Leitsatz (redaktionell)
Zur echten und unechten Rückwirkung von Gesetzen. RVO § 397a Abs 2 idF des AFG § 246 ist nicht verfassungswidrig.
Die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach RVO § 397a Abs 2 trifft auch Arbeitgeber, die zur Zeit des Inkrafttretens dieser Vorschrift (1969-07-01) bereits länger als 3 Monate in Verzug sind.
Die Zinspflicht nach RVO § 397a Abs 2 wird durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers nicht berührt (KO § 63 Nr 1); Zinsforderungen für Zeiten nach Konkurseröffnung werden außerhalb des Konkursverfahrens gegen den Arbeitgeber geltend gemacht.
Normenkette
RVO § 397a Abs. 2 Fassung: 1969-06-25; KO § 63 Nr. 1; AFG § 246 Fassung: 1969-06-25; GG Art. 20 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 21. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Umstritten ist, ob die Beklagte vom Kläger außerhalb des Konkursverfahrens Verzugszinsen für ihre Beitragsforderungen verlangen kann (§ 397 a Abs. 2, § 1400 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, § 122 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - alle idF des § 246 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -, § 179 AFG, § 63 Nr. 1 Konkursordnung - KO -).
Am 5. Januar 1967 ist über das Vermögen des Klägers der Konkurs eröffnet worden. Bis dahin waren Forderungen der Beklagten gegen den Kläger als Arbeitgeber auf Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 15.646,74 DM entstanden. Die Beklagte verlangt dafür Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1969 in Höhe von 595,18 DM (Bescheid vom 23. Januar 1970) und für das Jahr 1970 in Höhe von 1.388,18 DM (Bescheid vom 15. Februar 1971). Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Bescheid vom 24. Februar 1970, Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 9. November 1970).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Klage gegen den im Laufe des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheid vom 15. Februar 1971 abgewiesen; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 21. Dezember 1971).
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt: § 397 a RVO idF des AFG sei am 1. Juli 1969 in Kraft getreten (§ 251 AFG). Der Forderung von Verzugszinsen ab diesem Zeitpunkt stehe nicht entgegen, daß die Beitragsforderungen selbst schon vor dem 1. Juli 1969 entstanden seien. Der Kläger sei trotz Konkurseröffnung Arbeitgeber im Sinne des § 397 a Abs. 2 RVO, weil er nach § 393 RVO der Zahlungspflichtige sei. Er sei am 1. Juli 1969 länger als drei Monate in Verzug gewesen (§ 284 Abs. 2 Satz 1 BGB, § 393 Abs. 1 RVO, § 1400 Abs. 1 Satz 2 RVO, § 122 Abs. 1 Satz 2 AVG, § 179 Abs. 1 AFG). Der zu den Fälligkeitsdaten eingetretene Verzug sei durch die Eröffnung des Konkurses weder beendet, noch, soweit er noch nicht eingetreten gewesen sei, an der Entstehung gehindert worden. § 63 Nr. 1 KO schließe Verzugszinsen ein. Die Vorschrift wäre sonst gegenstandslos. Die Konkurseröffnung sei kein vom Schuldner nicht zu vertretender verzugshindernder Umstand im Sinne des § 285 BGB. Die Beklagte könne die streitige Forderung außerhalb des laufenden Konkursverfahrens gegen den Kläger geltend machen. Der Kläger könne Zinsschulden aus seinem konkursfreien Vermögen tilgen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und beantragt (sinngemäß), die Urteile des LSG und des SG, den Widerspruchsbescheid und die Bescheide vom 23. Januar 1970 und 15. Februar 1971 aufzuheben, hilfsweise den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Die Revision beanstandet nicht die Ausführungen des LSG zur sogen. unechten Rückwirkung des § 397 a Abs. 2 RVO. Sie wendet sich vielmehr dagegen, daß das LSG den Kläger nach Konkurseröffnung noch als "Arbeitgeber" i. S. dieser Vorschrift angesehen hat. Hier sei nicht ein Arbeitgeber, sondern ein Konkursgemeinschuldner mit Leistungen in Rückstand geraten. Durch die Konkurseröffnung sei dem Schuldner verboten, seine Schulden zu bezahlen, insbesondere auch die Schulden gegenüber der Beklagten; es trete ein allgemeiner gesetzlich angeordneter Erfüllungsaufschub ein. Soweit daher nicht schon vor Konkurseröffnung ein Verzug bestehe, könne dieses nach Konkurseröffnung nicht mehr eintreten; denn der Verzug setze außer Fälligkeit auch ein Vertretenmüssen voraus. Vom Kläger sei nicht zu vertreten, daß er infolge der Regelungen in der Konkursordnung nach Konkurseröffnung nicht mehr leisten dürfe. Die Dreimonatsfrist könne, wenn sie nicht schon bei Konkurseröffnung vorliege, durch den Zeitablauf nach Konkurseröffnung nicht hergestellt werden. Die Voraussetzungen des § 397 a RVO lägen daher nicht vor. Die Revision ist der Auffassung, daß Zinsen aus Konkursforderungen außerhalb des Konkursverfahrens gegen den Kläger nicht geltend gemacht werden könnten. Entscheidungen von Gerichten mit anderer Auffassung seien nicht richtig, weil sie dem System des Konkursverfahrens zuwiderliefen. Das Konkursverfahren diene der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger. Die Beklagte sei schon mit ihrer Forderung bevorrechtigt. Sie könne sich außerdem durch Verwaltungsverfügung vollstreckbare Titel wegen der Zinsen verschaffen, in das konkursfreie Vermögen vor allen anderen Gläubigern vollstrecken und sich damit entscheidende Vorteile auch hinsichtlich der Verzinsung ihrer bevorrechtigten Forderung verschaffen. Das sei nicht der Sinn des Konkursverfahrens.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die beigeladenen Landesversicherungsanstalt, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und Bundesanstalt für Arbeit beantragen ebenfalls, die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Entscheidung des LSG ist rechtmäßig.
§ 397 a Abs. 2 RVO ist hier anzuwenden. Seine Voraussetzungen sind erfüllt. Er ist die Grundlage der Forderung von Verzugszinsen sowohl für die zur Krankenversicherung (KrV) geschuldeten Beiträge, als auch für die Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung und Angestelltenversicherung, denn § 1400 Abs. 1 RVO und § 122 Abs. 1 AVG verweisen auf die Vorschriften der gesetzlichen KrV; für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gilt nach § 179 AFG der § 397 a RVO entsprechend.
Ungeachtet, daß die Revision die Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des § 397 a Abs. 2 RVO bei vor seinem Inkrafttreten entstandenen Beitragsforderungen nicht anzweifelt, hat das LSG zutreffend ausgeführt, die sogen. unechte Rückwirkung dieser Vorschrift verstoße nicht gegen das Gesetz (vgl. ausführlich die Entscheidung des Senats vom 1. Dezember 1972 - 12/3 RK 36/71 -).
Eine Voraussetzung des § 397 a Abs. 2 RVO ist, daß der von der Einzugsstelle als Schuldner der Verzugszinsen in Anspruch Genommene der Arbeitgeber der Beschäftigten ist, die versicherungspflichtig waren. Bei versicherungspflichtig Beschäftigten ist in den Regelfällen der Arbeitgeber gegenüber den Versicherungsträgern der Schuldner der Beiträge (§ 393 Abs. 1, § 1396 Abs. 1 RVO, § 118 Abs. 1 AVG, § 176 Abs. 1 AFG). Hier bestehen keine Zweifel, daß der Kläger die Versicherungsbeiträge in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber schuldet, denn zur Zeit der Entstehung dieser Schuld war der Kläger Arbeitgeber. Dies ist die Hauptschuld des Klägers. Das Schulden von Verzugszinsen wegen Nichterfüllung der Hauptschuld bei Fälligkeit usw. ist eine Nebenschuld des Schuldners der Hauptschuld. Sie setzt das Bestehen der Hauptschuld voraus. Hier bestand die Hauptschuld noch am 1. Juli 1969 und in der Folgezeit jedenfalls bis Ende 1970. Deshalb wirkt die Arbeitgebereigenschaft des Klägers, die zusammen mit anderen Voraussetzungen die Entstehung seiner Hauptschuld begründet hat, für die Entstehung der Nebenschuld fort.
§ 397 a Abs. 2 RVO setzt weiter voraus, daß der Arbeitgeber mit der Zahlung der Beiträge - länger als drei Monate - in Verzug ist. Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat (§ 285 BGB). Der Auffassung des Klägers, während des Konkursverfahrens unterbleibe die Erfüllung der Beitragsschuld infolge eines Umstandes, den er nicht zu vertreten habe, weil er nicht über die Konkursmasse verfügen dürfe, ist nicht zu folgen.
Der Schuldnerverzug des Klägers hinsichtlich der Beitragsforderung der Beklagten ist durch die Konkurseröffnung nicht beendet worden. Die KO enthält keine Vorschrift, daß die Konkurseröffnung einen bestehenden Schuldnerverzug beende; § 63 Nr. 1 KO spricht vielmehr gegen eine solche Auffassung. Ein Schuldnerverzug endet - abgesehen von der Bewirkung der Leistung und bestimmtem Verhalten des Gläubigers -, wenn die Leistung unmöglich wird (§§ 285, 287 BGB). Vor Konkurseröffnung hatte der Kläger den Mangel an Geldmitteln, der ihn an der fristgerechten Bezahlung der Beiträge hinderte, ohnehin zu vertreten (§ 279 BGB). Daran hat die Konkurseröffnung nichts geändert; der Kläger ist dadurch nicht gehindert, Gläubiger, deren Forderungen keine Konkursforderungen sind, aus seinem konkursfreien Vermögen, etwa aus laufendem Arbeitsverdienst, zu befriedigen (§§ 1, 3, 6 KO). Die vorübergehende Erschwerung der Leistung für den Schuldner, die auf seiner Verfügungsbeschränkung durch den Konkurs beruht (§ 6 KO), beseitigt nicht das Einstehenmüssen für fehlende Geldmittel. Dies zeigt auch die verschärfte Haftung des Schuldners während des Verzuges (§§ 286, 287 BGB).
Die Konkurseröffnung konnte auch nicht verhindern, daß der Kläger in Verzug geriet, soweit Beitragsschulden danach fällig wurden, weil die Konkurseröffnung auf das von ihm zu vertretende Fehlen von Geldmitteln - seine Zahlungsunfähigkeit - zurückgeht und er dafür stets einzustehen hat (§§ 279, 286, 287 BGB).
In diesem Sinn haben auch Zivilgerichte entschieden (OLG Hamburg in MDR 1959, 221; OLG Düsseldorf in MDR 1969, 759; siehe auch Eisenhardt, Die Beendigung des Schuldnerverzuges und die daraus erwachsenden Folgen, Juristische Schulung 1970, 489, 494; ferner Staudinger, BGB, Randziffer 43 zu § 284 BGB).
Die Revision des Klägers ist daher unbegründet und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen