem Rentengutachten ergibt, die Leberschädigung.
Am 20.06.1974 beantragte der Beschädigte die Gewährung von Berufsschadensausgleich. Ohne die Schädigung - so der Beschädigte - wäre er Metzgermeister geworden. Da aber ein ständiges Stehen infolge der Granatsplitterverletzungen und der laufenden Leberentzündung nicht möglich gewesen sei, habe er seinen Beruf als Metzger nicht mehr ausüben können. Mit Bescheid vom 04.12.1974 gewährte der Beklagte dem Beschädigten Berufsschadensausgleich ab dem 01.06.1974. Zu Grunde gelegt wurde dabei, dass der Beschädigte ohne die Schädigung wahrscheinlich der Leistungsgruppe 2 als angelernter Arbeiter aller in der Industrie tätigen Arbeiter angehört hätte. Am 05.04.1975 beantragte der Beschädigte, bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs davon auszugehen, dass er ohne Kriegsbeschädigung heute selbständiger Metzgermeister wäre. Er habe seinerzeit beabsichtigt, eine eigene Metzgerei zu eröffnen. Mit Bescheid vom 23.04.1975 wurde dieser Antrag abgelehnt. Die Vergleichsgrundlage sei wegen der eigenen Angaben des Beschädigten zu seinem persönlichen Werdegang gewählt worden.
Am 23.02.1977 verstarb der Beschädigte, wobei die Todesursache nicht in den Schädigungsfolge...