Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 30.10.1969) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 30. Oktober 1969 wird zurückgewiesen, soweit es nicht den verstorbenen Beigeladenen zu Nr. 24… betrifft.
Der Kläger hat den Beigeladenen – mit Ausnahme des Beigeladenen zu Nr. 24 – die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die beigeladenen Lohnschlächter und Störnäherinnen wohnen im Landkreis Friedberg. Die Lohnschlächter sind am Schlachthof Augsburg beschäftigt; dort bestehen drei Gruppen von Lohnschlächtern, nämlich die Großviehschlächter, die Schweineschlächter und die Lohnschlächter der Firma … & … in Stuttgart. Die beigeladenen Lohnschlächter gehören den beiden ersten Gruppen an. Sie arbeiten gruppenweise im Fließbandverfahren in der Weise zusammen, daß sie die Schlachtaufträge der Metzgermeister in der Regel von mehreren Schlächtern erledigen lassen. Die Vergütungen zahlen die Auftraggeber auf ein gemeinsames Konto der Gruppe ein. Das Geld wird unter die Lohnschlächter in der Regel gleichmäßig aufgeteilt. Jede Gruppe hat einen Obmann, der von den Mitgliedern aus den eigenen Reihen gewählt wird und dem außer der Mitarbeit bei den Schlachtungen die Erledigung bestimmter organisatorischer Arbeiten obliegt wie die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuern und das Einkaufen und Verwerten der Beitragsmarken zur Rentenversicherung. Für seine zusätzliche Arbeit erhält der Obmann 10 DM mehr in der Woche als die anderen Mitglieder der Gruppe. Die Urlaubszeiten werden von den Angehörigen der Gruppe untereinander vereinbart. Die Arbeitsgeräte und Arbeitskleidung hat jedes Mitglied selbst zu besorgen.
Die Beklagte forderte vom Kläger mit Bescheid vom 6. September 1963 gemäß § 453 der Reichsversicherungsordnung (RVO) die Arbeitgeberanteile zur Krankenversicherung für die Beigeladenen hinsichtlich der Zeit vom 1. Januar 1962 bis 30. Juni 1963 im Gesamtbetrag von 6.161,02 DM. Diesen Betrag hat der Kläger im Dezember 1963 unter dem Vorbehalt einer anderweitigen Entscheidung des Sozialgerichts (SG) bezahlt.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 1963 forderte die Beklagte vom Kläger für die Beigeladenen die Arbeitgeberanteile zur Krankenversicherung für das 3. Vierteljahr 1963 im Betrag von 1.083,47 DM. Mit weiterem Bescheid vom 19. Februar 1964 forderte sie die Arbeitgeberanteile für das 4. Vierteljahr 1963 im Betrag von 1.079,98 DM und durch Bescheid vom 4. Juni 1964 für das 1. Vierteljahr 1964 im Betrag von 989,30 DM.
Auf den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide wies die Beklagte den Widerspruch hinsichtlich der Beigeladenen Cäzilie … als unbegründet, im übrigen als unzulässig zurück. Außer der Beigeladenen … sei der Widerspruch unzulässig, weil die Versicherungspflicht dieser Personen durch den nicht angefochtenen Bescheid vom 6. September 1963 schon bindend festgestellt worden sei. Für die erst ab 1. August 1963 in das Mitgliederverzeichnis eingetragene Frau … seien erstmals mit Bescheid vom 30. Oktober 1963 Beiträge gefordert worden. Frau … sei unständig beschäftigte Störnäherin und deshalb versicherungspflichtig.
Nach Vernehmung von Zeugen über die Art. und Weise der Tätigkeit der beigeladenen Lohnschlächter hat das SG die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage gegen die Beitragsforderungsbescheide der Beklagten abgewiesen wird. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage gegen die Bescheide vom 30. Oktober 1963, 19. Februar und 4. Juni 1964 sei nicht nur hinsichtlich der beigeladenen Störnäherin … sondern aller Beigeladenen zulässig. Der Zulässigkeit stehe nicht entgegen, daß der Bescheid der Beklagten vom 6. September 1963 verbindlich geworden sei. Durch diesen Bescheid seien Beiträge für eine frühere Zeit als in den angefochtenen Bescheiden gefordert worden. Die beigeladenen Lohnschlächter gehörten zu den unständig Beschäftigten (§ 441 RVO). Sie ständen bei den Metzgermeistern, deren Tiere sie im Schlachthof schlachteten, in abhängiger Arbeit. Bei den Schlächtergruppen handelte es sich um sog. Eigengruppen. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, daß die Lohnschlächter beim Schlachten der Tiere an Weisungen der Auftraggeber gebunden seien. Der Obmann habe nur eine gewisse organisatorische Verantwortung. Die Tätigkeit der Lohnschlächter sei der Natur der Sache nach nicht auf die Herbeiführung eines bestimmten Erfolges oder Werkes gerichtet, sondern auf eine Dienstleistung. Die beigeladenen Frauen seien als Störnäherinnen im Sinne der Entscheidung des Senats vom 13. Februar 1962 (BSG 16, 158, 164) anzusehen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt und zur Begründung ausgeführt, der Bundesfinanzhof habe in seinem Urteil vom 14. Januar 1965 (Bundessteuerblatt 1965, Teil III, 185) eine entgegengesetzte Meinung vertreten. Die Metzgermeister hätten gegenüber der Schlächtergruppe kein Weisungsrecht, sondern nur einzelne Sonderwünsche hinsichtlich der Zerlegung des Fleisches in Portionen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 23. Dezember 1968 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 1. Juli 1966 sowie die Verwaltungsakte der AOK Augsburg vom 30. Oktober 1963, 19. Februar 1964 und 4. Juni 1964 aufzuheben, soweit der Landkreis Friedberg verpflichtet worden ist, für die Lohnschlächter als unständig Beschäftigte im Sinne von § 453 RVO den gesamten Betrag der Beitragsteile für Arbeitgeber zur Krankenversicherung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist nicht begründet.
Streitgegenstand sind die Bescheide der Beklagten vom 30. Oktober 1963, 19. Februar und 4. Juni 1964 soweit sie die beigeladenen Lohnschlächter betreffen. Das LSG hat zutreffend darauf hingewiesen, daß die Klage gegen diese Bescheide nicht nur bezüglich der beigeladenen Frau … sondern aller Beteiligter zulässig ist. Die Beklagte hat zwar den Kläger bereits durch Bescheid vom 6. September 1963 auf Zahlung von Arbeitgeberanteilen zur gesetzlichen Krankenversicherung für den im wesentlichen selben Personenkreis, für den die vorliegenden Beitragsanforderungen gelten, in Anspruch genommen. Dieser Bescheid ist auch für die Beteiligten bindend im Sinne des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) geworden. Wie die Vorinstanzen jedoch zutreffend entschieden haben, ist diese Bindungswirkung nicht umfassender als die im Verwaltungsakt getroffene Regelung, soweit sie durch den „Verfügungssatz” konkretisiert wird. Dieser Verfügungssatz beschränkt sich jedoch darauf, daß durch ihn vom Kläger Beitragsanteile zu einem bestimmten Zweig der gesetzlichen Sozialversicherung in einer bestimmten Höhe und für einen bestimmten Zeitraum beansprucht werden. Er erstreckt sich nicht auf die Vorfragen der Beitragspflicht, nämlich bei wem die Lohnschlächter, auf die sich die Beitragsforderung bezieht, beschäftigt sind und welcher Art. ihr Beschäftigungsverhältnis – ständig oder unständig – ist, so daß insoweit auch keine Bindungswirkung hinsichtlich der Bescheide eingetreten ist, die Streitgegenstand des jetzigen Prozesses sind.
Die Lohnschlächter sind als unständig Beschäftigte im Sinne des § 441 RVO anzusehen. Zu dem gleichen Ergebnis (im Zusammenhang mit § 1396 Abs. 2, § 1405 RVO) ist auch der 11. Senat in seinem Urteil vom 15. Oktober 1970 (SozR Nr. 15 zu § 1227 RVO) gekommen.
Nach den Feststellungen des LSG, die insoweit nicht mit Revisionsrügen angegriffen und daher für das Revisionsgericht bindend sind, handelt es sich bei den Lohnschlächtergruppen rechtlich um sog. Eigengruppen. Bei diesen haben sich die Arbeitnehmer, bevor sie in Arbeit treten, zu einer Gruppe (Gesellschaft oder nichtrechtsfähiger Verein) zusammengeschlossen, und diese Vereinigung bietet sich dem Arbeitgeber zu Leistungen an. Der Obmann hat lediglich eine gewisse organisatorische Verantwortung im Interesse einer raschen Abwicklung der Aufträge, wird aber nicht als Arbeitgeber oder als „Chef” empfunden. Schlachtaufträge können von jedem Lohnschlächter entgegengenommen werden und werden auch regelmäßig von diesem in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedern seiner Gruppe erledigt. In aller Regel ist als Wille der Beteiligten anzunehmen, daß ein Arbeitsvertrag zwischen den Gruppenmitgliedern und den Auftraggebern hergestellt wird, weil das dem Grundgedanken des Arbeitsrechts als Arbeitnehmerschutzrecht entspricht (vgl. Lammers, WzS 1963, 327, Staudinger/Nipperdey/Mohnen/Neumann, Kommentar z. BGB, Bd. II, Teil 3, 11. Aufl., Vorbem. 273 bis 275 vor § 611; Nikisch, Arbeitsrecht, 3. Aufl., Bd. I, 229, 230). Der Lohnschlächter schuldet – zusammen mit den übrigen Gruppenmitgliedern – den auftraggebenden Schlachtereien die Ausführung der ihm übertragenen Arbeit, also die Tätigkeit als solche, auch wenn diese wie hier auf einen Erfolg, nämlich das Schlachten bzw. Weiterverarbeiten des Schlachtviehs gerichtet ist (vgl. Palandt, Kommentar z. BGB, 20. Aufl., Einführung vor § 611 Anm. 1). Der Inhalt dieser vertraglichen Tätigkeit ist jedoch nicht der Erfolg, sondern allein das „Tätigwerden”, so daß die Voraussetzungen eines Werkvertrages nicht vorliegen.
Zwar erhalten die Lohnschlächter, folgt man der Auffassung der Revision, nur hinsichtlich einzelner Sonderwünsche bezüglich der Zerlegung des Fleisches in Portionen Weisungen; darauf kommt es indessen für die Beurteilung der Tätigkeit der Lohnschlächter wegen der besonderen Ausgestaltung ihrer Arbeit nicht entscheidend an. Ihre berufliche Stellung entspricht der eines Arbeitnehmers und nicht der eines selbständigen Metzgermeisters. Die Lohnschlächter verfügen ebenso wie die in Schlachtereibetrieben tätigen Metzgergesellen weder über eine eigene Betriebsstätte noch über eigenes Betriebskapital. Sie benutzen vielmehr im wesentlichen die Betriebseinrichtungen des Schlachthofes. Daß sie unter Umständen eigenes Handwerkszeug selbst mitbringen, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Persönliches Handwerkszeug haben in gewissem Umfang auch andere Handwerker, z. B. Bauhandwerker. Auch tragen die Lohnschlächter kein eigenes Betriebsrisiko, und sie können Arbeitsleistungen nur für den den Schlachthof benutzenden Schlachtereibetrieb erbringen, sind also nicht in der Lage, ihren Auftrag durch eigene Bemühungen – wie dies bei einem Unternehmer möglich wäre – zu erweitern. Sie sind also auf die Aufträge der Schlachtereien wirtschaftlich angewiesen, wobei wegen der Eigenart der kurzfristigen unständigen Arbeit nicht auf den einzelnen Schlachtereibetrieb, sondern auf die Gesamtheit der Benutzer des Schlachthofs abzustellen ist.
Schließlich ist noch zu berücksichtigen, daß die Lohnschlächter nach den Feststellungen des LSG zur Lohnsteuer herangezogen werden. Zwar ist die Frage, ob Arbeit in abhängiger Stellung geleistet wird, in erster Linie nach Sozialversicherungsrecht und nicht nach Steuerrecht zu beurteilen (vgl. Urteil des Senats in BSG 16, 65, 69 = SozR Nr. 26 zu § 165 RVO; BSG 20, 6, 9). Die Lohnsteuerpflicht ist aber als wesentliches Anzeichen für eine Arbeitnehmerstellung zu beachten (vgl. BSG 16, 289, 295).
Dieser Betrachtungsweise steht das Urteil des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteil vom 14. Januar 1965, aaO) nicht entgegen. Es betrifft in seinem entscheidungserheblichen Teil lediglich die Frage, inwieweit eine Arbeitsgemeinschaft von Lohnschlächtern unter dem Gesichtspunkt der Umsatzsteuerpflicht als selbständige Unternehmerin angesehen werden muß. Insoweit enthält das Umsatzsteuerrecht besondere Vorschriften, die sich mit denen des Sozialversicherungsrechts nicht decken und deshalb auch einer anderen Beurteilung zugänglich sind.
Nach Abwägung aller Tätigkeitsmerkmale sind sonach die Lohnschlächter als unständig „beschäftigte Arbeitnehmer im Sinne des § 441 RVO anzusehen. Der Kläger ist demnach verpflichtet, nach § 453 RVO die Beitragsteile für die Arbeitgeber zu zahlen.
Der Senat konnte nur ein Teilurteil erlassen, da der Beigeladene zu Nr. 24 … verstorben ist und die Rechtsnachfolger das insoweit unterbrochene Verfahren (§ 68 SGG i.V.m. § 239 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung) noch nicht aufgenommen haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen