Entscheidungsstichwort (Thema)
Fehlerhafte Nichtzulassung der Berufung
Orientierungssatz
1. Die fehlerhafte Nichtzulassung der Berufung stellt grundsätzlich auch keinen Verfahrensmangel dar, auf dem das Sozialgerichtsurteil beruhen kann. Ob dies ausnahmsweise dann nicht gilt, wenn die Nichtzulassung willkürlich erfolgt ist oder sonst Grundrechte des Beteiligten verletzt, ist vom BSG zwar erwogen, bisher aber nicht abschließend entschieden worden, insbesondere nicht, ob in der willkürlichen Nichtzulassung der Berufung ein Verfahrensmangel iS von § 150 Nr 2 SGG zu sehen ist, der - jedenfalls auf eine entsprechende Rüge hin - zur Zulässigkeit der Berufung führt (vgl BSG vom 18.12.1985 - 9a RVs 8/85 = SozR 1500 § 150 Nr 27 = SGb 1986, 108).
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Gründe vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 29.7.1988 1 BvR 679/88).
Normenkette
SGG §§ 146, 150 Nr 2; GG Art 3 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 21.07.1987; Aktenzeichen L 12 An 4/87) |
SG Berlin (Entscheidung vom 26.11.1986; Aktenzeichen S 13 An 290/86) |
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem vorbezeichneten Urteil des Landessozialgerichts (LSG) ist unzulässig.
Nach § 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist die Revision ua zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (Nr 3). In der Begründung der Beschwerde muß die grundsätzliche Bedeutung dargelegt und der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es hier.
In der Sache geht es um eine Vorverlegung des Rentenbeginns vom 1. Januar 1985 auf den 1. Dezember 1977. Für die Klägerin sind mit Beschluß des Amtsgerichts Straubing vom 29. September 1983 im Wege des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs zu Lasten der Versorgungsansprüche ihres früheren Ehemannes bestimmte Rentenanwartschaften - bezogen auf den 30. November 1977 (Ende der Ehezeit) - begründet worden. Ausschließlich aus diesen Anwartschaften wurde der Klägerin ab 1. Januar 1985 Altersruhegeld gewährt, nachdem der Beschluß des Amtsgerichts Straubing nach Zurückweisung einer Beschwerde am 14. Dezember 1984 rechtskräftig geworden war. Die im anhängigen Verfahren begehrte Vorverlegung des Rentenbeginns auf den 1. Dezember 1977 hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das LSG hat die Berufung der Klägerin als nach § 146 SGG unzulässig erachtet, weil sie nur den Beginn der Rente betreffe. Es hat ferner eine Zulässigkeit der Berufung nach § 150 Nr 1 SGG mit der Begründung verneint, daß das SG die Berufung nicht zugelassen habe und das LSG an diese Entscheidung gebunden sei. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG zulässig, weil die von der Klägerin gerügten Verfahrensmängel nicht durchgriffen. Insbesondere stelle die Nichtzulassung der gesetzlich ausgeschlossenen Berufung keinen Verfahrensmangel dar, selbst wenn - wie die Klägerin meine - die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe. Denn die Frage, ob das SG die Berufung zu Unrecht nicht zugelassen habe, betreffe nicht das Verfahren, sondern den sachlich-rechtlichen Inhalt der Entscheidung.
Die Klägerin rügt mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel, der darin bestehe, daß das LSG statt eines Sachurteils ein Prozeßurteil erlassen habe. Dazu führt sie aus, das LSG wäre an die Nichtzulassung der Berufung durch das SG nicht gebunden gewesen, weil es sich iS von § 150 Nr 1 SGG in der Sache um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung gehandelt habe, nämlich um die Anwendung des § 1587p Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf die Fälle des Quasi-Splittings. Eine willkürliche Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz (GG) und könne auch gegen Art 19 Abs 4 GG und Art 101 Abs 1 Satz 2 GG verstoßen; deshalb müsse das LSG auch in der Sache entscheiden, wenn das SG die Berufung willkürlich nicht zugelassen habe (Hinweis auf BSG SozR 1500 § 150 Nr 27 = SGb 1986, 108).
Damit ist eine Verfahrensrüge iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend "bezeichnet". Dazu ist erforderlich, daß alle den angeblichen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen substantiiert dargelegt werden und geltend gemacht wird, daß das Urteil des LSG auf diesem Verfahrensmangel beruhen kann. Hierzu reicht die bloße Behauptung, das LSG sei an die Entscheidung des SG nicht gebunden gewesen, weil dieses die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache verkannt habe, nicht aus. Das LSG ist grundsätzlich an die Nichtzulassung der Berufung, auch wenn sie rechtswidrig ist, gebunden (BSGE 3, 231 = SozR Nr 17 zu § 150 SGG; SozR Nrn 12 und 19 zu § 150 SGG; SozR 1500 § 150 Nr 1). Die fehlerhafte Nichtzulassung der Berufung stellt grundsätzlich auch keinen Verfahrensmangel dar, auf dem das SG-Urteil beruhen kann (BSG SozR Nrn 17, 38, 39, 40 zu § 150 SGG; Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, Anm 17 zu § 150). Ob dies ausnahmsweise dann nicht gilt, wenn die Nichtzulassung willkürlich erfolgt ist oder sonst Grundrechte des Beteiligten verletzt, ist vom Bundessozialgericht (BSG) zwar erwogen, bisher aber nicht abschließend entschieden worden, insbesondere nicht, ob in der willkürlichen Nichtzulassung der Berufung ein Verfahrensmangel iS von § 150 Nr 2 SGG zu sehen ist, der - jedenfalls auf eine entsprechende Rüge hin - zur Zulässigkeit der Berufung führt (vgl BSG SozR 1500 § 150 Nr 27 = SGb 1986, 108). Auch wenn der Senat davon ausgeht, die Klägerin habe mit ihrem Hinweis auf das vorbezeichnete Urteil geltend machen wollen, die Nichtzulassung der Berufung sei willkürlich erfolgt und habe deshalb gegen § 150 Nr 2 SGG verstoßen, und auch angenommen wird, daß eine solche Rüge auch zur Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG führen kann, genügen ihre Darlegungen nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Dazu hätte die Klägerin dartun müssen, warum die Nichtzulassung der Berufung willkürlich bzw unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar war und daß sie einen entsprechenden Verfahrensmangel bereits vor dem LSG gerügt hat. Hierzu hat die Klägerin nichts vorgetragen; sie hat lediglich dargelegt, warum die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, ohne daß sich daraus Anhaltspunkte entnehmen lassen, warum sich das SG bei seiner Entscheidung über die Nichtzulassung der Berufung von sachfremden, willkürlichen Erwägungen hat leiten lassen.
Auch die Rüge der Klägerin, das Urteil des LSG wie das des SG beruhten insoweit auf einem Verfahrensmangel, als ihnen der Einwand der Rechtskraft entgegengestanden habe, vermag nicht zur Zulassung der Revision zu führen. Die Klägerin trägt hierzu vor, daß das Urteil des SG Berlin die Rechtskraft des Beschlusses des Amtsgerichts Straubing vom 29. September 1983 über die auf den 30. November 1977 bezogene Begründung von Rentenanwartschaften außer Kraft setze, weil es für den Beginn der Rente auf den Zeitpunkt der Rechtskraft der Entscheidung über den Versorgungsausgleich und nicht auf den Zeitpunkt der Scheidung bzw den im Beschluß genannten Zeitpunkt - 30. November 1977 - abgestellt habe. Auch damit ist ein Verfahrensmangel iS von § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht hinreichend bezeichnet. Die Klägerin hat schon nicht dargelegt, daß und inwiefern sich dieser angebliche Mangel im Verfahren des SG auch auf das Verfahren des LSG auswirkt. Da die Berufung bei Streit über den Beginn der Rente nach § 146 SGG ausgeschlossen ist, hätte die Klägerin darlegen müssen, daß sie einen entsprechenden Mangel iS von § 150 Nr 2 SGG vor dem LSG gerügt habe und ein solcher Mangel auch vorliege. Das LSG hat hierzu ausgeführt, der behauptete Mangel liege nicht vor, weil das Familiengericht im Rahmen des Versorgungsausgleichs lediglich über die Übertragung oder Begründung von Rentenanwartschaften, nicht aber über die Gewährung von Renten oder deren Beginn entscheide. Zudem habe die Klägerin verkannt, daß der im Beschluß des Amtsgerichts Straubing vom 29. September 1983 in bezug genommene Zeitpunkt - 30. November 1977 - lediglich das Ende der Ehezeit gemäß § 1587 Abs 2 BGB betreffe, ohne daß davon die Entstehung des Rentenanspruchs oder der Beginn der Rente berührt werde. Zu diesen Erwägungen des LSG hat die Klägerin keine weiteren substantiierten Ausführungen gemacht, insbesondere nicht dazu, inwieweit das SG auch hinsichtlich der vom Zivilgericht entschiedenen "Vorfrage" über die Begründung von Rentenanwartschaften wegen Identität des Streitgegenstandes an dessen Entscheidung gebunden gewesen wäre.
Ist mithin ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nicht formgerecht gerügt worden und daher die Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der vom LSG getroffenen prozessualen Entscheidung unzulässig, kann auch der weiter geltend gemachte Zulassungsgrund einer die Sachentscheidung betreffenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nicht zur Zulässigkeit der Revision führen, selbst wenn diese Rechtsfrage klärungsbedürftig wäre. Denn zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage müßte ihre Klärungsfähigkeit hinzutreten. Daran fehlt es, wenn das Revisionsgericht nach einer wegen einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage zugelassenen Revision über diese nicht sachlich entscheiden könnte, weil dem ein von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel entgegensteht. Ist das Revisionsgericht mangels einer die Verwerfung der Berufung betreffenden zulässigen Beschwerde an diese Entscheidung gebunden, kommt eine Entscheidung für die nach Meinung der Klägerin klärungsbedürftigen sachlich-rechtlichen Fragen nicht in Betracht. Damit fehlt der Rechtssache eine grundsätzliche Bedeutung.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist somit mangels formgerechter Darlegung eines Zulassungsgrundes in entsprechender Anwendung des § 169 Satz 3 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen