Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung. Recht auf Beitragserstattung

 

Orientierungssatz

1. Von grundsätzlicher Art ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Sie muß also der Verallgemeinerung fähig sein und ihre Entscheidung muß im allgemeinen Interesse liegen, weil durch sie das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickelt oder vereinheitlicht werden. Auch in der Frage, ob eine Vorschrift verfassungsmäßig ist, kann eine grundsätzliche Bedeutung liegen (vgl BSG 22.10.1975 8 BU 88/75 = SozR 1500 § 160a Nr 17). Die Rechtsfrage muß aber klärungsbedürftig und klärungsfähig sein.

2. Es ist sachgerecht und nicht willkürlich, wenn der Gesetzgeber in § 1303 RVO nur dem bisher Versicherten ein Recht auf Beitragserstattung eingeräumt hat, der kein Recht auf freiwillige Versicherung hat und der damit seine Versicherung nicht weiter zu einem wirksamen sozialen Schutz ausbauen kann.

 

Normenkette

RVO § 1303 Abs 1 S 1; SGG § 160a Abs 2 S 3 Alt 1; GG Art 3 Abs 1; GG Art 14

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.06.1988; Aktenzeichen L 2 J 496/86)

 

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen vom 15. Juni 1988 ist unzulässig, weil der Kläger die Beschwerde nicht substantiiert begründet hat.

Die Revision kann nur aus den in § 160 Abs 2 Nrn 1 bis 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) genannten Gründen - grundsätzliche Bedeutung, Divergenz oder Verfahrensfehler - zugelassen werden. Der Kläger hat sich auf grundsätzliche Bedeutung gestützt. In der Beschwerdebegründung muß jedoch die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache "dargelegt" werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Daran fehlt es in der Beschwerdebegründung des Klägers. Der Kläger sieht die Frage als klärungsbedürftig an, ob § 1303 Reichsversicherungsordnung (RVO) gegen die Artikel 3 und 14 des Grundgesetzes (GG) verstößt, weil dem Versicherten, der nicht mehr versicherungspflichtig ist, nicht ein Wahlrecht eingeräumt wird, aufgrund dessen er sich entscheiden kann, ob er seine Rechte aus der Versicherung behalten oder seine Beiträge zurückverlangen will. Es sei kein Grund dafür ersichtlich, warum dem Kläger kein Wahlrecht eingeräumt werde des Inhalts, daß er in der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibe mit den Rechten, die er aus der freiwilligen Wartezeit erworben habe oder aber dieselbe verlasse mit den sich daraus für ihn ergebenden Risiken. Diese Ausführungen des Klägers entsprechen nicht den Anforderungen an die den Beschwerdeführer treffende Obliegenheit, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache darzulegen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

Von grundsätzlicher Art ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt. Sie muß also der Verallgemeinerung fähig sein und ihre Entscheidung muß im allgemeinen Interesse liegen, weil durch sie das Recht oder die Rechtsanwendung fortentwickelt oder vereinheitlicht werden. Auch in der Frage, ob eine Vorschrift verfassungsgemäß ist, kann eine grundsätzliche Bedeutung liegen (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 6 und 11). Die Rechtsfrage muß aber klärungsbedürftig und klärungsfähig sein. Die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit einer Vorschrift reicht daher nicht aus (BSG SozR 1500 § 160 Nr 6). Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn ihre Beantwortung so gut wie unbestritten ist. Zur Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage ist im einzelnen darzulegen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung der Rechtsfrage umstritten ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17). § 1303 RVO gilt, wenn auch in Einzelheiten verändert, seit 1957. Es wäre Sache des Klägers darzutun, wann und mit welcher Begründung § 1303 RVO bereits als verfassungswidrig dargestellt worden ist.

Auf dem zwangsweisen Zusammenschluß aller vom Gesetz näher bezeichneten abhängig Beschäftigten zu einer Solidargemeinschaft der Versicherten beruht die soziale Sicherheit eines Großteils der Bevölkerung (vgl § 4 Sozialgesetzbuch 1. Buch; § 2 Sozialgesetzbuch 4. Buch; § 1227 RVO). Es liegt auf der Hand, daß dieses System zerstört würde, wenn denen ein Recht auf Beitritt und auf Austritt aus der Versicherung eingeräumt würde, die einerseits grundsätzlich den Schutz der Versicherung benötigen, andererseits zum Zwecke ihres eigenen Schutzes und dem der mit ihnen in einer Solidargemeinschaft Stehenden zu Beiträgen herangezogen werden können, weil sie Lohn beziehen. Ebenso kann nicht unbeschränkt ein Recht auf Rückerstattung der Beiträge gewährt werden, wenn ein bisher Versicherter nicht mehr versicherungspflichtig tätig ist. Wenn der Gesetzgeber nur dem bisher Versicherten ein Recht auf Beitragserstattung eingeräumt hat, der kein Recht auf freiwillige Versicherung hat und der damit seine Versicherung nicht weiter zu einem wirksamen sozialen Schutz ausbauen kann, so ist das sachgerecht und nicht willkürlich. Der Kläger hat die Möglichkeit, sich weiter zu versichern. Er ist zwar nunmehr Beamter, hat jedoch schon mehr als 60 Monate Beiträge entrichtet (§ 1233 Abs 1a RVO). Vom Kläger ist weder dargelegt worden, welches durch Artikel 14 GG geschützte Recht ihm entstanden und durch § 1303 RVO entzogen worden sein soll und worin die Willkürlichkeit, also der Verstoß gegen Artikel 3 Abs 1 GG in § 1303 RVO liegen soll. Die von ihm geäußerte Meinung, es müsse ihm überlassen werden, das Risiko einer Aufhebung seiner Versicherung auf sich zu nehmen, reicht angesichts der dargelegten Gesichtspunkte nicht aus.

Die Beschwerde des Klägers ist damit unzulässig und durch Beschluß ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 202 SGG iVm § 574 Zivilprozeßordnung -ZPO- und § 169 SGG analog; vgl BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1, 5; BVerfG aaO Nr 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653548

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