Leitsatz (amtlich)

Wird dem Prozeßbevollmächtigten eine Akte zur Erledigung einer fristgebundenen Prozeßhandlung vorgelegt, so hat er selbst zu prüfen, ob die maßgebende Frist gewahrt ist, und ggf alle vorhandenen und zumutbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Prozeßhandlung noch vor Fristablauf zu vollziehen.

 

Normenkette

SGG § 67 Abs 1, § 164 Abs 2 S 1, § 164 Abs 2 S 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.09.1987; Aktenzeichen L 3 U 103/86)

SG Speyer (Entscheidung vom 05.09.1985; Aktenzeichen S 11 U 60/84)

 

Gründe

Die Kläger haben gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. September 1987 fristgerecht Revision eingelegt. Auf Antrag der Kläger ist gemäß § 164 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Frist zur Begründung der Revision bis zum 25. Januar 1988 verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 25. Januar 1988 - eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am folgenden Tag - haben die Kläger die Revision wie folgt begründet:

"... nehmen wir bezüglich der Begründung der Revision vom 03.11.87 vollinhaltlich auf die Ausführungen der Rechtsanwälte N          und Kollegen in deren Schriftsatz vom 21.01.88 Bezug. Diese Ausführungen werden zum Gegenstand des klägerischen Vorbringens gemacht. Vorsorglich überlassen wir anliegend Schriftsatz vom 21.01.88 in beglaubigter Kopie."

Der Senat hat durch Beschluß vom 4. Februar 1988 die Revision als unzulässig verworfen, da die Revisionsbegründung erst am Tage nach Ablauf der - verlängerten - Revisionsbegründungsfrist beim BSG eingegangen ist. Mit einem am 24. Februar 1988 beim BSG eingegangenen Schriftsatz vom 23. Februar 1988 haben die Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt, da die geschulte und regelmäßig kontrollierte zuverlässige Bedienstete ihrer Prozeßbevollmächtigten es weisungswidrig unterlassen habe, die Akte am 20. Januar 1988 vorzulegen. Die Kläger haben eine eidesstattliche Versicherung der Angaben der Büroangestellten ihrer Prozeßbevollmächtigten vorgelegt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision ist abzulehnen. Einer Wiedereinsetzung steht allerdings nicht schon entgegen, daß die Revision bereits wegen Fristversäumnis als unzulässig verworfen worden ist (BSG SozR Nr 1 zu § 67 SGG, SozR 1500 § 67 Nr 5).

Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 Abs 1 SGG). Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten steht dem des Beteiligten gleich (BSG SozR 1500 § 67 Nrn 1, 10; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl, § 67 RdNr 3a; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Aufl, S 238e). Dagegen ist bei Verschulden einer ausreichend geschulten, unterrichteten und überwachten Hilfsperson des Prozeßbevollmächtigten eine Wiedereinsetzung möglich (BSG SozR Nrn 16 und 23 zu § 67 SGG; Meyer-Ladewig aaO § 67 RdNr 8; Brackmann aaO). Der Senat geht zugunsten der Kläger davon aus, daß die Akte ihren Prozeßbevollmächtigten durch eine ausreichend geschulte, unterrichtete und überwachte Bürobedienstete weisungswidrig erst am 25. Januar 1988 vorgelegt worden ist. Die Prozeßbevollmächtigten der Kläger haben aber dennoch nicht ohne ihr Verschulden die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Erhält ein Rechtsanwalt eine Akte zur Erledigung einer fristgebundenen Prozeßhandlung - hier der Revisionsbegründung - vorgelegt, so hat er selbst zu prüfen, ob die maßgebende Frist gewahrt ist (BGH NJW 1976, 627, LM Nrn 33, 41 zu § 233 (Fc) ZPO; Hennig/Danckwerts/König, SGG, § 67 Anm 3.6). Es bedarf insoweit keiner Entscheidung ob die Prozeßbevollmächtigten der Kläger nicht erkannt haben, daß die Revision bereits am Tage der Aktenvorlage ablief. Dafür spricht, daß sie mit der mit gewöhnlichem Brief abgesandten und deshalb innerhalb der Revisionsbegründungsfrist sicher das BSG nicht mehr erreichenden Revisionsbegründung nicht zugleich Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist beantragt haben. In diesem Fall ist es ihr Verschulden, nicht den drohenden Fristablauf und dadurch nicht die für eine Fristwahrung noch möglichen Schritte erkannt zu haben. Bei einem drohenden Fristablauf muß der Prozeßbevollmächtigte alle noch vorhandenen und zumutbaren Möglichkeiten ausnutzen, um die Prozeßhandlung noch vor Fristablauf zu vollziehen. Die Prozeßbevollmächtigten der Kläger hätten telegrafisch eine weitere Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist beantragen können (BSG SozR 1500 § 67 Nr 16; Meyer-Ladewig aaO § 164 Rdn 8, § 67 Rdn 9). Sie haben zudem die Revision in ihrem Schriftsatz vom 25. Januar 1988 mit der Bezugnahme auf die Revisionsbegründung des durch einen anderen Prozeßbevollmächtigten vertretenen Klägers D       P     begründet. Dies ist zulässig (BSGE 16, 227, 229; Hennig/Danckwerts/König aaO § 164 Anm 3). Den Prozeßbevollmächtigten der Kläger wäre es deshalb auch noch am 25. Januar 1988 möglich und zumutbar gewesen, die fünf Zeilen umfassende Revisionsbegründung statt in dem Schriftsatz vom 25. Januar 1988 telegrafisch dem BSG zu übermitteln und durch diese zulässige Form der Revisionsbegründung (BGHZ 87, 63, 64; Meyer-Ladewig aaO § 164 Nr 9) die Frist zu wahren. Somit ist die Revisionsbegründungsfrist auch dann nicht ohne Verschulden versäumt worden, wenn die Bevollmächtigten der Kläger auf Grund ihrer Prüfung bei Vorlage der Akte den Ablauf der maßgebenden Frist am 25. Januar 1988 bemerkt und es irrtümlich unterlassen haben, die noch gegebenen fristwahrenden Möglichkeiten für eine rechtzeitige Revisionsbegründung zu nutzen.

Es bleibt daher bei dem Beschluß des Senats vom 4. Februar 1988.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659391

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?