Leitsatz (redaktionell)

Über den Antrag auf Wiedereinsetzung hat grundsätzlich die Behörde zu entscheiden, die über die versäumte Handlung zu entscheiden gehabt hätte. Schwebt bereits das gerichtliche Verfahren, ohne daß über die Wiedereinsetzung gegen die versäumte Verfahrensfrist durch die Verwaltung entschieden worden ist, so hat das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, diese Entscheidung nachzuholen.

 

Orientierungssatz

1. Die der BA in AFG § 82 Abs 1 erteilte Ermächtigung zum Erlaß von satzungsrechtlichen Anordnungen, die der Ausführung des Gesetzes dienen, ist nicht verfassungswidrig.

2. Die Teilung des (Verfahrens bei der Gewährung eines Investitionskostenzuschusses in einen die Anerkennung des Anspruches und einen die Auszahlung des Betrages betreffenden Verfahrensabschnitt widerspricht nicht der dem Verwaltungsrat in AFG § 82 Abs 1 erteilten Ermächtigung, Verfahrensbestimmungen im Rahmen des AFG § 77 zu erlassen.

3. Die Frist des WinterbauAnO § 11 Abs 1 S 2 hat nichtmateriellen Charakter und ist keine Ausschlußfrist; insoweit handelt es sich um eine reine Verfahrensvorschrift. Gegen ihre Versäumung ist daher die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend SGG § 67 zulässig.

 

Normenkette

GG Art. 80 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; AFG § 82 Abs. 1 Fassung: 1972-05-19, § 191 Abs. 3 Fassung: 1969-06-25, § 77 Fassung: 1972-05-19; WinterbauAnO § 11 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1972-07-04; SGG § 67 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Oktober 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Klägerin im Rahmen der Winterbauförderung zwei Investitionskostenzuschüsse (IKZ) von insgesamt rd. 76.000,- DM zu gewähren hat.

Die Klägerin, ein H Bauunternehmen, ist im Hoch- und Tiefbau sowie speziell im Stahlbetonbau tätig. Am 27. November 1972 beantragte sie die Gewährung eines IKZ für den Erwerb verschiedener Gegenstände, die dazu dienen sollten, 80 Meter eines Kabeltunnels auf der Baustelle Rangierbahnhof M zu überdachen (Dachbinder, Heizungsgeräte, Lampen, Dach- und Seitenverkleidung usw.). Am 1. Dezember 1972 stellte sie einen weiteren Antrag auf Gewährung eines IKZ, diesmal für den Erwerb von Geräten und Einrichtungen für die Baustelle Hammerbrookschleuse (Überdachung, 8 Heizöfen). Nach Überprüfung der Anträge erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 1972 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung eines IKZ hinsichtlich des zweiten Antrages Hammerbrookschleuse) und hinsichtlich des ersten Antrags (Rangierbahnhof M) mit Bescheid vom 3. Januar 1973 dem Grunde nach an. In beiden Fällen errechnete sie Zuschüsse von 50 und 40% des jeweils angemessenen Kaufpreises und gelangte hinsichtlich des ersten Antrages (Rangierbahnhof M) zu einer Zuschußsumme von 36.966,98 DM und hinsichtlich des zweiten Antrages (Hammerbrookschleuse) zu einem Betrag von 38.976,70 DM.

Die Klägerin erwarb darauf die in Frage stehenden Gegenstände für die beiden Baustellen und bezahlte sie.

Die den ersten Antrag (Rangierbahnhof M) betreffenden Rechnungen tragen das Datum vom 20. Dezember 1972, 22. und 30. Dezember 1972 und 3., 19. und 22. Januar 1973. Die im zweiten Antrag (Hammerbrookschleuse) erfaßten Einrichtungen und Geräte wurden am 20. Dezember 1972, 22. und 30. Dezember 1972 und 4. Januar 1973 in Rechnung gestellt.

Die Klägerin veranlaßte ihre Lieferfirmen, ihr Bestätigungsschreiben über den Zahlungseingang zuzusenden und sammelte diese Schreiben, um sie der Beklagten vorzulegen. Die Bestätigungsschreiben der Lieferfirmen über den Zahlungseingang gingen im ersten Fall (Rangierbahnhof M.) am 1. März, 5. März, 3. April und 14. Mai 1973 bei der Klägerin ein. Im zweiten Fall (Hammerbrookschleuse) erreichten diese Schreiben die Klägerin am 1., 5. und 30. März 1973 sowie am 15. Mai 1973.

Unter Beifügung dieser Unterlagen stellte die Klägerin darauf am 28. Mai 1973 den Antrag auf Auszahlung des IKZ, und zwar getrennt für beide Vorhaben.

Die Beklagte lehnte diese Auszahlungsanträge ab (Bescheide vom 8. Juni 1973, je eines für jedes Bauvorhaben; Widerspruchsbescheid vom 6. September 1973), weil die Klägerin die Auszahlungsanträge nicht innerhalb von drei Monaten nach Rechnungsdatum gestellt habe. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (A-Winterbau) vom 4. Juli 1972 (ANBA S. 511) sei für die Auszahlung des IKZ innerhalb von drei Monaten nach Rechnungsdatum der Leistungsantrag zu stellen. Daß diese Antragsfrist versäumt worden sei, habe die Klägerin zu vertreten.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 26. Juli 1974 die Bescheide der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin die Investitionskostenzuschüsse aus den Anerkennungsbescheiden vom 7. Dezember 1972 und 3. Januar 1973 in Höhe von 38.976,70 DM und 36.966,98 DM zu zahlen. Es hat die Berufung zugelassen.

Mit Urteil vom 21. Oktober 1975 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Auszahlung der zunächst anerkannten IKZ-Beträge, da sie den Auszahlungsantrag nicht innerhalb der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 2 A-Winterbau gestellt habe und auch Gründe für eine Wiedereinsetzung nicht vorlägen. Der Verwaltungsrat der Beklagten habe mit der Übernahme des zweiphasigen Verwaltungsverfahrens für die IKZ, wie es nach § 81 Abs. 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) auch für den Kostenzuschuß vorgesehen sei, nicht die Grenzen der Ermächtigung des § 82 Abs. 1 AFG überschritten. Solche Ermächtigungen zum Erlaß von Satzungen seien trotz ihrer weiten Fassung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Ob § 11 Abs. 1 Satz 2 A-Winterbau anders als § 81 Abs. 2 AFG nicht eine Ausschlußfrist begründe, könne dahingestellt bleiben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setze nämlich jedenfalls voraus, daß der Antragsteller "ohne Verschulden" an der Einhaltung der Frist verhindert gewesen sei. Tatsachen, die diese Annahme rechtfertigten, habe die Klägerin nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht. Wenn die Klägerin darlege, daß sie Schwierigkeiten bei der Beschaffung quittierter Rechnungen gehabt habe, so sei dem entgegenzuhalten, daß diese Schreiben die Klägerin bis auf zwei Ausnahmen noch so rechtzeitig erreicht hätten, daß sie den Leistungsantrag noch innerhalb der Dreimonatsfrist hätte stellen können. Die Klägerin sei auf das Bestehen der Frist auch ausreichend hingewiesen worden, einmal im Anerkennungsbescheid selbst und dann durch die Merkblätter der Beklagten, die ihr ausgehändigt worden seien.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung der Art. 3, 9, 19, 20 Grundgesetz (GG), der §§ 77, 81 und 82 AFG, der §§ 19 und 31 des Sozialgesetzbuchs (SGB) und allgemeiner Rechtsgrundsätze des öffentlichen Rechts und trägt dazu vor:

Durch § 31 SGB sei der Gesetzesvorbehalt für die Begründung und Aufhebung sozialer Rechte niedergelegt worden, was zur Folge habe, daß die Bestimmung des § 11 Abs. 1 Satz 2 der Winterbauanordnung nicht mehr angewendet werden könne. Denn diese Bestimmung sei keine gesetzliche Vorschrift i. S. des § 31 SGB.

Entgegen der Auffassung des LSG sei § 11 Abs. 1 Satz 2 der Winterbauanordnung nicht durch die Ermächtigungsvorschrift des § 82 Abs. 1 AFG gedeckt. Der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 30. Januar 1973 (BSGE 35, 164 ff, 166) könne nicht gefolgt werden. Die Anordnungen der Beklagten seien Verwaltungsvorschriften, die nicht die Gerichte binden könnten. Sie seien nicht als Rechtsnormen aufzufassen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe aus Art. 80 Abs. 1 GG bisher noch nicht den Schluß gezogen, daß durch Bundesgesetz weder die Ermächtigung zum Erlaß autonomer Satzungen, noch die Ermächtigung zum Erlaß von Verwaltungsvorschriften (Anordnungen) erteilt werden könne. Diese Schlußfolgerung dränge sich aber auf.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des LSG Hamburg vom 21. Oktober 1975 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg v. 26. Juli 1974 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet. Die Klägerin kann die Auszahlung des IKZ nicht mehr begehren, da sie die Frist des § 11 Abs. 1 S. 2 der Winterbauanordnung vom 4. Juli 1972 (ANBA S. 511) in der vor der Änderung vom 18. Dezember 1975 (ANBA 1976, 219) geltenden Fassung nicht eingehalten hat.

Nach § 77 Abs. 1 AFG gewährt die Beklagte Arbeitgebern des Baugewerbes Zuschüsse zum Erwerb von Geräten und Einrichtungen, die für die Durchführung von Bauarbeiten in der Schlechtwetterzeit zusätzlich erforderlich sind. Gemäß § 82 Abs. 1 AFG bestimmt die BA das Nähere über die Förderung nach § 77 AFG durch Anordnung. Insbesondere trifft sie Bestimmungen über die Art der Geräte und Einrichtungen, für deren Erwerb oder Miete Leistungen zu gewähren sind, über die Voraussetzungen für die Gewährung, die Höhe der Leistungen und das Verfahren. Die Anordnungen der BA nach dem AFG erläßt der Verwaltungsrat der Beklagten (§ 191 Abs. 3 Satz 1 AFG). Nach § 11 Abs. 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft (Winterbauanordnung) vom 4. Juli 1972 (ANBA S. 511) ist der Antrag auf Leistungen an Arbeitgeber schriftlich vor Abschluß des Kauf- oder Mietvertrages bei dem für den Sitz des Unternehmens zuständigen Arbeitsamt einzureichen (Anerkennungsantrag). Für die Auszahlung des Zuschusses ist innerhalb von drei Monaten nach Rechnungsdatum ein weiterer Antrag zu stellen (Leistungsantrag).

Entgegen der Auffassung der Revision ist die der Beklagten in § 82 Abs. 1 AFG erteilte Ermächtigung zum Erlaß von satzungsrechtlichen Anordnungen, die der Ausführung des Gesetzes dienen, nicht verfassungswidrig. Das hat der erkennende Senat bereits zu § 39 AFG in seinem Urteil vom 30. Januar 1973 (BSGE 35, 164, 166; vgl. dazu auch Urteil des 12. Senats des BSG vom 19. Februar 1976 - 12/7 RAr 126/74 -) entschieden. Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht für den erkennenden Senat auch hinsichtlich der Anordnungsermächtigung nach § 82 Abs. 1 AFG kein Anlaß. Das BVerfG hat in mehreren Entscheidungen anerkannt, daß der Gesetzgeber berechtigt ist, öffentlichen Anstalten und Körperschaften Satzungsbefugnis zu übertragen. Es hat ferner entschieden, daß die Übertragung von Satzungsgewalt nicht an die Grenzen des Art. 80 Abs. 1 GG gebunden ist (BVerfGE 12, 319, 325; 19, 253, 266, 267; 33, 125, 156, 157). Es hat dies damit begründet, daß das Bedürfnis nach Zügelung einer Exekutive, die versucht sein könnte, praktisch effiziente Regelungen auf Kosten der Freiheit der Bürger durchzusetzen, im Bereich des Art. 80 GG ungleich größer sei als bei der Setzung autonomen Satzungsrechts. Darüber hinaus werde das Prinzip der Selbstverwaltung, das ebenfalls im demokratischen Prinzip wurzele, nicht ernst genug genommen, wenn man den Selbstverwaltungskörperschaften zu starke Fesseln anlege. Es sei gerade der Sinn der Selbstverwaltung, die in gesellschaftlichen Gruppen lebendigen Kräfte und ihren Sachverstand für die Findung "richtigen" Rechts zu nutzen (BVerfGE 33, 125, 157 und 159).

Das BVerfG hat allerdings auch darauf hingewiesen, daß die grundgesetzliche Ordnung der Verleihung und Ausübung von Satzungsgewalt bestimmte Grenzen setzt. Eine solche Grenze sieht das BVerfG in den Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie. Der Gesetzgeber darf sich danach seiner Rechtsetzungsbefugnis nicht völlig entäußern und seinen Einfluß auf den Inhalt der von den körperschaftlichen Organen zu erlassenden Normen nicht gänzlich preisgeben (BVerfGE 33, 158). Wo die Grenze für Satzungsbefugnisse im übrigen liegt, ist nach den besonderen Verhältnissen des betreffenden Lebensbereichs und der Bedeutung der in Betracht kommenden Regelungen zu bestimmen (BVerfGE 33, 157 und 160). Je empfindlicher der einzelne betroffen wird, je intensiver eine auf Dauer angelegte Lebensentscheidung und das Interesse der Allgemeinheit berührt werden, desto deutlicher muß die gesetzliche Ermächtigung der Satzungsbefugnis Grenzen setzen.

Unter Beachtung dieser Grundsätze ist § 82 Abs. 1 AFG im Zusammenhang mit den gesetzlichen Vorschriften über die produktive Winterbauförderung nicht verfassungswidrig.

Der Gesetzgeber hat im AFG die wesentlichen Grundsätze für die Förderung des produktiven Winterbaus festgelegt. Er hat im einzelnen in den §§ 77 bis 80 AFG die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung des IKZ, des Mehrkostenzuschusses, des Wintergeldes und des Mehrkostenzuschusses, des Wintergeldes und der Trennungsbeihilfe geregelt, so daß dem Verwaltungsrat nur noch in engen Grenzen im Rahmen der Anordnungsbefugnis nach § 82 AFG Spielraum gelassen worden ist. Bei der hier interessierenden Frage der Ausgestaltung des Verfahrens, welches hinsichtlich der Leistungen nach § 77 AFG in der Anordnung näher bestimmt werden kann, wird gerade den vom BVerfG bei der Übertragung von Satzungsrecht auf Selbstverwaltungskörperschaften aufgestellten Grundsätzen besonders Rechnung getragen. Die BA kann durch die Regelung des Verfahrens bei der Gewährung von Zuschüssen nach § 77 AFG die im Wirtschaftsleben insoweit bestehenden verschiedenen tatsächlichen Gegebenheiten in angemessener Weise - und zwar besser und flexibler - berücksichtigen, als es dem Gesetzgeber bei der - im allgemeinen relativ komplizierteren - Abfassung von Gesetzen möglich wäre. Damit ist es nicht nur möglich, das Handeln der Verwaltung effizient zu gestalten, sondern es wird auch erreicht, eine den Bedürfnissen des Wirtschaftslebens entsprechende Gestaltung vorzunehmen. Hieraus ergibt sich, daß eine Regelung, wie sie hier getroffen wurde, den gesetzlichen Auftrag nicht verändert, sondern lediglich konkretisiert.

Ebensowenig läßt sich aus der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Beklagten ein Anhalt für verfassungsrechtliche Bedenken herleiten. Der Verwaltungsrat besteht je zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer, die von den Gewerkschaften benannt werden, der Arbeitgeber, die von den Arbeitgeberverbänden benannt werden und der öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die von der Bundesregierung, dem Bundesrat und den Spitzenvereinigungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften entsandt werden (§ 192 Abs. 1 i. V. m. § 195 AFG). Ein Zusammenwirken dieser von unterschiedlichen Interessen getragenen Verbände und Institutionen, die zudem ein hohes Maß an Sachkunde in sich vereinigen, stellt sicher, daß hier keine der beteiligten Gruppen Regelungen durchsetzen kann, die sich auf Kosten der Bürger allein an dem Streben nach Effizienz oder der Durchsetzung bestimmter Vorstellungen orientieren. Die Voraussetzungen, die das BVerfG für die Zulässigkeit von Satzungsgewalt außerhalb der Grenzen des Art. 80 GG anführt, sind damit auch hier erfüllt.

Hinzu kommt, daß die zur Mitwirkung im Verwaltungsrat berufenen Verbände und Institutionen durch grundgesetzlichen Auftrag zur (autonomen) Rechtsetzung und damit auch zur Sicherung der Demokratie besonders verfassungsrechtlich legitimiert sind. Den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden (und damit auch den im Verwaltungsrat vertretenen öffentlichen Körperschaften in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber) ist durch Art. 9 Abs. 3 GG die Tarifautonomie gewährleistet, d. h. das Recht eingeräumt, durch autonome Rechtsetzung die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu regeln (vgl. BVerfGE 19, 303, 312 f). Dies hat auch in anderem Zusammenhang dazu geführt, daß den Koalitionen oder Vertretern bestimmter Arbeitgeber- oder Arbeitnehmergruppen die Befugnis eingeräumt worden ist, im Bereich des Arbeitslebens auch für Nichtmitglieder verbindliche Regelungen zu treffen. Mit dem Institut der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (AVE) nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes (TVG) wird den Tarifpartnern das Recht eingeräumt, Arbeitsbedingungen verbindlich auch für nichtorganisierte Arbeitnehmer und Arbeitgeber festzulegen. Nach § 19 des Heimarbeitergesetzes (HAG) vom 14. März 1951 (BGBl I 191) kann der aus Vertretern der Auftraggeber und der Heimarbeiter sowie einem Unparteiischen besetzte Heimarbeiterausschuß Entgelte und sonstige Arbeitsbedingungen für alle Auftraggeber und Heimarbeiter verbindlich festlegen.

Beide Formen der Rechtsetzung sind verfassungsrechtlich aus der weitgehenden Zurücknahme staatlicher Regelungsmacht in Art. 9 Abs. 3 GG und der darin liegenden Anerkennung nicht vom Bundestag oder den in Art. 80 GG legitimierten Verordnungsgebern erlassenen besonderen Rechtsregeln abgesichert (BVerfGE 34, 307, 317, 319 f; BAG AP Nr. 13 zu § 5 TVG).

In diese Tendenz der Verfassung, die Regelung von Fragen des Arbeitslebens den mit einem besonderen Maß an Sachkunde und Sachnähe ausgestatteten sozialen Kräften zu überlassen und die staatliche Einflußnahme auf Genehmigung und andere Formen der Mitwirkung bei Inkraftsetzung der Normen zu beschränken, fügt sich auch § 82 Abs. 1 i. V. m. § 191 Abs. 4 und 5 AFG zwanglos ein. Auch bei der Sicherung der Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit durch Arbeitsvermittlung, Arbeitslosenversicherung und berufliche Bildungsförderung sowie bei der Gewährung der produktiven Winterbauförderung geht es stets um die unmittelbaren Belange des Arbeitslebens, die wahrzunehmen eine seit Jahrzehnten allgemein anerkannte Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände ist. Wenn nun der Staat, nachdem er selbst diese Aufgabe übernommen hat, die Mitwirkung der Sozialpartner in die ebenfalls traditionell bewährte Form der Beteiligung an der Selbstverwaltung überleitet, so ist er hierzu durch den den Sozialpartnern in Art. 9 Abs. 3 GG eröffneten Freiraum für autonome Regelungen befugt und entspricht damit gleichzeitig dem Gedanken der Demokratie (Art. 20 GG). Der Wirkungsbereich des Art. 9 Abs. 3 GG ist nicht beschränkt auf die Regelung von Lohn und sonstigen Arbeitsbedingungen im Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dieser engere Kreis der Arbeitsbedingungen war den Tarifpartnern schon vor Erlaß der Weimarer Reichsverfassung (WRV) nach § 152 der Gewerbeordnung ("Lohn- und Arbeitsbedingungen") eröffnet. Durch Art. 159 WRV wurde der geschützte Wirkungsbereich der Koalitionen auf "Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen" erweitert. Es bestand und besteht Einigkeit darüber, daß diese Neufassung, die der des Art. 9 Abs. 3 GG wörtlich entspricht, nunmehr alle arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Interessen der Koalierten umfaßt (vgl. Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1930, Bd. III S. 398; Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl., 1930, Art. 159 Anm. 3; Dietz, in: Bettermann-Nipperdey-Scheuner, Die Grundrechte, Bd. III/1 S. 422 oben). Da für die Abgrenzung im einzelnen vor allem die historische Entwicklung von Bedeutung ist (BVerfGE 19, 303, 313 ff), müssen auch die heute der BA zugewiesenen Aufgaben zu den in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Wirtschaftsbedingungen gerechnet werden. Die Sozialpartner haben sich traditionell diesen Aufgaben gestellt und sind im Rahmen der Selbstverwaltung hieran beteiligt worden (vgl. Drewes, Die Gewerkschaften in der Verwaltungsordnung - 1958 - S. 25 ff, insbes. S. 30 f; Walther Bogs RdA 1956, 1, 6; ferner Programm der Deutschen Gewerkvereine von 1907, abgedr. bei Hartmann, 50 Jahre Deutsche Gewerkvereine 1918, S. 25; Erkelenz, Arbeiterkatechismus, 1908, S. 105 ff (Bindung), 114 ff (Arbeitsnachweise), 132 ff (Arbeitslosenunterstützung); Geschäftsbericht der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände über das Geschäftsjahr 1913, Berlin 1914, S. 6 ff und 34 ff; Bericht über die Tagung der Arbeitgebernachweise vom 21. Juni 1917; Denkschrift der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände vom März 1918, abgedr. bei Leckebusch, Entstehung und Wandlungen der Zielsetzungen, der Struktur und Wirkungen von Arbeitgeberverbänden, Berlin 1966, Anhang 9; vgl. auch Draeger-Buchwitz-Schönefelder, AVAVG S. 3 ff). Ohne daß hier erörtert werden muß, wie weit der Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG und damit der absolute Schutz vor Eingriffen des Gesetzgebers geht, läßt sich aus der historischen Entwicklung jedenfalls folgern, daß die Regelungen, die im Rahmen des AFG zu treffen sind, sich in dem Feld bewegen, welches der Gesetzgeber den Sozialpartnern zur autonomen Regelung eröffnen kann. Dies gilt besonders dann, wenn der Regelungsfreiraum bereits durch eine eingehende gesetzliche Strukturierung, wie im Bereich der produktiven Winterbauförderung weitgehend gebunden ist.

Es ist weiterhin nicht zu beanstanden, daß in § 11 Abs. 1 der Winterbauanordnung das Verfahren in zwei Abschnitte aufgegliedert ist, nämlich dahingehend, daß der Unternehmer zunächst einen Anerkennungsantrag und später einen Leistungsantrag stellen muß. Zwar sieht § 77 AFG - im Gegensatz zum Mehrkostenzuschuß (§ 81 Abs. 2 AFG) - keine Aufspaltung der Anträge vor, jedoch widerspricht diese Aufspaltung nicht der dem Verwaltungsrat in § 82 Abs. 1 AFG erteilten Ermächtigung, Verfahrensbestimmungen im Rahmen des § 77 AFG zu erlassen. Diese Aufspaltung in einen Anerkennungs- und Leistungsantrag erscheint zweckmäßig und sinnvoll. Mit dem Anerkennungsantrag und dem daraus folgenden notwendigen Bescheid an den Unternehmer, ob ein Zuschuß für die Anschaffung oder Miete der im Antrag näher bezeichneten Geräte und Einrichtungen "dem Grunde nach" gewährt werden wird, erlangt die Verwaltung einerseits Kenntnis der auf sie demnächst zukommenden finanziellen Belastungen und erhält somit einen für die Gestaltung ihres Haushalts wichtigen Hinweis; andererseits erfährt der Unternehmer noch vor Ankauf oder Miete jener Geräte und Einrichtungen sichere Kenntnis davon, ob er mit einer finanziellen Hilfe rechnen kann, so daß er in der Lage ist, rechtzeitig wirtschaftlich zu disponieren. Insoweit kann sogar - vom Blickpunkt des Unternehmers her gesehen - davon gesprochen werden, daß die in § 11 Abs. 1 Winterbauanordnung vorgesehene Aufspaltung des Verfahrens auch eine Schutzfunktion für den Unternehmer hat. Die gesonderte Stellung eines Leistungsantrags wiederum ist dazu bestimmt, der Verwaltung die Möglichkeit der Überprüfung zu geben, ob die in dem Anerkennungsantrag bezeichneten Geräte und Einrichtungen angeschafft und ordnungsgemäß verwendet worden sind. Aus dieser dem Schutz einer sachgerechten Verwendung der von den Beitragszahlern aufgebrachten Mittel dienenden Regelung erscheint es vernünftig und angebracht, den Leistungsantrag an eine bestimmte Frist zu binden, während der es der Verwaltung noch möglich ist, konkret ihre Prüfungsbefugnisse wahrzunehmen.

Die Winterbauanordnung verstößt auch nicht, wie die Klägerin meint, gegen § 31 SGB, der bestimmt, daß Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz dies vorschreibt oder zuläßt. Die Winterbauanordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in der Ermächtigung des § 82 Abs. 1 AFG. Bei einer Regelung, die in einer Satzung oder Rechtsverordnung getroffen ist, ist dem § 31 SGB nämlich bereits Genüge getan, wenn die ermächtigende Grundnorm in einem formellen Gesetz enthalten ist (v. Maydell in Burdenski/v. Maydell/Schellhorn, Komm. z. SGB, § 31 Anm. 12, 20). Sofern es sich um eine Leistung oder um einen Eingriff aufgrund einer Satzung handelt, können geringere Anforderungen gestellt werden, da diese Normsetzungsbefugnis nicht durch eine bürokratisch-hierarchisch organisierte Exekutive erfolgt, sondern die Satzungsgewalt einem nach demokratischen Grundsätzen gebildeten Selbstverwaltungsorgan übertragen ist (BVerfGE 33, 125; v. Maydell aaO).

Ist aber die Winterbauanordnung, insbesondere ihr § 11 Abs. 1 rechtmäßig mit der Folge, daß diese Vorschrift als Norm von den Gerichten zu beachten ist, so ergibt sich für den vorliegenden Fall folgendes: Die Anerkennungsbescheide (§ 11 Abs. 1 Satz 1 Winterbauanordnung) sind von der Beklagten am 7. Dezember 1972 und am 3. Januar 1973 erlassen worden. Sie sind weder angefochten, noch von der Beklagten widerrufen worden, so daß sie bindend sind (§ 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Der für die Leistungsbewilligung erforderliche Antrag war vom Kläger gemäß § 11 Abs. 2 Winterbauanordnung innerhalb von drei Monaten nach Rechnungsdatum zu stellen.

Diese Frist hat die Klägerin versäumt, da nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG die letzte der Rechnungen, um die es hier geht, vom 22. Januar 1973 stammte, der Leistungsantrag aber erst am 28. Mai 1973 gestellt wurde.

Das hat allerdings nicht zur Folge, daß die Klägerin mit ihrem Recht völlig ausgeschlossen ist, sondern daß sie die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hat. Der in § 11 Abs. 1 Satz 2 der Winterbauanordnung vorgesehene Antrag ist nämlich nicht als eine materielle Voraussetzung des Leistungsanspruchs anzusehen. Ein Antrag ist nur dann materielle Voraussetzung des Anspruchs, wenn in den materiell-rechtlichen Vorschriften, in denen die Voraussetzungen einer Leistung geregelt sind, der Antrag ausdrücklich als Anspruchsvoraussetzung bezeichnet wird (BSGE 2, 289, 291; 29, 116, 117; 35, 262, 263, 264). Das ist hier nicht der Fall. Dies ergibt ein Vergleich mit ähnlichen Vorschriften des AFG und der Winterbauanordnung. In § 11 Abs. 2 der Winterbauanordnung wird bestimmt, daß der Antrag auf Leistungen nach § 10 Winterbauanordnung (Trennungsbeihilfe und Zuschuß zu getrennter Haushaltsführung) innerhalb einer Ausschlußfrist von drei Monaten nach Ablauf der Schlechtwetterzeit einzureichen ist. Während also Abs. 1 des § 11 der Winterbauanordnung nur ausspricht, daß ein Antrag "zu stellen ist", eine Formulierung, die für den formellrechtlichen Charakter des Antrags spricht, bezeichnet § 11 Abs. 2 Winterbauanordnung die Frist für den Leistungsantrag ausdrücklich als Ausschlußfrist. Gleichermaßen werden die in den §§ 81 Abs. 2 und 3 sowie 88 Abs. 2 AFG bestimmten Antragsfristen ausdrücklich als Ausschlußfristen bezeichnet. In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, daß dem Wort "Ausschlußfrist" in § 88 Abs. 2 AFG (§ 79 Abs. 2 AFG Fassung: 17.5.1969, § 143 1 Abs. 2 AVAVG) die Bedeutung einer materiellen Frist beigemessen worden ist, gegen die bei ihrer Versäumung keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann (BSGE 22, 257; SozR Nr. 3 zu § 143 1 AVAVG; Urteil des 12. Senats vom 23.6.1976 - 12/7 RAr 80/74). Zwar ist allein durch die Verwendung des Wortes "Ausschlußfrist" oder durch die Wahl eines anderen die Frist charakterisierenden Wortes nicht ohne weiteres etwas über den rechtlichen Wert solcher Frist ausgesagt, jedoch ergibt sich aus dem aufgezeigten Zusammenhang und insbesondere aus dem Umstand, daß in der Winterbauanordnung selbst zwischen Ausschlußfristen und anderen Fristen unterschieden wird, daß es sich bei der in § 11 Abs. 1 Satz 2 Winterbauanordnung bezeichneten Antragsfrist nur um eine formelle, also Verfahrensfrist handelt. Daß auch anderen Anordnungen der BA Verfahrensfristen nicht fremd sind, die zugunsten des Antragstellers durchbrochen werden können, wenn den Antragsteller kein Verschulden an ihrer Versäumung trifft, ergibt sich aus den §§ 21 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 9. September 1971 (AFuU 1971 - ANBA 1971, 797 - und § 56 Abs. 3 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 31. Juli 1975 (AReha 1975) - ANBA 1975, 994 -. Nach diesen Bestimmungen werden nämlich, wenn der Antragsteller die für die Berechnung der Leistungen erforderlichen Unterlagen nicht innerhalb von zwei Monaten nach dem Eintritt in die Maßnahme eingereicht hat, Leistungen für die zurückliegende Zeit nur gewährt, wenn der Antragsteller die Verspätung nicht zu vertreten hat.

Ist aber die in § 11 Abs. 1 Satz 2 Winterbauanordnung bezeichnete Frist als verfahrensrechtlich anzusehen, so muß demjenigen, der diese Frist unverschuldet versäumt, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Daß gegen die Versäumung von Verfahrensfristen nicht nur im gerichtlichen, sondern auch im Verwaltungsverfahren Wiedereinsetzung möglich ist, geht aus den Vorschriften hervor, die vereinzelt bei Verwaltungsverfahren bestehen (§§ 84 Abs. 2 Satz 3 SGG; §§ 70, 60 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -; 110 Abgabenordnung - AO - 1977; 86 Reichsabgabenordnung; 32 Verwaltungsverfahrensgesetz - VerwVG - vom 25.5.1976, BGBl I 1253 -). Der erkennende Senat ist im übrigen bisher schon davon ausgegangen, daß bei Versäumung verfahrensrechtlicher Fristen auch im Verwaltungsverfahren eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist (vgl. BSGE 22, 258; SozR Nr. 3 zu § 143 1 AVAVG; ebenso der 12. Senat in seiner Entscheidung vom 23.6.1976 - 12/7 RAr 35/74).

Über den Antrag auf Wiedereinsetzung hat grundsätzlich die Behörde zu entscheiden, die über die versäumte Handlung zu entscheiden gehabt hätte (§ 67 Abs. 4 SGG entsprechend; vgl. § 110 Abs. 4 AO 1977, § 86 Abs. 4 Reichsabgabenordnung, § 32 Abs. 4 VerwVG). Schwebt bereits, wie im vorliegenden Fall, das gerichtliche Verfahren, ohne daß über die Wiedereinsetzung gegen die versäumte Verfahrensfrist durch die Verwaltung entschieden worden ist, so hat das Gericht, bei dem die Sache anhängig ist, ggf. also auch das Berufungsgericht, diese Entscheidung nachzuholen.

Zwar wird auch die Meinung vertreten, gegen die Versäumung einer Verwaltungsverfahrensfrist könne das mit der Sache befaßte Gericht nicht Wiedereinsetzung gewähren (OVG Lüneburg DVBl 63, 335; Buri DÖV 1963, 498, Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, I/2 238 k II). Deshalb müsse das Gericht der Verwaltungsbehörde die Gelegenheit geben, diese Entscheidung nachzuholen und das gerichtliche Verfahren aussetzen. Sei die im Widerspruchsverfahren erfolgte Versagung der Wiedereinsetzung rechtswidrig, so könne das Gericht die Wiedereinsetzung nicht selbst gewähren, sondern müsse die Behörde durch Urteil gem. § 131 Abs. 2 SGG (Verpflichtungsurteil) anhalten, die Wiedereinsetzung zu gewähren (LSG Saarbrücken in Breith. 1974, 630).

Der erkennende Senat schließt sich dieser Meinung nicht an. Es ist dabei nämlich zu berücksichtigen, daß den Gerichten letztlich die Aufgabe zukommt, über den materiell geltend gemachten Anspruch zu entscheiden, wobei der Grundsatz der Prozeßökonomie nicht außer Betracht gelassen werden sollte. Gerade unter diesem Gesichtspunkt erscheint es rechtlich geboten, eine von der Verwaltung zu treffende, aber nicht getroffene Entscheidung, die den geltend gemachten materiellen Anspruch berührt, im gerichtlichen Verfahren selbst zu treffen, sofern dadurch nicht in ein Ermessen der Verwaltung eingegriffen wird. Die Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist jedoch keine Ermessensentscheidung (BFHE vom 28.4./1.9.1961 BStBl III 1962, S. 45 = BB 1962, 125; U. v. 23.11.1962 BStBl III 1963 S. 102; U. v. 17.10.1972 BStBl II 1973, 271 = DB 1973, 856; vgl. auch BVerwG VerwRSpr 19 Nr. 197 S. 764; Buchholz BVerwG 310, § 60 VwGO Nr. 53). Im übrigen darf nicht übersehen werden, daß die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, durch den eine Leistung wegen Versäumung einer verfahrensrechtlichen Antragsfrist abgelehnt wird, auch die Frage umfaßt, ob die Antragsfrist versäumt ist und ob insoweit Nachsicht zu gewähren war. Sofern die Voraussetzungen hierfür vorgelegen haben, ist kein Grund dafür ersichtlich, dem Gericht das Recht zu versagen, dann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, um bereits in diesem Verfahren - und nicht erst nach Zurückverweisung an die Verwaltung und in dem sich dann ggf. erneut anschließenden gerichtlichen Verfahren - über den geltend gemachten materiellen Anspruch zu entscheiden.

Demnach ist im Verhältnis zwischen Verwaltungsbehörde und Gericht nicht anders zu verfahren als zwischen Gerichten verschiedener Instanzen (so auch Eyermann-Fröhler, Komm. z. VwGO, 6. Aufl. § 60 Anm. 25; Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGG § 67 Anm. 8 S. 224). Ist etwa vom Berufungsgericht ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand übergangen worden, so entscheidet nach Einlegung der Revision das Revisionsgericht (BGH NJW 1953, 504). Der erkennende Senat kann aufgrund der unangegriffenen und deshalb bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) abschließend darüber entscheiden, ob dem Kläger wegen unverschuldeter Versäumnis der Frist des § 11 Abs. 1 Satz 2 Winterbauanordnung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.

Die Klägerin hat zwar nicht ausdrücklich den Antrag gestellt, ihr Widereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie hat aber die versäumte Rechtshandlung nachgeholt, nämlich unter Vorlage der Rechnung den Leistungsantrag gestellt. Entsprechend § 67 Abs. 2 Satz 3 SGG kann in diesem Falle Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Bei der Prüfung, ob ein Antrag stillschweigend gestellt worden ist, dürfen zudem keine zu hohen Anforderungen gestellt werden (Peters/Sautter/Wolff, § 67 Anm. 4 a S. 209 m. w. N.).

Ohne Rechtsirrtum ist das LSG davon ausgegangen, daß Wiedereinsetzungsgründe nicht vorliegen. Die Rechnungen, die die Klägerin bei der Beklagten einzureichen hatte, lagen monatelang bei der Klägerin, ohne daß ihrerseits etwas veranlaßt wurde. Wenn die Klägerin meinte, es stelle eine Vereinfachung dar, zunächst die Zahlungsbestätigungen zu allen Rechnungen abzuwarten und dann die Rechnungen zusammen mit den Bestätigungen der Beklagten vorzulegen, so stellt das keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Die Klägerin war darüber belehrt, wie sie zu verfahren hatte. Wenn sie sich dennoch anders verhielt, so ist das nicht ohne Verschulden erfolgt.

Danach ist die Revision zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650857

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