Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können

Merkblatt für die ärztliche Untersuchung

(Bek. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, BArbBl 10/2006 S. 30)

I. Gefahrenquellen

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule (LWS) haben eine multifaktorielle Ätiologie. Sie sind weit verbreitet und kommen in allen Altersgruppen, sozialen Schichten und Berufsgruppen vor. Unter den arbeitsbedingten Einwirkungen, die bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS wesentlich mit verursachen und verschlimmern können, sind fortgesetztes Heben oder Tragen und Absetzen schwerer Lasten oder häufiges Arbeiten in extremer Beugehaltung des Rumpfes wichtige Gefahrenquellen. Dabei sind als besondere Ausprägungen des Hebens oder Tragens von Lasten auch untrennbar damit zusammenhängende Lastenhandhabungen wie das Um- oder Absetzen, Halten, Ziehen oder Schieben schwerer Lasten oder Schaufeln von Schuttgütern zu berücksichtigen. Dadurch entstehen dem Heben oder Tragen schwerer Lasten vergleichbare Belastungen der Lebenwirbelsäule. Das alleinige Ziehen oder Schieben von Lasten ohne damit zusammehängendes Heben oder Tragen von Lasten ist nicht Gegenstand dieser Berufskrankheit. Derartige arbeitsbedingte Belastungen der LWS können vor allem im untertägigen Bergbau, bei Maurern, Steinsetzern, Stahlbetonbauern und Bauhelfern, bei Schauerleuten, Möbel-, Kohlen-, Fleisch- und anderen Lastenträgern, bei Landwirten, Fischern und Waldarbeitern sowie bei Beschäftigten in der Kranken-, Alten und Behindertenpflege auftreten. Tätigkeiten mit vergleichbarem Belastungsprofil sind als Gefahrenquelle ebenfalls in Betracht zu ziehen. Bei vielen Tätigkeiten ist Heben oder Tragen mit Ziehen oder Schieben schwerer Lasten verbunden, z. B. in der Pflege oder bei Transportarbeiten. Eine zusätzliche Gefährdung geht von Arbeiten mit Heben und Tragen schwerer Lasten und Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung aus, wenn sie in verdrehter Körperhaltung durchgeführt werden.

Ein anderer bandscheibengefährdender Faktor im Arbeitsprozess ist die Einwirkung mechanischer Ganzkörperschwingungen (vgl. BK-Nr. 2110).

Als konkurrierende Faktoren sind Fehlbelastungen der Lendenwirbelsäule durch außerberufliche Tätigkeiten im Sinne von Abs. 1, z. B. beim Hausbau oder bei schwerer Gartenarbeit zu beachten, sofern diese entsprechend den in Abschnitt IV gegebenen Hinweisen ebenso langjährig durchgeführt werden und mit dem Heben oder Tragen schwerer Lasten oder Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden sind. Weiterhin sind sportliche Aktivitäten mit Heben oder Tragen schwerer Lasten oder in extremer Rumpfbeugehaltung zu berücksichtigen.

II. Pathophysiologie

Die Zwischenwirbelabschnitte der unteren Lendenwirbelsäule sind beim Menschen schon während des gewöhnlichen Tagesablaufs erheblich belastet. Da die blutgefäßlosen Bandscheiben hinsichtlich ihrer Ernährung besonders von den Diffusionsbedingungen abhängen, sind sie für mechanische Dauerbelastungen sehr anfällig. Anhaltende Kompressionsbelastung reduziert die druckabhängigen Flüssigkeitsverschiebungen und beeinträchtigt damit den Stoffwechsel im Bandscheibengewebe.

Durch Laktatakkumulation und pH-Verschiebung zu sauren Werten wird ein Milieu erzeugt, das zytolytisch wirkende Enzyme aktiviert. Damit werden degenerative Veränderungen eingeleitet oder beschleunigt. In diesem Milieu werden die restitutiven Prozesse gehemmt.

Unter Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten und Rumpfbeugehaltungen erhöht sich der intradiskale Druck um ein Mehrfaches. Intradiskale Druckmessungen und biomechanische Berechnungen zeigten, dass Kompressionskräfte erreicht werden, die im Experiment an menschlichen Wirbelsäulenpräparaten Deckplatteneinbrüche der Wirbelkörper sowie Einrisse am Anulus fibrosus der Bandscheibe verursachen.

Eingetretene Schäden am Bandscheibengewebe sind irreversibel. Sie setzen einen Prozess in Gang, in dem Bandscheibendegeneration, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperschlussplatten, Massenverschiebungen im Bandscheibeninneren, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorwölbung, Bandscheibenvorfall (einschließlich Sequester), knöcherne Ausziehungen an den Randleisten der Wirbelkörper, degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke sowie durch derartige Befunde hervorgerufene Wirbelsäulenbeschwerden mit Funktionsstörungen in einem ätiopathogenetischen Zusammenhang zu betrachten sind.

Die pathophysiologischen Kenntnisse werden durch zahlreiche epidemiologische Studien gestützt, die belegen, dass mit ansteigender Wirbelsäulenbelastung die Häufigkeit bandscheibenbedingter Erkrankungen erheblich zunimmt. Solche Untersuchungen wurden insbesondere bei Lastenträgern im Hafenumschlag, in Schlachthöfen und im s...

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