Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit bei Nichtübereinstimmung von Beitrag und Leistung. Beitragsrechtliche Beurteilung von Tantiemen
Leitsatz (amtlich)
Tantiemen sind regelmäßig, wenn der Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des Rechnungsjahres einen anteiligen Anspruch hierauf hat, auch dann für die Beitragsberechnung zu je einem Zwölftel den einzelnen Monaten des Jahres zuzurechnen, wenn sie nicht gleichmäßig im Laufe des Jahres erwirtschaftet werden.
Orientierungssatz
Eine Übereinstimmung von Beitragsrecht und Leistungsrecht ist weder generell vorgesehen noch ein Grundsatz der Sozialversicherung und auch nicht verfassungsrechtlich geboten (vergleiche BSG 1981-10-28 12 RK 23/80 = SozR 2100 § 14 Nr 9 mwN).
Normenkette
SGB 4 § 17 Fassung: 1976-12-23; SGB 4 § 22 Fassung: 1976-12-23; SGB 4 § 23; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; SGB 4 § 14 Abs 1 Fassung: 1976-12-23
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 16.10.1981; Aktenzeichen L 1 Kr 50/79) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 26.07.1979; Aktenzeichen S 3 Kr 18/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die beitragsrechtliche Behandlung von Tantiemen. Die Beigeladenen zu 1.) und 2.) waren vom 1. Januar 1975 bis 30. September 1977 als technische Angestellte bei der Klägerin beschäftigt. Sie erhielten neben ihrem Gehalt ein "13. Monatsgehalt - zahlbar Anfang Dezember -" und eine "Tantieme".
Die Tantieme errechnete sich daraus, wie kostengünstig auf den im Geschäftsjahr abgewickelten Baustellen gearbeitet wurde. Sie war nach Abschluß der Gewinn- und Verlustrechnung, meist im Februar oder März, zu zahlen. Auch wurden üblicherweise monatliche Erfolgs- und Betriebsabrechnungen vorgenommen. Bei Ausscheiden eines der Beigeladenen im Laufe eines Geschäftsjahres wären die bis dahin aufgelaufenen Tantiemen ausgezahlt worden. Dies ist auch bei den beiden Beigeladenen anläßlich ihres Ausscheidens zum 30. September 1977 geschehen.
Die Klägerin sah diese Tantiemen als einmalige Zuwendungen an und errechnete die Beiträge, indem sie den Betrag der Tantieme dem Gehalt des Zahlungsmonats zuschlug. Dieses Verfahren beanstandete die Beklagte anläßlich einer am 25. Oktober 1977 vorgenommenen Betriebsprüfung. Sie nahm eine Beitragsnachberechnung in der Weise vor, daß die in den Jahren 1975 und 1976 an die Beigeladenen zu 1.) und 2.) gezahlten Tantiemen gleichmäßig auf alle 12 Monate des Kalenderjahres verteilt wurden und forderte die sich daraus ergebenden höheren Beiträge nach (Bescheid vom 31. Oktober 1977; Widerspruchsbescheid vom 20. April 1978).
Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil des SG Schleswig vom 26. Juli 1979). Auf die Berufung der Beigeladenen zu 3.) hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG insoweit aufgehoben, als die Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten betroffen sind, und insoweit die Klage abgewiesen (Urteil vom 18. September 1981).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß nach der getroffenen Abrede erkennbar die Parteien von der Vorstellung ausgegangen sind, daß die Tantiemen im Laufe des Jahres allmählich erarbeitet werden. Zwar sei die jeweilige Tantieme nicht stetig in gleichbleibender Höhe angewachsen. Es habe aber festgestanden, nach welchen Berechnungsfaktoren sie zu berechnen sei, wann sie fällig sei und daß sie auch bei vorzeitigem Ausscheiden abzurechnen sei. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen handele es sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht um eine einmalige Zuwendung, sondern, wie es auch § 112 Abs 2 Satz 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) - aF - beschreibe, um laufendes Arbeitsentgelt. Der Rechtsgedanke des § 112 Abs 2 Satz 3 AFG (aF) sei auf die strittige Beitragsberechnung zu übertragen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Feststehen der Berechnungsfaktoren bedeute noch nicht, daß die Beigeladenen zu 1.) und 2.) einen feststehenden Rechtsanspruch auf die Tantieme gehabt hätten. Ein Rechtsanspruch habe nur bestanden für den Fall, daß die von ihnen betreuten Baustellen letztlich einen Überschuß erzielten. Auch sei der Fälligkeitszeitpunkt datumsmäßig nicht festgelegt worden.
Wenn das LSG meine, den Beigeladenen habe bei vorzeitigem Ausscheiden ein Rechtsanspruch auf eine Teiltantieme zugestanden und im übrigen auch Ansprüche auf Abschlagszahlungen, so entspreche dies nicht den Tatsachen. Ein in den ersten drei Monaten eines Jahres ausscheidender Arbeitnehmer erhalte mit Sicherheit keine Tantieme, weil bis zu diesem Zeitpunkt wegen des voraufgegangenen Winters mit Sicherheit noch keine Bau stellen abgeschlossen worden seien. Außerdem müsse ein etwaiger Überschuß aus den drei Monaten des zweiten Jahresquartals zunächst einmal gegen die Verluste des ersten Quartals verrechnet werden, so daß auch ein zum Ende Juni ausscheidender Arbeitnehmer im allgemeinen noch nicht mit einer Tantieme rechnen könnte. Die Tantieme werde tatsächlich erst im dritten und vierten Quartal erwirtschaftet.
Im Gegensatz zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 23. September 1980 - 12 RK 51/79 - zugrunde gelegen habe, sei hier auch keineswegs sicher, ob letztlich überhaupt eine Tantieme anfalle und in welcher Höhe sie gezahlt werde; besondere verwandtschaftliche Beziehungen, wie sie in dem damaligen Fall als ausschlaggebend angesehen wurden, lägen hier nicht vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil:
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß die den Beigeladenen zu 1.) und 2.) gezahlten Tantiemen anteilig auf die Monate zu verteilen sind, in denen sie erarbeitet wurden.
Der erkennende Senat hat bereits in einer größeren Zahl von Fällen entschieden, daß Tantiemen oder andere um das Jahresende zu zahlende Leistungen - ungeachtet der evtl. erst bei Auszahlung eintretenden Fälligkeit der Beiträge - für die Beitragsberechnung auf die einzelnen Monate des Jahres zu verteilen sind, für das sie gezahlt wurden, wenn der Arbeitnehmer im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während des Jahres einen Anspruch auf einen Teil der Leistung hat, der der Anzahl der Monate entspricht, in denen er im laufenden Jahr beschäftigt war (Urteile vom 9. Juli 1980 - 12 RK 44/79 - SozR 2200 § 160 Nr 9, vom 23. September 1980 - 12 RK 51/79 - USK 80225, vom 28. Oktober 1981 - 12 RK 23/80 - und vom 28. April 1982 - 12 RK 12/80 -; siehe ferner die zur Berechnung des Übergangsgeldes ergangenen Urteile des BSG vom 30. Juni 1981 - 5b/5 RJ 156/80 - und vom 16. September 1981 - 4 RJ 55/80 - sowie das Urteil des 3. Senats des BSG zur Berechnung des Gesamteinkommens vom 22. Juli 1981 - 3 RK 7/80 -).
Der erkennende Senat hat sich insoweit von dem aufgrund der früheren Rechtslage noch in stärkerem Maße maßgeblichen Zuflußprinzip gelöst. Maßgeblich hierfür war, daß die durch dieses Prinzip erreichten Verwaltungsvereinfachungen dort nicht mehr zu rechtfertigen sind, wo sie zu beitragsrechtlichen Nachteilen führen (vgl dazu auch BSG SozR Nr 6 zu § 385 RVO; BSG SozR 2200 § 385 Nr 2). Das Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB 4) - sowie die dazu ergangene Arbeitsentgeltverordnung sehen auch eine strenge Bindung an das Zuflußprinzip nicht mehr vor. Beitragsrechtliche Nachteile entstehen ua dort, wo wesentliche Teile des Arbeitsentgelts (das laufend erarbeitet wird) nicht monatlich fortlaufend, sondern in größeren Abständen oder gar nur einmal jährlich fällig werden und sie bei Zurechnung allein zu dem Auszahlungsmonat wegen der Beitragsbemessungsgrenze nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden können. Dabei ist der Beklagten zwar einzuräumen, daß uU von dieser Berechnungsweise abgesehen werden kann, wenn es sich um kleinere Beträge handelt oder aus sonstigen Gründen die Auswirkung auf die Beitragshöhe so gering ist, daß sich der Arbeitsaufwand des in Dienst genommenen Arbeitgebers und der Verwaltungsaufwand der Einzugsstelle nicht rechtfertigen lassen. Darüber ist hier aber nicht im einzelnen zu entscheiden, weil derartige Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht gegeben sind.
Gegen die Verteilung von Tantiemen auf die Monate, in denen sie erarbeitet wurden, läßt sich nicht einwenden, daß der Beitragsanspruch für Tantiemen in den einzelnen Monaten noch nicht entstehen könne, weil über die Höhe noch Ungewißheit bestehe. Der Beitragsanspruch entsteht gem § 22 SGB 4, sobald seine im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Die gesetzlichen Voraussetzungen des Beitragsanspruchs liegen regelmäßig vor, wenn der arbeitsrechtliche Entgeltanspruch, aus dem sich der Beitrag berechnet, fällig wird (vgl BSG SozR 2200 § 29 Nr 9; Urteil vom 25. September 1981 - 12 RK 58/80 -). Dies wird auch deutlich aus § 23 SGB 4, der die Fälligkeit von laufenden Beiträgen regelt. Danach orientiert sich die Fälligkeit an dem Zeitpunkt, in dem das Arbeitseinkommen erzielt wird. Das ist regelmäßig der Zeitpunkt der arbeitsrechtlichen Fälligkeit. Beide Vorschriften erlauben aber Abweichungen von dem Zeitpunkt der arbeitsrechtlichen Fälligkeit. Für die Fälligkeit des Beitrags ergibt sich dies bereits daraus, daß § 23 SGB 4 nur die Fälligkeit laufender Beiträge regelt (s im übrigen BSGE 41, 6, 10 ff und BSGE 52, 152). Hinsichtlich des Entstehens läßt die allgemein gehaltene Fassung von § 22 SGB 4 eine differenzierte Auffassung zu. Es kann deshalb daran festgehalten werden, daß bei Tantiemen, die erst nach Jahresende fällig werden, der Beitragsanspruch monatlich entsteht, wenn der im Laufe des Jahres ausscheidende Arbeitnehmer einen anteiligen Anspruch hat. In solchen Fällen wird die Tantieme monatlich erarbeitet und es entsteht jedenfalls dem Grunde nach für jeden Monat ein Anspruch hierauf. Das wird besonders deutlich, wenn Abschlagszahlungen vorgesehen sind. Tantiemen erweisen sich damit in den beschriebenen Fällen als Teil des monatlichen Arbeitsentgelts, mit dem der Arbeitnehmer bei normaler Geschäftsentwicklung regelmäßig rechnen kann.
Ferner ändert sich an dieser Beurteilung auch nichts durch die Änderung des § 122 Abs 2 AFG durch das Arbeitsförderungskonsolidierungsgesetz. Diese Änderung zielt auf Einsparungen im Leistungsrecht der Arbeitsförderung und berührt deshalb die oben angestellten Überlegungen nicht. Eine Übereinstimmung von Beitragsrecht und Leistungsrecht ist weder generell vorgesehen noch ein Grundsatz der Sozialversicherung und auch nicht verfassungsrechtlich geboten (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 28. Oktober 1981 - 12 RK 23/80 - zur Veröffentlichung bestimmt; ferner BVerfGE 51, 115, 124 = SozR 4100 § 112 Nr 10 S 32; BVerfGE 53, 313 = SozR 4100 § 168 Nr 12 S 24 f).
Nun weist allerdings die Klägerin mit Recht darauf hin, daß die bisherigen Entscheidungen Fälle betragen, in denen den während des Jahres ausscheidenden Arbeitnehmern nach Feststellung des Jahresabschlusses pro Beschäftigungsmonat je 1/12 der Jahrestantieme gezahlt wurde, wobei sich diese Tantieme aus dem Gesamtergebnis der Tätigkeit des vergangenen Jahres errechnete. Sie trägt vor, daß die Voraussetzungen im vorliegenden Fall andere seien. In der Tat gibt es die verschiedensten Formen für Tantiemenvereinbarungen. Es ist durchaus nicht unüblich, daß zwar im Regelfall eine Jahresdurchschnittsberechnung vorgenommen wird, aber die (Teil-)Tantiemen, die den im Laufe des Jahres ausscheidenden Arbeitnehmern zugebilligt werden, sich nur aus den bis zu ihrem Ausscheiden abgewickelten Aufträgen des laufenden Jahres errechnen und die Tantiemen ausgezahlt werden, sobald diese Abrechnungen vorliegen.
Anzutreffen sind auch Erfolgsbeteiligungen, die für jeden einzelnen Auftrag (oder jede Baustelle) gesondert abgerechnet werden, so daß Verluste bei dem einen Auftrag sich nicht auf den Gewinn aus einem anderen Auftrag auswirken. Dies ist eine Form, die auch im Rahmen von Akkordlohnvereinbarungen nicht unüblich ist.
Für die hier zu entscheidende Frage, ob die Tantieme nur dem Auszahlungsmonat zuzuordnen ist oder - wie im einzelnen auch immer - beitragsrechtlich auf die einzelnen Monate zu verteilen ist, ergeben sich aber in all diesen Fällen keine Unterschiede. Eine beitragsrechtliche Zuordnung zu dem Auszahlungsmonat würde in allen Fällen gleichermaßen zu beitragsrechtlichen Nachteilen führen.
Fraglich kann deshalb lediglich sein, ob sich je nach der Gestaltung der Tantiemenvereinbarung in der Verteilung auf die einzelnen Monate Unterschiede ergeben, ob also in allen Fällen gleichermaßen jedem Monat ein gleicher Anteil zuzuordnen ist oder ob Unterschiede zu machen sind. Der vorliegende Fall gibt indes keine Veranlassung, diese Frage abschließend zu entscheiden, denn jedenfalls ist den Feststellungen des LSG und dem Vortrag der Klägerin nichts zu entnehmen, was für eine Zuordnung in unterschiedlicher Höhe sprechen könnte. Immer dann, wenn die Tantieme aus dem Durchschnitt der Monate des Jahres oder der Monate des Jahres, in denen ein Beschäftigungsverhältnis bestanden hat, berechnet wird, trägt die Tätigkeit in allen Monaten in der einen oder anderen Weise zu dem Tantiemeanspruch bei, weil letztlich auch die Abwicklung der Aufträge, die wenig oder keinen Gewinn oder gar Verlust bringen, zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes beitragen. Es widerspricht deshalb nicht einer Beitragsgerechtigkeit, wenn die Tantieme jeweils gleichmäßig auf die Monate verteilt wird, für die sie gezahlt wird. Ein solches Verfahren ist im übrigen aus Gründen der Praktikabilität geboten, weil ein genaues Erfassen der im einzelnen jedem Monat zuzuordnenden Tantiemeteile zu unverhältnismäßigen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten führen würde und dies auch nicht zu einem gerechten Ergebnis führen könnte, weil, wie dargelegt, Tantiemen durch die Gesamtheit der Tätigkeit erarbeitet werden und nicht nur in den Monaten, in denen Gewinne erzielt werden.
Aus diesen Gründen konnte die Revision der Klägerin keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen