Entscheidungsstichwort (Thema)

Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung

 

Orientierungssatz

Abweichen kann der Tatsachenrichter von bestimmten Aussagen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, indem er selbst eine andere rechtliche Aussage macht oder indem er stillschweigend von einer anderen rechtlichen Aussage ausgeht. Hinter seiner Rechtsanwendung muß dann aber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende rechtliche Auffassung erkennbar sein.

 

Normenkette

SGG § 160 Abs 2 Nr 2, § 160a Abs 2 S 3

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 05.11.1987; Aktenzeichen L 4 J 211/85)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG) vom 5.November 1987 ist als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger seine Beschwerde nicht substantiiert begründet hat.

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, wenn das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Der Kläger hat sich darauf gestützt, daß das angefochtene Urteil von Entscheidungen des BSG abweiche (Divergenz) und daß das LSG den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt habe (Verfahrensmangel). Nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG muß in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch die Entscheidung, von der das Urteil des LSG abweicht oder der Verfahrensmangel "bezeichnet" werden. Seiner Last, nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG, die Abweichung von einer oberstgerichtlichen Entscheidung zu bezeichnen, genügt der Beschwerdeführer nur dann, wenn er darlegt, mit welcher konkreten Aussage das angegriffene Urteil von der höchstrichterlichen Entscheidung abgewichen ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 29). Das hat der Kläger nicht getan.

Nach seiner Auffassung weicht das LSG von den Urteilen des BSG vom 9. September 1986 - 5b RJ 50/84 -, 25. Juni 1987 - 5b RJ 82/86 - und 30. September 1987 - 5b RJ 20/86 - ab. Eine Abweichung liegt aber nicht schon in einer materiell-rechtlich unzutreffenden Subsumierung, sondern darin, daß das LSG von einer Rechtsmeinung ausgeht, die mit der des Revisionsgerichts unvereinbar ist. Die Revisionszulassung dient der Rechtseinheit, nicht in erster Linie der Berichtigung materiell unrichtiger Urteile. Der Tatrichter, der - nach Auffassung des Beschwerdeführers - eine unrichtige Subsumtion vorgenommen hat, ist damit noch nicht im Sinne des Rechts der Nichtzulassungsbeschwerde von einer oberstgerichtlichen Entscheidung abgewichen. Abweichen kann der Tatsachenrichter von bestimmten Aussagen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung, indem er selbst eine andere rechtliche Aussage macht oder indem er stillschweigend von einer anderen rechtlichen Aussage ausgeht. Hinter seiner Rechtsanwendung muß dann aber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichende rechtliche Auffassung erkennbar sein. Der Beschwerdeführer hat deshalb auch darzulegen, welche konkrete rechtliche, von einer Entscheidung des BSG abweichende Aussage das angefochtene Urteil getroffen hat. Er hat im einzelnen darzutun, daß es sich nicht nur um eine falsche Subsumtion handelt, sondern daß die angegriffene Rechtsanwendung auf einem vom Tatsachengericht unterstellten Rechtssatz beruht, der den Aussagen höchstrichterlicher Urteile widerspricht. Der Beschwerdeführer hat den vom Tatsachengericht zugrunde gelegten, der höchstrichterlichen Rechtsprechung widersprechenden, Rechtssatz sichtbar zu machen.

Diesen Voraussetzungen genügt die Beschwerdebegründung des Klägers nicht. In den vom Kläger genannten Urteilen des BSG ist zwar davon ausgegangen worden, daß widersprüchliche Tatsachenfeststellungen das Revisionsgericht nicht binden. Die Tatsachenfeststellung kann im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nur unter den engen Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG angegriffen werden, also dann, wenn das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Diese Voraussetzungen sind nicht dargetan.

Der Verfahrensmangel der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs ist nicht bezeichnet. Aus dem Urteil des LSG ergibt sich, daß schon die Beklagte mit der Berufung vorgetragen hatte, der Kläger sei auf die Tätigkeiten des Hausmeisters und Tankstellenkassierers verweisbar. Daß das LSG dann den Anforderungen dieser Verweisungstätigkeiten anhand von Tarifverträgen nachgehen werde, war erkennbar. Der Kläger ist durch die Entscheidung des LSG insoweit nicht überrascht worden.

Die Beschwerde ist damit als unzulässig zu verwerfen (§§ 202 SGG, 574 Zivilprozeßordnung). Einer Beiziehung der ehrenamtlichen Richter bedurfte es nicht (§ 169 SGG analog).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647190

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