Entscheidungsstichwort (Thema)

Einmalige Zuwendungen (Tantiemen) während des Bezuges von Krankengeld

 

Leitsatz (amtlich)

Während der Arbeitsunfähigkeit gezahlte einmalige Bezüge, zB Jahres-Tantiemen, die nicht nach RVO § 189 Abs 1 das Ruhen des Anspruchs auf Kranken- oder Hausgeld zur Folge haben, sind auch kein beitragspflichtiges Entgelt iS von RVO § 383 Abs 1 S 2.

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Begriff des Arbeitsentgelts in RVO § 383 Abs 1 und RVO § 189 ist der gleiche.

2. Arbeitsentgelt iS von RVO § 383 Abs 1 S 2 ist nur die Arbeitsvergütung, bei der von vornherein feststeht, daß sie während der Krankheit für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird. Dies ist bei einmaligen Zuwendungen, die für eine Zeit vor der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werden, nicht der Fall.

 

Normenkette

RVO § 189 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1930-07-26, § 383 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1939-12-12

 

Tenor

Die Revision der beigeladenen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 26. Mai 1961 wird zurückgewiesen, soweit es sich um die Beiträge der Arbeitslosenversicherung für die Beigeladenen zu 3) bis 5) handelt.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Gründe

I

Die Klägerin zahlt seit mehreren Jahren an ihre Betriebsangehörigen Tantiemen. Auf diese Zahlungen besteht kein Rechtsanspruch, sie sind weder im Tarifvertrag noch in den einzelnen Anstellungsverträgen erwähnt; die Höhe der Tantiemen wird jeweils nach Abschluß des Geschäftsjahres festgelegt. Sie wurden für das Jahr 1956 am 16. Januar 1957 und für das Jahr 1957 am 10. Januar 1958 gezahlt. An dem Zahlungstermin vom 16. Januar 1957 waren die beigeladenen Arbeitnehmer zu 2) bis 4), am Zahlungstermin vom 10. Januar 1958 war der beigeladene Arbeitnehmer zu 5) länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank gewesen. Nach Ablauf der Sechswochenfrist hatten diese Beigeladenen kein Arbeitsentgelt mehr bezogen. Sie erhielten gleichwohl wie die übrigen Beschäftigten die Tantieme ausgezahlt, jedoch ohne Abzug von Sozialversicherungsbeiträgen.

Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) forderte mit Bescheid vom 25. Juli 1958 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen auf die gezahlten Tantiemen für die Beigeladenen zu 2) bis 5) in Höhe von 341,54 DM. Die Klägerin zahlte nur unter Vorbehalt; ihr Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1958 zurückgewiesen.

Daraufhin hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg Klage erhoben und vorgetragen, die Tantieme sei kein Arbeitsentgelt im Sinne der §§ 383, 189 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Gesetzgeber habe bewußt zwischen Entgelt im allgemeinen (§ 160 RVO) und Arbeitsentgelt im besonderen (§ 383 RVO) unterschieden. Insbesondere aus dem Hinweis auf § 189 RVO in § 383 Abs. 1 Satz 2 RVO folge, daß hier nur das für eine bestimmte Dauer nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit gezahlte Arbeitsentgelt gemeint sei. Die gezahlte Jahres-Tantieme stelle als einmalige Zuwendung ausschließlich eine Belohnung für geleistete Dienste in der Vergangenheit dar. Zudem sei auch die Höhe dieser Tantiemen unabhängig von der Dauer der zufälligerweise eintretenden Arbeitsunfähigkeit. Sie seien damit beitragsfrei nach § 383 Abs. 1 Satz 1 RVO. Das von der Beklagten angewendete Verfahren benachteilige die erkrankten Arbeitnehmer gegenüber den übrigen Beschäftigten, weil bei ihnen derartige einmalige Zuwendungen ohne Berücksichtigung des normalen Arbeitslohnes bis zur Höhe der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze in voller Höhe zur Beitragspflicht herangezogen würden.

Die Beklagte hat erwidert, die Auffassung der Klägerin, daß der Gesetzgeber bewußt einen Unterschied zwischen Entgelt im allgemeinen und Arbeitsentgelt im besonderen gemacht habe, finde im Gesetz keine Stütze. Nach § 383 Abs. 1 Satz 1 RVO bestehe zwar grundsätzlich während der Arbeitsunfähigkeit des Versicherten Beitragsfreiheit, solange die Kasse Krankengeld oder Krankenhauspflege zu gewähren habe. Diese Beitragsfreiheit solle nach Satz 2 jedoch dann entfallen, wenn der Versicherte Arbeitsentgelt erhalte. Bei den Tantiemen handele es sich um Entgelt, welcher im Vorjahre erarbeitet worden und nur zu einem späteren Zeitpunkt zur Auszahlung gekommen sei. Die Klägerin habe hierfür Lohnsteuer entrichtet. Die Lohnsteuerpflicht ziehe auf Grund des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers für Finanzen und des Reichsarbeitsministers über weitere Vereinfachung des Lohnabzuges vom 10. September 1944 (AN 1944, 281 - Gem.Erl. 1944 - ohne weiteres die Beitragspflicht zur Sozialversicherung nach sich.

Das SG hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Rückzahlung von 341,54 DM verurteilt. Die hiergegen von der beklagten AOK und von der beigeladenen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) eingelegten Berufungen sind vom Landessozialgericht (LSG) Hamburg durch Urteil vom 26. Mai 1961 zurückgewiesen worden. Es hat sich im wesentlichen der Auffassung des SG angeschlossen. An Arbeitsunfähige während der Dauer der Krankenhilfe gezahltes Arbeitsentgelt sei nach § 383 Abs. 1 RVO nur dann beitragspflichtig, wenn es noch für eine bestimmte Zeit während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit als Gegenleistung des Arbeitgebers aus dem Beschäftigungsverhältnis gezahlt werde. Aus der vom LSG im einzelnen geschilderten Entstehungsgeschichte des § 383 Abs. 1 Satz 2 RVO folge, daß nicht jedes während der Arbeitsunfähigkeit und der Dauer der Krankenhilfe-Leistungen dem Versicherten zufließende Entgelt aus dem Beschäftigungsverhältnis auch der Beitragspflicht unterliege. Es bedürfe dazu nicht notwendig der Bildung eines von der Begriffsbestimmung des § 160 RVO abweichenden Entgeltsbegriffs für § 383 RVO. Wohl aber sei der dort enthaltenen Verweisung auf § 189 RVO die Bedeutung beizumessen, daß in diesen beiden Bestimmungen die gleichen Entgeltzahlungen erfaßt werden sollten, und zwar solche, die einmal durch die Worte "wenn und soweit" (§ 189 RVO) bzw. "wenn und solange" (§ 383 Abs. 1 RVO) eine Beschränkung der Zeit nach, und sodann auch durch den Ausschluß der Zuschüsse der Arbeitgeber zum Kranken- oder Hausgeld eine Beschränkung dem Umfange nach erführen. Es habe also nur ein bestimmter, in der Zeit der Arbeitsunfähigkeit dem Versicherten zufließender Entgelt nach den genannten Ausnahmebestimmungen einerseits das Ruhen der gesetzlichen Barleistungen aus der Krankenversicherung und andererseits abweichend von dem Grundsatz der Beitragsfreiheit des § 383 Abs. 1 Satz 1 RVO die Beitragspflicht zur Folge. Beitragspflicht bestehe nur dann, wenn es sich um Entgelt handele, das nicht nur während der Zeit der Arbeitsunfähigkeit, sondern auch für diese Zeit als Ausfluß des weiterbestehenden Beschäftigungsverhältnisses gezahlt werde. Es müsse also von vornherein feststehen, daß während der Krankheit Arbeitsentgelt zu zahlen sei. Zwar unterlägen Tantiemen grundsätzlich der Lohnsteuerpflicht. Der Gemeinsame Erlaß vom 10. September 1944 bestimme jedoch nur, daß die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem für die Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen seien und schließe nicht aus, daß im Einzelfall durch das Gesetz etwas anderes bestimmt werde, wie es in den §§ 189, 383 Abs. 1 RVO geschehen sei.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die beigeladene BfArb hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrage,

das Urteil des LSG Hamburg vom 26. Mai 1961 und das Urteil des SG Hamburg vom 16. Dezember 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit es sich um die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung handelt.

Gerügt wird Verletzung der §§ 160, 189, 383 RVO sowie des Erlasses vom 10. September 1944. Nach diesem folge die Beitragspflicht grundsätzlich der Lohnsteuerpflicht, sofern nicht ausnahmsweise etwas anderes rechtsatzmäßig bestimmt sei (BSG 6, 47). Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts bestehe eine solche Ausnahmevorschrift nicht. Insbesondere sei der nach § 145 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG), aF, 190160 AVAVG nF auch für die Arbeitslosenversicherung geltende § 383 RVO nF nicht eine solche. Nach ihm seien zwar bei Arbeitsunfähigkeit solange keine Beiträge zu entrichten, als die Krankenkasse den Versicherten Krankengeld gewähre. Dies gelte jedoch nicht, wenn und solange der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt erhält. Dieser Begriff decke sich im wesentlichen mit dem des Entgelts in § 160 RVO. Es sei nach der Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) vom 7. August 1934 (EuM 36, 371) eine Leistung des Arbeitgebers, welche die Gegenleistung für eine Arbeitsleistung des Versicherten im Rahmen des seinen Anspruch auf Krankengeld begründenden Beschäftigungsverhältnisses darstelle. Infolgedessen seien einmalige Zuwendungen nach § 160 RVO, die Arbeitnehmer während der Dauer ihrer Arbeitsunfähigkeit erhalten, beitragspflichtig, vorausgesetzt, daß das Arbeitsverhältnis fortbestehe (vgl. Bescheid des RVA vom 8. Januar 1942, AN S. 44).

Die gegenteilige Ansicht des Berufungsgerichts berücksichtige nicht, daß § 383 Abs. 1 Satz 2 RVO nicht die Weiterzahlung des Arbeitsentgeltes, sondern lediglich die Zahlung von Arbeitsentgelt fordere, und daß § 383 RVO keinen Unterschied mache, ob es sich um laufendes oder einmaliges Arbeitsentgelt handele. Infolgedessen unterlägen auch einmalige Zuwendungen, die während der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werden, der Beitragspflicht, und zwar selbst dann, wenn, wie im vorliegenden Falle, das laufende Arbeitsentgelt nicht mehr weitergezahlt worden sei, das Arbeitsverhältnis jedoch fortbestanden habe.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

Die beklagte AOK und die beigeladene Landesversicherungsanstalt (LVA) haben keine Anträge gestellt.

II

Die Revision der beigeladenen BfArb ist bis auf die Frage der Beitragspflicht für die an den inzwischen verstorbenen Beigeladenen zu 2) gezahlte Tantieme entscheidungsreif. Sie ist nicht begründet.

Nach § 160 Abs. 2 AVAVG gilt § 383 RVO auch im Recht der Arbeitslosenversicherung. § 160 AVAVG nF (= § 145 AVAVG aF) ist insbesondere hinsichtlich seines Absatzes 2 durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung des AVAVG vom 23. Dezember 1956 (BGBl I, 1018) neu gefaßt und damit in seiner Rechtsgültigkeit bestätigt worden.

Nach § 383 Abs. 1 RVO sind bei Arbeitsunfähigkeit für die Dauer der Krankenhilfe keine Beiträge zu entrichten; dies gilt jedoch nicht, wenn und solange der Versicherte während der Krankheit Arbeitsentgelt (§ 189 RVO) erhält. Die Anwendung dieser Sondervorschriften würde sich erübrigen, wenn die von der Klägerin gezahlten Jahres-Tantiemen bereits grundsätzlich als "sonstige, insbesondere einmalige Bezüge" auf Grund des Abschnitts I Nr. 5 des Gem. Erl. 1944 in Verbindung mit § 35 der Lohnsteuer-Durchführungsbestimmungen 1939 für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge außer Ansatz zu bleiben hätten. Diese Frage (vgl. BSG 16, 91, 94 und 22, 162, 164) braucht jedoch auch hier nicht entschieden zu werden, da in jedem Falle die genannte Sonderregelung zur Beitragsfreiheit führt.

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß der Begriff des Arbeitsentgelts in § 383 Abs. 1 RVO sowie in § 189 RVO der gleiche ist (ebenso bereits das RVA, vgl. AN 1940, 130; siehe ferner Peters, Handbuch der Krankenversicherung § 383 RVO Anm. 1 b). Nach § 189 RVO ruht im Falle der Zahlung von Arbeitsentgelt der Anspruch auf Kranken- und Hausgeld nur, "wenn und soweit" es der Versicherte während der Krankheit erhält; nach § 383 Abs. 1 RVO in Verbindung mit § 160 Abs. 2 AVAVG sind darauf entgegen der bei Arbeitsunfähigen für die Dauer der Krankenhilfe bestehenden grundsätzlichen Beitragsfreiheit Beiträge zur Arbeitslosenversicherung nur zu entrichten, "wenn und solange" es der Versicherte während der Krankheit erhält. Mit Recht haben die Vorinstanzen angenommen, daß wegen der genannten Zusätze das Arbeitsentgelt mit dem Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit in Beziehung stehen muß. Das ist nur der Fall, wenn es sich um Arbeitsentgelt handelt, von dem von vornherein feststeht, daß es während der Krankheit für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit gezahlt wird, so daß der Anspruch auf Krankengeld mit dem Bezug des Arbeitsentgelts zusammenfällt (vgl. RVA in EuM 36, 371). Das trifft für eine einmalige Leistung wie die von der Klägerin gezahlten Jahres-Tantieme nicht zu, weil sie sich ausschließlich auf das vergangene Jahr beziehe. Es wäre daher insbesondere nicht berechtigt, sie auch auf das Krankengeld anzurechnen. Dann aber kann sie wegen der übereinstimmenden Bedeutung des Begriffs des Arbeitsentgelts in den §§ 189, 383 RVO auch nicht der Beitragspflicht unterliegen. Die Vorinstanzen haben sich daher zu Recht der bisher herrschenden Meinung (vgl. u. a. Compter, SozVers 1961, 18 und Zeihe, ZfS 1961, 97) sowie der bisherigen Praxis (vgl. die gemeinsame Besprechung der Versicherungsträger vom 16. Dezember 1960, BKK 1961, 369) angeschlossen.

Der entgegenstehenden Auffassung der BfArb kann nicht gefolgt werden. Für die hier Anfang 1957 und Anfang 1958 gezahlten Tantiemen besteht jedenfalls auf Grund der genannten Ausnahmebestimmungen der RVO keine Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung, weil diese einmaligen Leistungen während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und des Bezugs von Krankenhilfe gezahlt worden sind. Der von der BfArb angeführte Bescheid des RVA (AN 1942, 44) befaßt sich lediglich mit der Anwendung des § 189 Abs. 1 Satz 1 RVO bei Erkrankungen während eines Urlaubs und betrifft nicht die hier zu entscheidende Frage.

Die Kostenentscheidung war dem Schlußurteil vorzubehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2325100

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