Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragssatz für die Nachversicherung in der Rentenversicherung
Leitsatz (redaktionell)
Wenn eine Verwaltungsassessorin im Beamtenverhältnis auf Probe am 1967-08-07 von ihrem Dienstgeber ohne Fortzahlung der Dienstbezüge beurlaubt worden ist, um die Rechtsanwaltspraxis ihres verstorbenen Vaters bis zur Klärung der Nachfolgefrage vorübergehend selbst zu übernehmen, dann zum 1968-03-31 endgültig entlassen worden ist, weil sie sich entschlossen hatte, diese Praxis weiterzuführen, dann ist für die Nachversicherung nach AVG § 9 Abs 1 der Beitragssatz von 14 vH des AVG § 112 Abs 1 in der bis zum Ende des Jahres 1967 gültigen Fassung zugrundezulegen und nicht der Beitragssatz von 15 vH des AVG § 112 Abs 1 idF des FinÄndG 1967.
Normenkette
AVG § 9 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09, § 112 Abs. 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1385 Abs. 1 Fassung: 1967-12-21, § 1232 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; AVG § 112 Abs. 1 Fassung: 1961-04-25; RVO § 1385 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 124 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1402 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Januar 1972 wird zurückgewiesen.
Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beigeladene war vom 13. Juni 1966 bis 2. Juli 1967 zunächst bei der Klägerin, der Bundesanstalt für Arbeit in N... (BA), danach vom 3. bis 31. Juli 1967 beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in Bonn und anschließend wieder bei der Klägerin als Verwaltungsassessorin im Beamtenverhältnis auf Probe tätig. Am 7. August 1967 ließ sie sich ohne Fortzahlung der Dienstbezüge zur einstweiligen Weiterführung der Rechtsanwalts- und Notarpraxis ihres verstorbenen Vaters beurlauben. Am 6. Oktober 1967 beantragte sie ihre Entlassung. Kurz darauf erklärte sie jedoch, daß sie möglicherweise ihren Antrag wieder zurücknehmen wolle. Mit Schreiben vom 5. Januar 1968 wies die BA sie darauf hin, daß ihre Entlassung erfolgen werde, falls sie bis zum 15. Januar 1968 keinen gegenteiligen Bescheid gebe. Als dies nicht geschah, wurde die Beigeladene Ende Februar 1968 zum 31. März 1968 endgültig entlassen.
Die Klägerin ging für die nunmehr durchzuführende Nachversicherung davon aus, daß die Beigeladene i.S. der §§ 9 Abs. 1, 124 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) 1967 aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sei, und legte deshalb den Beitragssatz von 14 v.H. des § 112 Abs. 1 AVG damaliger Passung zugrunde. Demgemäß überwies sie 2.429,49 DM an die Beklagte. Diese beanspruchte jedoch einen Beitragssatz von 15 v.H. gemäß § 112 Abs. 1 AVG idF des Art. 1 § 2 Nr. des Finanzänderungsgesetzes (FinÄndG) vom 21. Dezember 1967 (BGBl I 1259), weil die Beigeladene erst im Jahre 1968 mit ihrer Entlassung aus dem Beamtenverhältnis endgültig ausgeschieden sei, und forderte dementsprechend mit ihren Bescheiden vom 9. Dezember 1968 und 12. Mai 1969, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 20. August 1969, weitere 173,53 DM.
Das Sozialgericht (SG) Nürnberg hat durch Urteil vom 10. Dezember 1970 die genannten drei Bescheide der Beklagten aufgehoben und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, das Dienstverhältnis habe zwar endgültig erst am 31. März 1968 geendet, der Begriff des Ausscheidens müsse jedoch sozialversicherungsrechtlich verstanden werden. Ein Beamtenverhältnis könne formell durchaus noch andauern, auch wenn es versicherungsrechtlich wie hier mit der Beurlaubung ohne Dienstbezüge bereits beendet sei.
Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Auch das Bayerische Landessozialgericht (LSG) - vgl. Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1973 B 5 ff - ist der Auffassung, der Begriff des "Ausscheidens" im Sinne der §§ 9 Abs. 1, 124 Abs. 1 AVG sei sozialversicherungsrechtlich zu verstehen mit der Folge, daß das "Ausscheiden" nicht mit dem Zeitpunkt der beamtenrechtlichen Entlassung aus dem Dienstverhältnis zusammenfallen müsse. Der Beklagten sei lediglich darin zu folgen, daß ein Beschäftigungsverhältnis auch fortbestehen könne, wenn nur zeitweilig nicht gearbeitet und kein Entgelt gezahlt werde. Ein solcher Fortbestand setze jedoch voraus, daß die Arbeitsunterbrechung nicht unverhältnismäßig lange andauere, ihr Ende voraussehbar sei, die Beteiligten das Arbeitsverhältnis nach der Unterbrechung fortsetzen wollten und damit letztlich die Verfügungsgewalt des Dienstgebers und die Dienstbereitschaft des Beschäftigten bestehen blieben. Zwar habe die Beigeladene zunächst nur die Gewährung eines Sonderurlaubs unter Fortfall der Dienstbezüge erbeten, um die Anwalts- und Notariatspraxis ihres verstorbenen Vaters abwickeln zu können. Es sei jedoch schon damals von einer etwa halbjährigen Beurlaubung die Rede gewesen. Deshalb sei bereits fraglich, ob sich dieser erbetene Sonderurlaub auf einen überschaubaren kürzeren Zeitraum erstreckt habe, dessen Ende voraussehbar gewesen sei. Jedenfalls habe die Beigeladene am 6. Oktober 1967 noch formell ihre Entlassung nach § 30 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) beantragt. Damit habe sowohl ab August 1967 und erst recht ab Oktober 1967 keine grundsätzliche Dienstbereitschaft bei der Beigeladenen mehr bestanden. Ebensowenig könne von einer noch bestehenden Verfügungsgewalt des Dienstgebers und einer Eingliederung der Beigeladenen in den Dienstbetrieb gesprochen werden. Demgemäß seien sich die Klägerin und die Beigeladene darüber einig gewesen, daß es bei einer etwaigen erneuten Beschäftigung einer Rücknahme des Entlassungsantrages und eines - wohlwollend zu prüfenden - Antrages auf Wiedereinstellung bedurft hätte, wie ein Vermerk in den Personalakten ergebe. Nach alledem habe die Klägerin zu Recht für die von ihr im Rahmen der Nachversicherung zu entrichtenden Beiträge für die Zeit vom 13. Juni 1966 bis 2. Juli 1967 und vom 1. bis 6. August 1967 einen Beitragssatz von 14 v.H. zugrunde gelegt, da die Beigeladene bereits im Jahre 1967 aus ihrer versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden sei.
Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Gerügt wird unrichtige Anwendung der §§ 124 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 112 Abs. 1 AVG. Das LSG habe die für das Fortbestehen des Beschäftigungsverhältnisses bis zum 31. März 1968 sprechenden und vom Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht für erheblich gehaltenen Merkmale eines Beschäftigungsverhältnisses, nämlich die Verfügungsmacht des Arbeitgebers und die Dienstbereitschaft des Arbeitnehmers (zuletzt Urteil des 3. Senats vom 15. Dezember 1971, BSG 33, 254), verkannt. Daß die Verfügungsmacht des Dienstherrn während eines Sonderurlaubs des Beamten bestehen bleibe, ergebe sich schon aus der Sonderurlaubs-Verordnung vom 18. August 1965 (BGBl I 902), wonach z.B. ein Widerruf des Sonderurlaubs möglich sei. Bleibe in einem solchen Falle der zurückbeorderte Beamte schuldhaft dem Dienst fern, so begehe er ein Dienstvergehen (§§ 73, 77 BBG). Auch in sonstiger Hinsicht unterliege der beurlaubte Beamte dem Dienststrafrecht und der Verfügungsmacht des Dienstherrn. Diese werde auch nicht durch einen Antrag auf Entlassung gemäß § 30 BBG, wie ihn die Beigeladene am 6. Oktober 1967 gestellt habe, berührt. Gerade das Recht des Dienstherrn, die Entlassung bis zu drei Monaten hinauszuschieben, um eine ordnungsmäßige Abwicklung der Amtsgeschäfte sicherzustellen, zeige, daß die Verfügungsgewalt selbst dann erhalten bleibe, wenn das endgültige Ausscheiden des Beamten bereits eindeutig feststehe. Eine Beurlaubung könne daher erst recht keinen Einfluß auf die Weisungsbefugnis haben.
Aber auch die Auffassung des LSG, daß bei der Beigeladenen seit August 1967 und erst recht ab Oktober 1967 keine grundsätzliche Dienstbereitschaft mehr bestanden habe, sei nach dem im angefochtenen Urteil festgestellten Sachverhalt nicht haltbar. Da bei einer Beurlaubung in der Regel die Rückkehr in das Dienstverhältnis beabsichtigt sei und auch erfolge, stelle sich jede Beurlaubung vorrangig als fortbestehendes Dienstverhältnis dar. Sie habe keinen, endgültigen Charakter, weshalb auch die dienstrechtlichen Rechte und Pflichten mit Einschränkungen erhalten blieben mit der Folge, daß die Beigeladene erst 1968 aus dem Beamtendienst ausgeschieden sei.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil vom 25. Januar 1972 und das Urteil des SG Nürnberg vom 10. Dezember 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Eine entgeltlose Nichtbeschäftigung sei für das Weiterbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Sozialversicherung nur dann unschädlich, wenn sie die Frist von drei Wochen nicht übersteige. Die Beigeladene sei von Anfang an für mehr als drei Wochen ohne Dienstbezüge beurlaubt worden. Ihr erstes Urlaubsgesuch vom 1. August 1967 habe sich auf einen Monat bezogen. Am 7. August 1967 habe sie Sonderurlaub bis zum 31. Dezember 1967, ab 14. August 1967 für ein halbes Jahr und am 21. August 1967 bis auf weiteres erbeten. Es habe somit bereits bei Beginn des unbezahlten Urlaubs festgestanden, daß sein Ende nicht in naher Zukunft (längstens drei Wochen) liegen werde. Spätestens ab 14. August 1967 sei das Urlaubsende nicht mehr konkret voraussehbar gewesen.
Die Beigeladene hat keine Erklärungen abgegeben.
II.
Die Revision ist nicht begründet.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte zur Rechtfertigung ihrer Auffassung auf die bisherige Rechtsprechung des BSG, insbesondere die des 3. Senats, zur Frage der Unterbrechung oder Beendigung eines sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. insbesondere BSG 33, 254, 261). Diese könnte ohnehin für die Rentenversicherung nicht uneingeschränkt übernommen werden, weil hier das materielle Versichertsein im wesentlichen von der vorangegangenen Beitragsleistung abhängt und nicht vom Fortbestand des Versicherungsverhältnisses auch für solche Zeiten, in denen aus besonderen Gründen kein Entgelt gezahlt wird. Abgesehen hiervon war die Beigeladene überhaupt nicht sozialversicherungspflichtig. Vielmehr ging es darum, wann ihr versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis so endete, daß die Nachversicherung durchzuführen war. Diese hier zu entscheidende Rechtsfrage kann nur aus den Besonderheiten der Rentenversicherungen im allgemeinen und der Nachversicherung im besonderen beantwortet werden, wie der Senat bereits in seinen Urteilen vom 20. April 1972 (BSG 34, 153) und vom 14. Februar 1973 (1 RA 121/72) entschieden hat.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 20. April 1972 ganz allgemein ausgesprochen, daß eine Beurlaubung ohne Dienstbezüge ein Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung i.S. des Nachversicherungsrechts darstellt. Allerdings handelte es sich dort um eine von vornherein auf nicht absehbare Zeit ausgesprochene Beurlaubung, so daß nicht geprüft zu werden brauchte, ob für kurzfristige Beurlaubungen möglicherweise etwas anderes zu gelten hat. In dem genannten Urteil vom 14. Februar 1973, das die Einberufung eines Inspektoranwärters zum Grundwehrdienst auf die Dauer von 18 Monaten unter gleichzeitiger Beurlaubung ohne Dienstbezüge behandelte, hat der Senat jedoch weiter entschieden, daß bereits in diesem Vorgang ein Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung zu sehen ist und nicht erst in der dann ein Jahr später auf Antrag erfolgten endgültigen Entlassung, und er hat dieses Ergebnis aufgrund der geschichtlichen Entwicklung der maßgebenden Vorschriften im einzelnen begründet. Zwar sollte dort die Beurlaubung zunächst von vornherein für längere Zeit gelten. Außerdem beruhte sie auf einer Sondervorschrift (§ 9 des Arbeitsplatzschutzgesetzes). Schließlich begründete die Einberufung zum Wehrdienst
Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung (§ 2 Abs. 1 Nr. 8 AVG). In dem hier zu entscheidenden Falle war dagegen von Anfang an stets eine normale Beurlaubung aufgrund allgemeiner beamtenrechtlicher Vorschriften und außerdem für einen wesentlich kürzeren Zeitraum geplant. Gleichwohl rechtfertigen diese Besonderheiten keine andere rechtliche Beurteilung. Auch hier entspricht es dem Sinn und Zweck der Nachversicherung und den Vorschriften über den Aufschub der Nachentrichtung bei einer vorübergehenden Unterbrechung der versicherungsfreien Beschäftigung oder wegen Übertritts in eine andere, ebenfalls versicherungsfreie Beschäftigung ein Jahr nach dem Ausscheiden (vgl. dazu BSG 34, 136 ff), schon in der ersten Beendigung der Beschäftigung der Beigeladenen gegen Entgelt mit Ablauf des 6. August 1967 ein Ausscheiden aus ihrer versicherungsfreien Beschäftigung bei der BA zu sehen, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob überhaupt und bejahendenfalls in welcher Zeit ihre Rückkehr in den Dienst beabsichtigt war.
Damit bedarf es zunächst keiner weiteren Aufklärung und Prüfung der Frage, unter welchen Umständen im einzelnen die Beurlaubung der Beigeladenen vor sich gegangen ist und inwieweit angesichts der sich widersprechenden Behauptungen der Beteiligten hierzu dem Senat bindende tatsächliche Feststellungen des LSG vorliegen. Zugleich ist damit der Beitragssatz festgelegt, der für die Nachversicherung maßgebend ist. Nach den vorangegangenen Ausführungen kann dies nur der Beitragssatz des Jahres 1967 sein.
Somit ist die Beklagte zu einer Nachforderung nicht berechtigt, vielmehr muß ihre Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen