Leitsatz (amtlich)
Zeiten des militärischen Dienstes eines Berufssoldaten in Friedenszeiten sind auch dann keine Ersatzzeiten nach AVG § 28 Abs 1 Nr 1 (RVO § 1251 Abs 1 Nr 1), wenn sie nach dem Ersten Weltkrieg zurückgelegt sind und der Berufssoldat in derselben Zeit Wehrdienst nach WehrG § 7 und 8 vom 1935-05-21 hätte leisten müssen (Fortbildung von BSG 1964-07-01 11/1 RA 346/62 = SozR Nr 7 zu § 1251 RVO).
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09; WehrG § 7 Fassung: 1935-05-21, § 8 Fassung: 1935-05-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. April 1972 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1915 geborene Kläger war vor und während des letzten Krieges Berufssoldat gewesen; er war am 1. April 1933 in die damalige Reichswehr eingetreten, wobei er sich zu einer 12-Jährigen Dienstzeit verpflichtet hatte. Am 6. Februar 1970 erteilte ihm die Beklagte im Verfahren zur Wiederherstellung verlorengegangener Versicherungsunterlagen eine Aufrechnungsbescheinigung, in der ua die Zeit seines Kriegsdienstes und seiner Kriegsgefangenschaft mit anschließender Arbeitslosigkeit vom 26. August 1939 bis 8. Mai 1946 als Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) eingetragen war. Demgegenüber hatte der Kläger die Auffassung vertreten, aufgrund der mit Wirkung vom 1. Oktober 1935 geltenden Wehrpflicht wäre er als Angehöriger des Geburtsjahrganges 1915 im Jahre 1937 zur Ableistung eines zweijährigen Wehrdienstes einberufen worden, so daß ihm von seiner Berufssoldatenzeit zwei Jahre als Ersatzzeit angerechnet werden müßten. Die Beklagte lehnte jedoch gleichwohl die Anerkennung weiterer Ersatzzeiten ab, da der Kläger seinen Wehrdienst nicht aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht, sondern als Berufssoldat geleistet habe, so daß ihm nur sein Wehrdienst während des Krieges und die anschließende Zeit der Kriegsgefangenschaft und Arbeitslosigkeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG als Ersatzzeit angerechnet werden könne.
In dem Widerspruchsverfahren war der Kläger ebenso erfolglos wie in dem anschließenden Klage- und Berufungsverfahren. Er hat nunmehr die vom Landessozialgericht (LSG) Berlin zugelassene Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil vom 12. April 1972 und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. März 1971 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 1970 und ihren Widerspruchsbescheid vom 20. April 1970 aufzuheben und diese zu verpflichten, ihm einen Bescheid über die Anerkennung einer Ersatzzeit vom 1. April 1937 bis 31. März 1939 zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen sind übereinstimmend der Auffassung, der vom Kläger als Berufssoldat im Frieden geleistete Wehrdienst könne auch nach Erlaß des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 (RGBL I 609) keine Ersatzzeit nach § 28 Abs. Nr. 1 AVG sein. Das Gesetz verlange hier die Erfüllung von zwei Voraussetzungen. Einmal müsse es sich um Zeiten militärischen oder militärähnlichen Dienstes im Sinne der §§ 2 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) handeln. Ferner müsse dieser Dienst aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht oder während eines Krieges geleistet worden sein. Damit komme schon nach dem Wortlaut ein freiwilliger Wehrdienst im Frieden als Ersatzzeit nicht in Betracht. Wer wie der Kläger seit 1933 Berufssoldat gewesen sei, habe seinen Wehrdienst, gleichgültig zu welchen Jahrgang er gehört habe, nicht aufgrund einer Dienst- oder Wehrpflicht, sondern aufgrund seiner Verpflichtung erfüllt, und zwar auch dann, nachdem mit dem Wehrgesetz vom 21. Mai 1935 die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt gewesen sei. Der Kläger habe in der streitigen Zeit seinen Beruf als Soldat ausgeübt. Die Zuerkennung einer Ersatzzeit hierfür würde dem Wesen der Ersatzzeitenregelung widersprechen. Es sei nicht einzusehen, welche Zeit bei gleichbleibender beruflicher Tätigkeit ersetzt werden solle. Diese Auffassung entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), wie sich aus dessen Urteil vom 1. Juli 1964 (SozR Nr. 7 zu § 1251 der Reichsversicherungsordnung -RVO-) ergebe.
Daß die Zeit vom 1. April 1937 bis 31. März 1939 keine Ersatzzeit sein könne, bestätige § 72 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes (GG) fallenden Personen. Danach wäre der Kläger, wenn er jetzt nicht Beamter mit Anspruch auf beamtenrechtliche Altersversorgung wäre, für die gesamte Zeit seines Wehrdienstes vom 1. April 1933 an nachzuversichern mit der Folge, daß die streitige Zeit vom April 1937 bis März 1939 wiederum nicht als Ersatzzeit, sondern als Versicherungszeit hätte angerechnet werden müssen. Diese Regelung zeige besonders deutlich, daß die Ersatzzeittatbestände für den militärischen Dienst von Berufssoldaten in Friedenszeiten nicht gedacht seien. Hieran änderten auch die Vorschriften des § 36 Abs. 1 und 3 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 nichts. Sie besagten lediglich, daß auf die beim Reichsheer nach dem 31. März 1933 eingestellten Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften das Wehrgesetz uneingeschränkt Anwendung finde. Das bedeutet jedoch nicht, daß nunmehr auch die Berufssoldaten Dienst aufgrund gesetzlicher Dienst- oder Wehrpflicht geleistet hätten, sondern es hätte lediglich klargestellt werden sollen, daß auch diese Freiwilligen den Regelungen des Wehrgesetzes unterworfen seien.
Es sei deshalb nicht verständlich, so führt das LSG abschließend aus, weshalb die Landesversicherungsanstalt (LVA) Berlin bei einer so eindeutigen Rechtslage für ihren Bereich durch die Abteilungsverfügung Nr. 5/68 (neue Fassung) vom 13. Juli 1971 eine davon abweichende Regelung getroffen habe, ohne sich insbesondere mit der Rechtsprechung des BSG auseinanderzusetzen. Der Senat halte die von der LVA Berlin getroffene Regelung für unrichtig, habe aber, da damit die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung gewinne und die Entscheidung des BSG vom 1. Juli 1964 sich nur auf einen vor dem Ersten Weltkrieg geleisteten Wehrdienst beziehe, die Revision zugelassen.
Hiergegen wendet die Revision ein, das Urteil des ESG vom 1. Juli 1964 beziehe sich mit Recht nur auf Zeiten, die vor dem Ersten Weltkrieg gelegen hätten. Tragender Grund dieser Entscheidung sei die Feststellung gewesen, daß der Berufssoldat vor dem Ersten Weltkrieg keine rechtliche Möglichkeit gehabt habe, wirksame Beiträge zur Rentenversicherung (RentV) zu entrichten, so daß eine Lücke in der Beitragszahlung überhaupt nicht hätte entstehen können. Nach § 4 AVG aF hätte jedoch für den Kläger die Möglichkeit bestanden, auf Antrag seine Versicherungspflicht herbeizuführen. Schon aus diesem Grunde verbiete sich die Anwendung der im Urteil vom 1. Juli 1964 erarbeiteten Grundsätze auf die ehemaligen Berufssoldaten der früheren Wehrmacht. Es sei daher auf den Wortlaut und den Sinn der Ersatzzeitenregelung abzustellen. Dabei dürfe es jedoch keinen Unterschied machen, ob die Person, die in Friedenszeiten militärischen Dienst geleistet und damit der gesetzlichen Wehrpflicht genügt habe, diesen Dienst als Berufssoldat freiwillig aufgenommen habe. Der Status als Berufssoldat schließe die Anwendung des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG insbesondere im Hinblick auf die Regelung des § 36 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 nicht aus. Somit sei davon auszugehen, daß der Kläger den militärischen Dienst in der streitigen Zeit auch aufgrund der gesetzlich angeordneten zweijährigen Wehrpflicht geleistet habe, so daß ihm insoweit auch eine Ersatzzeit angerechnet werden müsse. Hieran könne sich nichts dadurch ändern, daß ihm die Zeit vom 1. April 1937 bis 31. März 1939 als ruhegehaltsfähige Beamtendienstzeit angerechnet werde. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ergäben die Rentenversicherungsgesetze keine Handhabe dafür eine Doppelversorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften zu verhindern (BSG 26, 251 und SozR Nr. 42 zu § 1251 RVO).
Diesen Ausführungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Der Kläger hat seinen gesamten Wehrdienst als Berufssoldat mit entsprechenden Dienstbezügen geleistet (vgl. ua § 19 Abs. 2 des Wehrgesetzes vom 23. März 1921 - RGBl 329, 960 - und § 1 Abs. 2 des Besoldungsgesetzes vom 16. Dezember 1927 - RGBl I 349 -, wonach die Soldaten der Reichswehr grundsätzlich wie die planmäßigen Beamten besoldet wurden, sowie die Anlage 3 hierzu reit der Besoldungsordnung C für Soldaten der Wehrmacht, aaO S. 391; ferner Nader/Wittland, Beamtenrechtliche Gesetze, Berlin 1937, S. 329 ff). Es besteht schon deshalb kein sachgerechter Grund, entgegen dem Wortlaut des Gesetzes eine Dienstzeit als Berufssoldat außerhalb eines Krieges, wenn auch nur teilweise, als Ersatzzeit zu berücksichtigen. Zwar ist es richtig, daß die Rentenversicherungsgesetze keine Handhabe dafür bieten, eine etwa bestehende Doppelversorgung zu vermeiden, und daß es auch nicht Aufgabe der Rechtsprechung sein kann, hier anstelle des Gesetzgebers tätig zu werden. Andererseits kann es jedoch nicht sinnvoll sein, die gesetzlichen Vorschriften der RentV über die Ersatzzeiten hier entgegen ihrem erkennbaren Zweck und dem damit übereinstimmenden Wortlaut so auszulegen und anzuwenden, daß eine Doppelversorgung eintreten mußte. In dem Entwurf eines 3. Gesetzes zur Änderung beamtenrechtlicher und besoldungsrechtlicher Vorschriften nebst Begründung (BT-Drucks. IV/2174, S. 17 und 18) heißt es, durch die Neuregelung des Rentenrechts sei deutlich geworden, daß das Rentenrecht und das Beamtenversorgungsrecht in ihrer Systematik nicht übereinstimmten. Die Rentenreform habe offenbar werden lassen, daß rentenberechtigte Versorgungsempfänger ungerechtfertigt besser als vergleichbare nicht rentenberechtigte Versorgungsempfänger gestellt sein könnten. Sowohl im Beamtenrecht als auch im Rentenrecht werde stets der Grundsatz verfolgt, daß die Versorgungsleistungen hinter dem zugrunde zu legenden Arbeitseinkommen zurückbleiben müßten. Dieser Grundsatz sei bei rentenberechtigten Versorgungsempfängern häufig nicht verwirklicht. Die Ursachen für die hier mögliche überhöhte Gesamtversorgung lägen vor allem darin, daß Zeiten als ruhegehaltsfähig berücksichtigt würden, die auch im Rentenrecht rentensteigernd wirkten (Doppelbemessungszeiten). Die Regelung dieses Problems sei in dem genannten Gesetzentwurf als dringlich bezeichnet worden, und es seien darin entsprechende Regelungen vorgeschlagen worden, die eine solche Doppelversorgung vermieden.
Im Einklang mit dieser Zielsetzung und zur Vermeidung der Entstehung von Doppelbemessungszeiten ist dem Kläger deshalb sogar das durch Art. 2 § 44 a Abs. 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) idF des Rentenreformgesetzes vom 16. Oktober 1972 (BGBl I 1965) den früheren Soldaten der Reichswehr eingeräumte Recht, für die Dauer ihrer Dienstzeit, längstens jedoch bis zum 1. Januar 1924 zurück, Beiträge nachzuentrichten, durch Absatz 4 des § 44 a AnVNG versagt worden, weil seine Soldatenzeit bei seiner Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften berücksichtigt wird.
Somit ist kein durchgreifender Grund ersichtlich, die Entscheidung des BSG vom 1. Juli 1964 nicht auch auf Friedensdienstzeiten eines Berufssoldaten nach dem Ersten Weltkrieg anzuwenden. Wie der 11. Senat aaO mit eingehender Begründung ausgeführt hat, sind Friedensdiensetzeiten eines Berufssoldaten niemals Ersatzzeiten nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG; dies gilt auch für die Zeiten, in denen sonst aufgrund gesetzlicher Wehrpflicht Militärdienst zu leisten gewesen wäre. Daß später die Berufssoldaten nach dem Soldatenversicherungsgesetz vom 31. Mai 1922 (RGBl I 542) auf Antrag versicherungspflichtig werden konnten (vgl. dazu Brigmann, DAngVers 1969, 218), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Wenn der Kläger von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat, kann ihm jedenfalls jetzt nicht ein Ausgleich gewährt werden. § 36 Abs. 3 des Wehrgesetzes vom 21. Mai 1935 ermöglicht ebenfalls keine andere Entscheidung, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat.
Somit ist die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen