Verfahrensgang
LSG Berlin (Urteil vom 08.10.1965) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 1965 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Hinterbliebenenrente nach § 42 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, das Sozialgericht (SG) und das Landessozialgericht (LSG) teilten die Rechtsauffassung der Beklagten. Mit der Revision verfolgt die Klägerin den Rentenanspruch weiter.
Die Revision ist nicht statthaft. Weder hat das LSG sie im angefochtenen Urteil zugelassen noch hat die Klägerin einen Verfahrensmangel gerügt, der geeignet ist, die Statthaftigkeit der Revision zu begründen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –).
Die Klägerin hält das Verfahren des LSG für fehlerhaft, weil an der mündlichen Verhandlung Rechtsanwalt Dr. Werner T. als Landessozialrichter teilgenommen hat. Die Mitwirkung eines Rechtsanwalts als ehrenamtlicher Richter widerspreche dem Sinn der Errichtung von Kollegialgerichten, denen Nichtberufsrichter angehören. Diese sollen beim Gericht das Laienelement verkörpern, das unbeeinflußt von der Kenntnis der materiellen Vorschriften nur unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung das Recht finden soll. Mit diesem Grundsatz sei aber, wie die Regelungen in neueren Verfahrens Ordnungen erkennen ließen, der Einsatz eines Rechtsanwalts unvereinbar.
Mit der Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Gerichts wegen Mitwirkung eines ehrenamtlichen Beisitzers, der nicht zu diesem Amt hätte berufen werden dürfen, hat sich das Bundessozialgericht (BSG) schon wiederholt befaßt. Die Rüge ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das Fehlen der erforderlichen Voraussetzungen für die Berufung in das Amt eines ehrenamtlichen Richters in einem besonderen Verfahren nach §§ 22, 35 SGG zu überprüfen ist (Urteile vom 23. Januar 1957 – 6 RKa 3/55 – BSG 4, 242; vom 22. März 1962 – 10 RV 275/60 – SozR Da 5 Nr. 9 zu SGG § 33 = NJW 1962, 1462; vom 23. März 1965 – 11 RA 64/64 – BSG 23, 26 und vom 28. Mai 1965 – 6 RKa 2/65 – BSG 23, 105). Jedoch ist die von der Klägerin behauptete Vorschriftswidrigkeit nicht dargetan; ihr Vortrag ergibt nicht, daß Rechtsanwalt Dr. T. von der Mitwirkung bei der Entscheidung des Berufungsgerichts ausgeschlossen war.
Die ehrenamtlichen Richter der Sozialgerichtsbarkeit sind nicht – wie etwa die Schöffen und Geschworenen bei den Strafgerichten – „Laien” oder „Laienrichter” im üblichen Sinne; sie werden vom Gesetz auch nicht so bezeichnet. Sie sind vielmehr – ähnlich wie die Arbeitsrichter und Handelsrichter – sachkundige Beisitzer mit bestimmten Eigenschaften. Jedem Spruchkörper sind besondere Gruppen ehrenamtlicher Richter zugeordnet; beim Berufungsgericht gehören den Senaten für Angelegenheiten der Sozialversicherung je ein Landessozialrichter dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber an (§§ 12 Abs. 2, 16 Abs. 2, 31 Abs. 1, 33 Satz 2, 35 Abs. 1 Satz 2 SGG). Bei den ehrenamtlichen Beisitzern dieses Spruchkörpers – wie auch aller sonstigen Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit – fordert das Gesetz über die allgemeinen Voraussetzungen hinaus eine besondere Sachkenntnis, die sieh aus der Zugehörigkeit zu einer der beiden Personengruppen ergibt. Auf der Richterbank der Sozialgerichtsbarkeit gibt es also nicht den Unterschied „Berufsrichter” und Beisitzer in dem Sinne, daß der Beisitzer als „Laie” neben dem Berufsrichter entscheidet. Dieses Begriffspaar ist der Sozialgerichtsbarkeit fremd; hier können auch Volljuristen, die über die besondere Qualifikation verfügen, ehrenamtliche Beisitzer sein. So hat der Senat bereits entschieden, daß ein früherer Berufsrichter der Sozialgerichtsbarkeit, der jetzt im Ruhestand lebt (nicht dagegen auch ein aktiver Berufsrichter!), Bundessozialrichter sein kann (Beschluß vom 16. Dezember 1959 – 1 S 7/59 – BSG 11, 181). Entgegen der Meinung der Revision war also Dr. T. nicht schon deshalb von der Mitwirkung als ehrenamtlicher Richter beim Berufungsgericht ausgeschlossen, weil er als Rechtsanwalt nicht „Laie” ist. Auch ist weder behauptet worden noch besteht ein Anhalt dafür, daß ihm die für die Mitwirkung beim Berufungsgericht erforderliche Qualifikation gefehlt habe, daß er also weder dem Kreis der Arbeitgeber noch dem der Versicherten angehört habe, oder daß persönliche Ausschlußgründe nach § 17 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGG bei ihm vorgelegen hätten.
Ebensowenig sind sonstige Gründe ersichtlich, nach denen Rechtsanwälte als solche allgemein oder für besondere Sachgebiete vom Amt des (Landes-)Sozialrichters ausgeschlossen sind. In § 17 SGG sind sie nicht genannt. Die hier in Abs. 2 und Abs. 3 angeführten beruflichen Ausschlußgründe treffen auf sie nicht zu. Zwar sind diese Ausschlußgründe nicht erschöpfend. So können – wie das BSG entschieden hat – auch (aktive) Berufsrichter aller Gerichtsbarkeiten – obwohl in § 17 SGG nicht genannt – nicht gleichzeitig ehrenamtliche Beisitzer in einem Spruchkörper der Sozialgerichtsbarkeit sein (SozR Da 3 Nr. 3 zu SGG § 17 und Da 5 Nr. 9 zu SGG § 33); ebensowenig können aktive Bedienstete der Versorgungsverwaltung als ehrenamtliche Beisitzer in den Spruchkörpern für Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung mitwirken (BSG 12, 237). Die diesen Entscheidungen zugrunde liegenden Erwägungen sprechen aber nicht gegen die Mitwirkung von Rechtsanwälten als ehrenamtliche Richter in der Sozialgerichtsbarkeit; ihre Hinzuziehung steht weder mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen des Rechtsstaats in Widerspruch noch ist sie mit dem Wesen der ehrenamtlichen Richtertätigkeit unvereinbar. Zwar sind Rechtsanwälte (und andere Personen, die fremde Rechtsangelegenheiten geschäftsmäßig betreiben) als ehrenamtliche Richter in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit (§ 22 Nr. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung) und in der Finanzgerichtsbarkeit (§ 19 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung) zwingend ausgeschlossen; auch sollen Rechtsanwälte nicht in das Amt des Schöffen oder Geschworenen bei den Strafgerichten berufen werden (§§ 34 Nr. 4, 84 GVG). In diesen Vorschriften tritt aber – entgegen der Meinung der Revision – kein die gesamte Rechtsordnung beherrschender einheitlicher Grundgedanke zutage. So sind Rechtsanwälte auch nicht allgemein vom Amt des Arbeitsrichters ausgeschlossen; sie gehören weder zu den Personen, die unfähig für dieser Amt sind, noch zu den Personen, die nicht zu diesem Amt berufen werden sollen (§ 21 des Arbeitsgerichtsgesetzes). Das gleiche gilt für das Amt des Handelsrichters (§ 109 GVG). Die Grundsätze, nach denen in den einzelnen Gerichtsbarkeiten die ehrenamtlichen Richter ausgewählt und berufen werden, sind sehr unterschiedlich. Aus den in der Verwaltungsgerichtsordnung und in der Finanzgerichtsordnung getroffenen Regelungen können daher keine Schlüsse auf die Richteramtsfähigkeit in anderen Gerichtsbarkeiten gezogen werden. Zwar wird der Ausschluß der Rechtsanwälte in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und in der Finanzgerichtsbarkeit mit der allgemeinen, Gefahr einer Interessenkollision begründet, in die ein Anwalt als Prozeßbevollmächtigter von Beruf geraten kann, wenn er auch das Richteramt wahrnimmt. Eine ähnliche allgemeine Gefahr hat aber das SGG bewußt in Kauf genommen, indem es die Sozialrichter für die einzelnen Spruchkörper gerade den besonders interessierten Gruppen entnimmt (§ 12 Abs. 2 bis 4 SGG). Auch die allgemeine Gefahr möglicher Interessenkollision, die bei den nach § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG als Prozeßbevollmächtigte zugelassenen Personengruppen entstehen könnte, hat nicht dazu geführt, diese schlechthin vom Amt des Sozialrichters auszuschließen. Gegen die (konkrete) Gefahr einer Interessenkollision im Einzelfall bieten aber die in § 60 SGG genannten Vorschriften über den Ausschluß und die Ablehnung von Gerichtspersonen ausreichenden Schutz. Es ist freilich möglich, daß ein Rechtsanwalt oder eine der in § 166 Abs. 2 Satz 1 SGG genannten Personen so oft als Prozeßbevollmächtigter im sozialgerichtlichen Verfahren auftritt, daß der Fall konkreter Interessenkollision häufig gegeben ist. Läßt sich dies voraussehen, so ist es Sache der Stellen, welche die ehrenamtlichen Richter vorzuschlagen und zu berufen haben, solche Bedenken zu berücksichtigen, möglicherweise auch Sache der Berufenen selbst. Diese Gründe führen aber nicht zum generellen Ausschluß vom Amt des ehrenamtlichen Richters in der Sozialgerichtsbarkeit.
Soweit die Klägerin den Verzicht des Berufungsgerichts auf die (nochmalige) Vernehmung der Zeugin G. bemängelt, entspricht ihr Vortrag nicht den Anforderungen, die § 164 Abs. 2 SGG an die Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels stellt. Die Klägerin gibt insoweit weder die verletzte Rechtsnorm an noch bezeichnet sie hinreichend die Tatsachen und die Beweismittel, die einen Verfahrensmangel ergeben. Sollte die Klägerin eine Rüge aus § 103 SGG (mangelnde Sachaufklärung) beabsichtigt haben, so wäre es erforderlich gewesen, die Gründe anzugeben, aus denen das LSG von seiner Rechtsauffassung her zur Aufklärung weiterer tatsächlicher Umstände verpflichtet war. Solche Ausführungen enthält die Revisionsbegründung nicht.
Schließlich können auch die Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG die Revision nicht statthaft machen. Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen die Denkgesetze darin, daß das LSG ihre Einlassung in der mündlichen Verhandlung über die vom Versicherten erhaltenen Geldbeträge unzutreffend gewertet habe. Die Beträge von 40 bis 70 DM, die sie in Abständen von ca. sechs Wochen vom Versicherten erhalten habe, hätten entgegen der Meinung des LSG unmöglich den Beitrag des Versicherten zur gemeinsamen Lebensführung ausgemacht; vielmehr müsse der Haushalt, wie sich auch aus einem Vergleich der Höhe der beiderseitigen Renteneinkünfte ergebe, überwiegend vom Versicherten bestritten worden sein. Um einen Verstoß gegen die Denkgesetze zu rügen, wäre es aber erforderlich gewesen, in der Revisionsbegründung die Gedankenkette des LSG, die zu der ablehnenden Entscheidung geführt hat, vollständig wiederzugeben und auszuführen, an welcher Stelle und wodurch sich die Gedankenführung des LSG zu allgemeinen Denkgesetzen in Widerspruch setzt (Beschluß vom 24. Januar 1961 – 1 RA 162/61 – SozR Da 18 Nr. 47 zu § 164 SGG). Die Revisionsbegründung der Klägerin gibt jedoch nur ein Teilstück aus den Erwägungen des LSG wieder. In der Berechnung, die sie für den Beitrag des Versicherten zu den gesamten Lebenshaltungskosten für richtig hält, sind auch wesentliche Punkte, wie z. B. der vom LSG berücksichtigte Wert der Haushaltsführung der Klägerin übergangen. Ein Verstoß des LSG gegen die Gesetze des richtigen Denkens ist daher nicht schlüssig aufgezeigt.
Hiernach ist die Revision der Klägerin nicht statthaft; das Rechtsmittel muß daher als unzulässig verworfen werden (§§ 169, 193 SGG).
Unterschriften
Schneider, Heyer, Dr. Haug
Fundstellen
Haufe-Index 927514 |
NJW 1966, 1987 |
MDR 1966, 877 |