Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiederheirat der Witwe. Witwenrentenabfindung. Hinterbliebenenrentenanspruch der früheren, geschiedenen Ehefrau. Anspruch der früheren Ehefrau auf Hinterbliebenenrente
Orientierungssatz
Die Zahlung einer Witwenrentenabfindung steht der Entstehung des Rentenanspruchs einer früheren Ehefrau nach § 1265 S 2 RVO nicht entgegen (Anschluß an BSG 12.9.1984 4 RJ 93/82).
Normenkette
RVO § 1265 S 2, § 1291 Abs 2, § 1268 Abs 4 Fassung: 1957-02-23, § 1302 Abs 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 08.02.1983; Aktenzeichen L 6 Ar 352/82) |
SG Landshut (Entscheidung vom 23.06.1982; Aktenzeichen S 7 Ar 487/79) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob der Klägerin ab 1. Juli 1979 Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) aus der Versicherung ihres am 16. Juli 1978 verstorbenen früheren Ehemannes zusteht.
Die Ehe zwischen der Klägerin und dem Versicherten wurde 1976 geschieden. Am 30. Juli 1976 ging der Versicherte eine neue Ehe mit der Beigeladenen ein. Vor seinem Tode bezog er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Beklagten. Mit Bescheid vom 5. März 1979 lehnte diese es ab, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren, da die Voraussetzungen des § 1265 RVO weder nach Satz 1 noch nach Satz 2 erfüllt seien. Am 2. Juni 1979 heiratete die Beigeladene erneut und erhielt von der Beklagten eine Abfindung gemäß § 1302 Abs 1 RVO.
Der Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 5. März 1979 ist nach § 85 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als Klage an das Sozialgericht (SG) weitergeleitet worden. Dieses hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Juli 1979 Witwenrente nach § 1265 Satz 2 RVO zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 23. Juni 1982). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen (Urteil vom 8. Februar 1983). Es hat den vom SG bejahten Anspruch der Klägerin nach § 1265 Satz 2 RVO verneint. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entstehe ein Rentenanspruch der früheren Ehefrau, sofern die Witwe wieder geheiratet und eine Abfindung erhalten habe, erst nach Ablauf von fünf Jahren seit der Wiederheirat. Außerdem dürfe die Witwenrente inzwischen nicht wieder aufgelebt sein.
Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie rügt eine Verletzung des § 1265 Satz 2 RVO.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen, die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Während des Revisionsverfahrens hat die Beklagte der Klägerin die Hinterbliebenenrente nach § 1265 Satz 2 RVO ab 1. Juli 1984 gewährt (Bescheid vom 16. Juni 1984).
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist begründet. Die Klägerin hat nicht erst - wie von der Beklagten nunmehr mit Bescheid vom 16. Juni 1984 anerkannt - ab 1. Juli 1984, sondern bereits vom 1. Juli 1979 an einen Anspruch auf die Rente nach § 1265 Satz 2 RVO.
Nach dieser Vorschrift besteht ein Anspruch der geschiedenen Ehefrau auf Hinterbliebenenrente unter anderem dann, wenn "eine Witwenrente nicht zu gewähren" ist. Diese - hier allein streitige - Voraussetzung ist mit Wirkung vom 1. Juli 1979 an erfüllt, weil die Witwenrente der Beigeladenen gemäß § 1291 Abs 1 RVO mit dem Ablauf des Monats weggefallen ist, in dem sie wieder geheiratet hat (2. Juni 1979).
Der erkennende Senat folgt der vom 4. Senat des BSG im Urteil vom 12. September 1984 - 4 RJ 93/82 - vertretenen Auffassung, daß bei Gewährung einer Witwenrentenabfindung iS des § 1302 Abs 1 RVO, die hier der Beigeladenen noch in Höhe des Fünffachen des Jahresbetrages der bisher bezogenen Rente gezahlt worden ist, der Anspruch der Klägerin als der früheren Ehefrau des Versicherten nach § 1265 Satz 2 RVO sofort und nicht erst nach Ablauf von fünf Jahren seit Wegfall der Witwenrente entsteht. Der 4. Senat hat in dem genannten Urteil an die Entscheidung des 1. Senats des BSG vom 27. April 1982 (BSGE 53, 235 = SozR 2200 § 1268 Nr 20) angeknüpft, wonach die Witwenrentenabfindung keine kapitalisierte oder vorausgezahlte Rente, sondern eine einmalige Leistung besonderer Art ist. Der 1. Senat hat es deshalb für den Fall der bisherigen Aufteilung einer Hinterbliebenenrente zwischen zwei Berechtigten nach § 1268 Abs 4 RVO nicht als zulässig erachtet, den Empfänger der Abfindung unter Außerachtlassung der zwingenden Regelung des § 1291 Abs 1 RVO im Wege der Fiktion bis zum Ende des Abfindungszeitraumes noch als Berechtigten iS des § 1268 Abs 4 RVO anzusehen und mit dieser Begründung die Rente des verbliebenen Berechtigten anteilig zu kürzen. Der 4. Senat hat im Urteil vom 12. September 1984 aaO die Ansicht vertreten, daß diese aus dem Rechtscharakter der Witwenrentenabfindung sich ergebende Betrachtungsweise bei der Anwendung des § 1265 Satz 2 RVO gleichermaßen zu gelten habe. Dies hat der 1. Senat dem 4. Senat auf Anfrage hin ausdrücklich bestätigt und insoweit an seiner für den Fall des § 1265 Satz 2 RVO im Urteil vom 28. November 1969 - 1 RA 53/69 - vertretenen abweichenden Auffassung nicht festgehalten.
Der somit übereinstimmenden Rechtsprechung des 1. und 4. Senats schließt sich der erkennende Senat an, weil es schon um der Einheitlichkeit der Rechtsordnung willen nicht angeht, die Witwenrentenabfindung im Fall des § 1265 Satz 2 RVO gemäß der früheren Rechtsprechung weiterhin als Rentenvorauszahlung anzusehen, ihr aber im Fall des § 1268 Abs 4 RVO diese Funktion abzusprechen.
Die frühere Rechtsprechung des 12. Senats (vgl BSGE 29, 296, 299 = SozR Nr 50 zu § 1265 RVO) steht dieser Entscheidung schon deswegen nicht entgegen, weil seine Zuständigkeit für das Leistungsrecht der Rentenversicherung nicht mehr gegeben ist (vgl BSGE 42, 49, 53). Das noch auf dieser früheren und nunmehr aufgegebenen Rechtsprechung beruhende Urteil des Berufungsgerichts mußte deshalb aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Ersturteil zurückgewiesen werden (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen