Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragszuschuß zur KVdR. Offenbarungspflicht und Privatsphäre
Orientierungssatz
1. Die Neuregelung des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung in § 1304e RVO (der § 83e AVG entspricht) durch das 20. RAG verstößt nicht gegen Art 3, 14 und 20 GG (vergleiche BVerfG vom 1978-07-13 1 BvR 1211/77 = SozR 2200 § 1304e Nr 1).
2. Eine private Krankenversicherung gehört nicht zum Intimbereich, sondern betrifft ein Rechtsverhältnis zu Außenstehenden. Weder die insoweit in § 60 SGB 1 begründete Offenbarungspflicht noch die in § 66 SGB 1 geregelten Folgen fehlender Mitwirkung verstoßen gegen das GG.
Normenkette
RVO § 1304e Abs 1 Fassung: 1977-06-27; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Abs 3 Fassung: 1949-05-23; GG Art 2 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; SGB 1 § 60 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1975-12-11, § 66 Abs 1 Fassung: 1975-12-11; AVG § 83e Abs 1 Fassung: 1977-06-27; AnVNG Art 2 § 27a Abs 1 Fassung: 1977-06-27; ArVNG Art 2 § 28a Abs 1 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 23.06.1980; Aktenzeichen L 11/6 An 541/79) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 09.03.1979; Aktenzeichen S 6 An 164/78) |
Tatbestand
Die Klägerin begehrt einen höheren Beitragszuschuß für freiwillig krankenversicherte Rentner.
Die Klägerin bezieht von der Beklagten Altersruhegeld; sie ist als Familienmitglied bei der Hessischen Beamtenkrankenkasse mitversichert, wobei für die Zeit ab 1. Februar 1977 der gesamte Beitrag 163,-- DM, der Anteil der Klägerin 61,-- DM monatlich betrug.
Die Klägerin bezog von der Beklagten einen Beitragszuschuß zur Krankenversicherung von zuletzt 145,-- DM monatlich. Für die Zeit ab 1. Juli 1977 wurde der Zuschuß aufgrund des § 83e des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) iVm Art 2 § 27a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) auf monatlich 100,-- DM herabgesetzt (Bescheid vom 13. März 1978). Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen und im Widerspruchsbescheid der Beitragszuschuß für die Zeit ab 1. Juli 1978 auf 61,-- DM monatlich herabgesetzt (Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 1978).
Die hiergegen erhobene Klage hatte in beiden Vorinstanzen keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts vom 9. März 1979, Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 23. Juni 1980). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei nach § 83a AVG iVm Art 2 § 27a AnVNG, jeweils idF des 20. Rentenanpassungsgesetzes (RAG) vom 27. Juni 1977, berechtigt gewesen, den Beitragszuschuß für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis zum 30. Juni 1978 auf monatlich 100,-- DM und für die Zeit ab 1. Juli 1978 auf monatlich 61,-- DM festzusetzen. Die gesetzliche Regelung verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG), insbesondere nicht gegen dessen Art 3, 14 und 20. Die Klägerin meine zu Unrecht, die Beklagte habe bei Anwendung der Bestimmungen des 20. RAG jedenfalls die Angaben zur Höhe ihrer Krankenversicherungsbeiträge unberücksichtigt lassen müssen, da sie diese Angaben nur unter der Drohung, den Zuschuß einzustellen, gemacht habe. Die Beklagte sei berechtigt gewesen, die Klägerin zur Mitwirkung heranzuziehen und auf die in § 66 Abs 1 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB 1) normierten Folgen fehlender Mitwirkung hinzuweisen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung der Art 14 und 20 GG. Die Schmälerung des Zuschusses um 50 % widerspreche diesen Grundrechten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der vorinstanzlichen
Urteile und der entgegenstehenden Bescheide
zu verurteilen, den Beitragszuschuß in bisheriger
Höhe weiterzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin konnte keinen Erfolg haben.
Die Beklagte hat den Beitragszuschuß zu Recht für die Zeit ab 1. Juli 1977 auf monatlich 100,-- DM und für die Zeit ab 1. Juli 1978 auf monatlich 61,-- DM festgesetzt.
Der Senat stimmt dem LSG darin zu, daß diese Festsetzung für die Zeit ab 1. Juli 1978 nicht schon deswegen als rechtswidrig aufzuheben ist, weil über sie erstmalig im Widerspruchsbescheid entschieden worden ist (vgl SozR 1500 § 54 Nr 45 und SozR 7290 § 74 Nr 1).
Dem LSG ist ferner auch darin beizutreten, daß der Klägerin nach § 83e AVG und Art 2 § 27a AnVNG, beide Vorschriften idF des 20. RAG, kein höherer Beitragszuschuß zustand, und daß diese Vorschriften des 20. RAG, wie sich insbesondere aus der Neufassung des Art 2 § 27a Abs 1 AnVNG ergibt, auch Geltung für Versicherungsfälle vor dem 1. Juli 1977 beanspruchen und insoweit ungeachtet des § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eine Neufeststellung bereits bindend bewilligter Leistungen zulassen. Insoweit werden von der Revision auch keine Einwendungen erhoben.
Entgegen der Ansicht der Revision ist dem LSG auch darin zuzustimmen, daß die angewandten Vorschriften des 20. RAG nicht verfassungswidrig sind. Das LSG weist zutreffend auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Juli 1978 - Beschluß des Dreier-Ausschusses nach § 93a BVerfG - (SozR 2200 § 1304e Nr 1) hin, wonach die Neuregelung des Beitragszuschusses zur Krankenversicherung in § 1304e der Reichsversicherungsordnung -RVO- (der § 83e AVG entspricht) durch das 20. RAG nicht gegen Art 3, 14 und 20 GG verstößt. Der späteren Rechtsprechung des BVerfG sind entgegen der Ansicht der Klägerin keine gegenteiligen Gesichtspunkte zu entnehmen. Das LSG hat wie der angeführte Beschluß des Dreier-Ausschusses dahinstehen lassen, ob der Anspruch auf Beitragszuschuß die konstituierenden Merkmale des Eigentumsbegriffs prägt. Inzwischen hat das BVerfG den Renten und Rentenanwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit Beschluß vom 16. Februar 1980 (BVerfGE 53, 194, 175) und vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257, 289) den Schutz der Eigentumsgarantie zugesprochen. Ob dies auch für den Anspruch auf Beitragszuschuß gilt, da auch insoweit eine Global-Äquivalenz zwischen Beiträgen und Leistung besteht (vgl hierzu BSGE 48, 33, 40), kann weiterhin offen bleiben. Das BVerfG hat in dem angeführten Beschluß vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257, 292 f) nochmals herausgestellt, daß auch bei Anwendung des Art 14 GG der soziale Bezug der Rentenansprüche dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Inhalts und der Schranken rentenversicherungsrechtlicher Positionen eine weite Gestaltungsfreiheit einräume. Das gelte im besonderen für Regelungen, die dazu dienten, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherungen im Interesse aller zu erhalten, zu verbessern oder veränderten wirtschaftlichen Bedingungen anzupassen. Insoweit umfasse Art 14 Abs 1 Satz 2 GG auch die Befugnis, Rentenansprüche zu beschränken; sofern dies einem Zweck des Gemeinwohls diene und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspreche, sei es dem Gesetzgeber grundsätzlich nicht verwehrt, Leistungen zu kürzen.
Dieser Zielsetzung genügt das 20. RAG (vgl BT-Drucks 8/165 S 1, 34 und 38). Entgegen der Ansicht der Revision ist auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt. Insoweit darf nicht nur auf die Höhe des Prozentsatzes abgestellt werden, um den der Beitragszuschuß gekürzt wurde. Vielmehr ist auch zu berücksichtigen, daß der Beitragszuschuß nur eine Nebenleistung zur Rente darstellt, und daß eine Kürzung auf den tatsächlich geleisteten Beitrag zur Krankenversicherung der Funktion dieser Leistung entspricht. Auch ist zu beachten, daß die Übergangsregelung für die Zeit vom 1. Juli 1977 bis zum 30. Juni 1978 dem Gedanken des Vertrauensschutzes Rechnung trägt.
Dem LSG ist schließlich auch darin beizupflichten, daß die Beklagte bei der Berechnung des Beitragszuschusses zu Recht die Angaben der Klägerin zur Höhe ihrer Aufwendungen für eine private Krankenversicherung berücksichtigt hat. Die Klägerin meint zu Unrecht, sie sei nach dem GG nicht verpflichtet, Angaben über ihr Privatleben, insbesondere ihre private Krankenversicherung zu machen, so daß die Beklagte nicht mit einem Entzug der Leistung hätte drohen dürfen. Insoweit bedarf es keiner Entscheidung, inwieweit die Grundrechte einen Intimbereich vor Offenbarungspflichten schützen. Denn eine private Krankenversicherung gehört nicht zum Intimbereich, sondern betrifft ein Rechtsverhältnis zu Außenstehenden. Weder die insoweit in § 60 SGB 1 begründete Offenbarungspflicht noch die in § 66 SGB 1 geregelten Folgen fehlender Mitwirkung verstoßen gegen das GG.
Die Revision der Klägerin war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen