Leitsatz (amtlich)
Sind für einen Kalendermonat 2 freiwillige Beiträge entrichtet und ist der zuerst entrichtete Beitrag mit Willen des Versicherten zurückgezahlt worden, so ist der zweite Beitrag wirksam.
Leitsatz (redaktionell)
Rückforderung von zu Unrecht entrichteten freiwilligen Beiträgen (AVG § 146 Abs 1):
1. Der freiwillige Beitrag ist mit dem Einkleben der Beitragsmarke in die Versicherungskarte entrichtet, ohne daß es noch des Zugangs der Karte beim Versicherungsträger bedarf. Die Auffassung, entrichtet sei ein Beitrag erst dann, wenn auch die Versicherungskarte "mit Willen und Wissen" des Versicherten in den Besitz des Versicherungsträgers gelangt ist, findet im Gesetz keine Stütze.
2. Ein Beitrag, der einem Versicherten mit seinem ausdrücklichen Einverständnis zurückgezahlt wird, ist nicht mehr als Beitrag vorhanden, selbst wenn seine Rückzahlung rechtswidrig gewesen ist.
Normenkette
RVO § 1407 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 129 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1424 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 146 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.02.1976; Aktenzeichen L 4 An 158/75) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Februar 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Unter den Beteiligten ist die Rückforderung von freiwilligen Beiträgen streitig, die die Klägerin für Oktober und November 1969 entrichtet hat. Sie war im Anschluß an eine Zeit der Pflichtversicherung vom 22. September bis 9. November 1969 arbeitsunfähig krank. In ihre im Juni 1970 aufgerechnete Versicherungskarte Nr. 8 ist eine Marke der Beitragsklasse 900 mit dem Entwertungsdatum 30.11.69 eingeklebt. In die Versicherungskarte Nr. 9 sind u.a. Beitragsmarken der Klasse 1600 eingeklebt; eine ist zum 31.10.69, eine andere zum 30.11.69 entwertet.
Im April 1972 forderte die Klägerin den für Oktober 1969 entrichteten Beitrag zurück; an dessen Berücksichtigung als Beitrag der Höherversicherung sei sie nicht interessiert, sie bitte um Mitteilung, ob sie die Beitragsmarke entfernen oder wie sie sonst mit ihr verfahren solle. Die Beklagte ließ sich darauf die Versicherungskarte Nr. 9 vorlegen und rechnete sie auf. Mit Bescheid vom 5. November 1973 lehnte sie die Rückzahlung des Beitrags für Oktober ab; zugleich beanstandete sie den Beitrag der Klasse 1600 für November.
Mit dem Widerspruch forderte die Klägerin weiterhin den Oktoberbeitrag zurück; daneben beantragte sie, ihr auch den Gegenwert des für November entrichteten (ersten) Beitrags der Klasse 900 zurückzuzahlen (144,-DM). Die Beklagte erklärte sich bereit, für November die Klasse 1600 (den zweiten Beitrag) zugrunde zu legen und zahlte an die Klägerin demgemäß 144,- DM aus. Hinsichtlich des Oktoberbeitrags hatte der Widerspruch keinen Erfolg (Bescheid vom 15. Februar 1974).
Die Klägerin erhob Klage und beanspruchte außer der Rückzahlung des Oktoberbeitrags nun auch die Rückzahlung des (zweiten) Novemberbeitrags der Klasse 1600 (jeweils 272,-, zusammen 544,- DM). Im hierzu nachgeholten Verwaltungsverfahren lehnte die Beklagte auch das ab (Bescheide vom 28. August und 29. Oktober 1974). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung der Klägerin teilweise stattgegeben. Der Oktoberbeitrag und der erste Novemberbeitrag seien nicht zu Unrecht entrichtet, auch wenn sie auf eine Ausfallzeit entfielen; darin, daß die Beiträge nicht an Rentenanpassungen teilnähmen, liege keine Enteignung. Die Anfechtung der Beitragsentrichtung wegen Irrtums bzw. Täuschung sei unbegründet; die Klägerin habe nur über Rechtsfolgen ihres Handelns geirrt; durch Anforderung der Versicherungskarte Nr. 9 habe die Beklagte keine Beitragsentrichtung arglistig bewirkt, weil der Beitrag mit dem Einkleben der Marke schon entrichtet gewesen sei. Der zweite Beitrag für November sei dagegen unwirksam, weil die Klägerin für diesen Monat zuvor schon einen Beitrag wirksam entrichtet habe; die Rückzahlung des Gegenwertes des ersten Beitrags habe daran nichts geändert. Die Klägerin könne daher noch die Auszahlung von 128,- DM (Differenz zwischen 272,- und 144,- DM) beanspruchen. Dementsprechend hat das LSG die Beklagte zur Zahlung dieses Betrages verurteilt. Es hat die Revision zugelassen, "weil die Frage, ob die Beklagte zur Rückzahlung verpflichtet ist, obwohl sie den Austausch der Marken entsprechend dem Antrag der Klägerin vorgenommen hat, grundsätzliche Bedeutung hat".
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß,
in Abänderung der Vorentscheidungen die Beklagte noch zur Zahlung von 416,- DM (544,- DM - 128,- DM) zu verurteilen.
Sie rügt Verletzung der §§ 131 Abs. 1, 146 Abs. 1, 149 Abs. 3, 154 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), des § 119 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und des Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Beiträge für anzurechnende Ausfallzeiten seien angesichts der fortschreitenden Inflation "hinausgeworfenes Geld"; insoweit liege eine Enteignung vor. Da sie für Oktober überhaupt keinen Betrag habe entrichten wollen, sei sie nach § 119 BGB berechtigt, diese Beitragsentrichtung anzufechten. Die Anfechtung der Beitragsentrichtung für November sei nach § 123 BGB begründet; im übrigen dürfe hier die Rückzahlung nicht auf einen Teil des Beitrags beschränkt werden.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Klägerin hat, indem sie zwei Beiträge zurückfordert, auch zwei prozessuale Ansprüche erhoben. Die Begründung der Zulassungsentscheidung des LSG gilt nur für die Rückforderung des Novemberbeitrages, betrifft also nur einen prozessualen Anspruch. Da die Zulassung der Revision nicht begründet zu werden braucht, bedeutet das jedoch nicht, daß das LSG die Zulassung auf diesen Anspruch hat beschränken wollen. Das ergibt sich auch nicht aus sonstigen Ausführungen des LSG. Die Revision der Klägerin ist daher insgesamt zulässig.
Die Revision ist aber nicht begründet; die Klägerin hat keinen Anspruch auf (weitere) Rückzahlung von Beiträgen. Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Rückforderung kann nur § 146 Abs. 1 AVG sein. Sollte die Klägerin auch in Art. 14 GG eine Rechtsgrundlage dafür erblicken, so würde sie diese Vorschrift mißverstehen; diese gewährt allenfalls Entschädigungsansprüche, die zudem vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen sind.
Nach § 146 Abs. 1 AVG können "Beiträge, die zu Unrecht entrichtet sind", zurückgefordert werden. Diese Voraussetzung der Rückforderung ist weder für den Oktoberbeitrag noch für den noch strittigen (zweiten) Novemberbeitrag gegeben.
Sofern die Klägerin mit der von ihr behaupteten "Enteignung" dartun will, die Beiträge seien zu Unrecht entrichtet, ist ihr Vorbringen nicht schlüssig. Es ist zwar möglich, daß der Oktoberbeitrag - nur er, nicht auch der Novemberbeitrag ist " während einer ... Ausfallzeit" (§ 32 Abs. 7 Satz 2 AVG entrichtet - obwohl er ein freiwilliger Beitrag ist (und bleibt)., bei einer späteren Rentenberechnung aufgrund der §§ 32 Abs. 7 Satz 2, 37a AVG praktisch wie ein Beitrag der Höherversicherung behandelt wird; das setzt voraus, daß der Monat Oktober alsdann als Ausfallzeit anzurechnen wäre (was noch nicht feststeht). Wieso aus einer derart möglichen späteren (unter Umständen nicht einmal nachteiligen) Auswirkung des Beitrages folgen soll, er sei zu Unrecht entrichtet, ist nicht erkennbar. Es erübrigt sich daher, weiter auf die Ausführungen zur "Enteignung" einzugehen (vgl. hierzu SozR Nr. 1 zu § 1260a der Reichsversicherungsordnung - RVO -).
Dahinstehen kann, ob eine Beitragsentrichtung in entsprechender Anwendung der §§ 119 ff BGB angefochten werden kann mit der Folge, daß die entrichteten Beiträge unwirksam würden, ferner, ob die Klägerin die einzuhaltenden Anfechtungsfristen gewahrt hat. Selbst wenn man dies bejahen müßte, würde es hier an Anfechtungsgründen fehlen. Die mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG (vgl. § 163 SGG) bieten keinen Anhalt dafür, daß die Klägerin den bzw. einen freiwilligen Beitrag für Oktober nicht hat entrichten wollen; der Senat kann daher dieses tatsächliche Vorbringen der Revision nicht berücksichtigen. Nach den Entscheidungsgründen des LSG hat die Klägerin allenfalls über (spätere mögliche) Rechtsfolgen der Beitragsentrichtung geirrt; das rechtfertigt keine Anfechtung nach § 119 Abs. 1 BGB. Die Anfechtung des Novemberbeitrags nach § 123 BGB ist schon deshalb unbegründet, weil die Vorgänge, in denen die Klägerin eine arglistige Täuschung findet, zeitlich nach dem Abschluß der Beitragsentrichtung und damit nach der Abgabe der zugrunde liegenden Willenserklärung liegen. Der Beitrag war mit dem Einkleben der Marke in die Versicherungskarte entrichtet, ohne daß es noch des Zugangs der Karte beim Versicherungsträger bedurfte (§ 131 AVG; SozR 2200 § 140 Nr. 1). Die Auffassung der Klägerin, entrichtet sei ein Beitrag erst, wenn auch die Versicherungskarte "mit Willen und Wissen" des Versicherten in den Besitz des Versicherungsträgers gelangt ist, findet keine Stütze im Gesetz; sie entzieht im übrigen dem hier erhobenen Anspruch die Grundlage, weil der Novemberbeitrag dann überhaupt nicht "entrichtet" wäre.
Entgegen der Auffassung der LSG ist der (zweite) Novemberbeitrag der Klasse 1600 schließlich nicht deshalb i.S. des § 146 Abs. 1 AVG "zu Unrecht entrichtet", weil für diesen Monat bereits ein Beitrag (der Klasse 900) entrichtet worden war. Nach § 129 Abs. 2 Satz 1 AVG kann zwar für jeden Kalendermonat nur ein Beitrag entrichtet werden. Das muß jedoch nicht bedeuten, daß ein zweiter Beitrag, sofern nur der erste Beitrag wirksam entrichtet worden ist, in jedem Falle unwirksam bleibt, gleichgültig, was mit dem ersten Beitrag geschieht. § 129 Abs. 2 Satz 1 AVG soll lediglich Mehrfachbelegungen eines Monats verhindern, weil solche mit der seit 1957 geltenden Rentenformel unvereinbar sind; die Zahl der Beitragsmonate würde dadurch ungerechtfertigt erhöht und die persönliche Rentenbemessungsgrundlage verfälscht (vgl. BSG in DAngVers 1968, S. 67; SozR Nr. 10 zu Art. 2 § 52 ArVNG; BSGE 35, 178 f). Von diesem Sinn und Zweck der Vorschrift her erscheint es aber nicht gerechtfertigt, einem zweiten Beitrag die Wirksamkeit selbst dann noch abzusprechen, wenn er zu einem späteren Zeitpunkt als einziger Beitrag für den Monat verblieben ist. So verhält es sich jedoch hier. Die Beklagte hat den ersten Novemberbeitrag der Klasse 900 (Gegenwert 144,- DM) während des (ersten) Widerspruchsverfahrens entsprechend dem Willen der Klägerin und auf ihren Antrag an sie zurückgezahlt. Ein Beitrag, der einem Versicherten mit seinem ausdrücklichen Einverständnis zurückgezahlt wird, ist jedoch nicht mehr als Beitrag vorhanden, selbst wenn seine Rückzahlung rechtswidrig gewesen sein sollte.
Das läßt es geboten erscheinen, bei Anwendung der §§ 129 Abs. 2 Satz 1, 146 Abs. 1 AVG hier von der seitdem bestehenden Lage auszugehen. Wenn von zwei für einen Monat entrichteten Beiträgen der erste dem Versicherten zurückgezahlt worden ist, so ist dem § 129 Abs. 2 Satz 1 AVG auch dann Genüge getan, wenn in Wahrheit der zweite Beitrag zurückzuzahlen gewesen wäre. Eine fehlerhafte Sachbehandlung des ersten Beitrags würde sonst die Abweichung von dem vom Gesetz Gewollten nur vergrößern, weil der betreffende Monat, hier der Monat November 1969, schließlich mit keinem Beitrag mehr belegt wäre. Ein schutzwürdiges Interesse eines der Beteiligten daran, daß nach der Rückzahlung des ersten auch der zweite Beitrag zurückgezahlt wird, ist nicht ersichtlich; im Gegenteil ließe sich fragen, ob die Rückforderung des zweiten Beitrags nicht Treu und Glauben widerspräche; das kann hier jedoch dahinstehen.
Der für November 1969 entrichtete (zweite) Beitrag der Klasse 1600 ist daher seit der Rückzahlung des (ersten) Beitrags der Klasse 900 als wirksam entrichtet anzusehen. Das LSG hätte somit die Beklagte nicht zur Rückzahlung weiterer 128,- DM aus dem Gegenwert des zweiten Beitrags verurteilen dürfen. Wenn es das gleichwohl getan hat, so kann das nicht zur Folge haben, daß das Revisionsgericht nun noch die Beklagte zur Rückzahlung des Restes des zweiten Novemberbeitrags verurteilen müßte; die gegenteilige Meinung der Klägerin verkennt nicht nur den Unterschied zwischen Rückzahlungen und Beitragserstattungen (§ 82 AVG; vgl. SozR Nr. 1 zu § 1424 RVO), sondern vor allem auch prozeßrechtliche Grundsätze bei Entscheidungen über Rechtsmittel. Im übrigen dürfte für die Beklagte kein Hindernis bestehen, die spätere Rentenberechnung u.a. auf die Grundlage eines "Restbeitrags" von 144,- DM für November 1969 vorzunehmen; ob die Klägerin berechtigt wäre, den Restbeitrag wieder auf den vollen Beitrag aufzufüllen, ist hier nicht zu entscheiden.
Nach alledem war die Revision zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen