Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitgliedschaft als Voraussetzung für Anspruch auf Krankengeld. Kassenwechsel. Krankengeldanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Übernahme der Krankengeldleistungen nach § 20 RKG iVm § 212 RVO durch die Bundesknappschaft setzt die Mitgliedschaft bei ihr oder eine hinsichtlich der Übernahme gleich zu behandelnde Rechtsbeziehung voraus.
2. Es ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt, ob es mit Art 3 des GG vereinbar ist, wenn die Personen, die eine Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung beantragt haben, nicht wie der Personenkreis des § 315a Abs 1 RVO als Mitglieder gelten würden.
Orientierungssatz
Von der Übernahme sind nach § 212 RVO die weiteren Krankengeldleistungen (hier: wiederaufgelebtes Krankengeld) nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Versicherte bei der neuen Kasse nur noch ohne Krankengeldberechtigung versichert ist. Die Übernahme setzt nicht voraus, daß der Versicherte unmittelbar vor dem Übertritt oder vor dem Ende der Mitgliedschaft bei der alten Kasse Leistungen bezogen oder auch nur Leistungen zu beanspruchen hatte (vergleiche BSG vom 1981-04-28 3 RK 8/80 = SozR 2200 § 183 Nr 35). Allerdings hat der neue Versicherungsträger nur diejenigen Leistungen zu übernehmen, zu denen der alte, wenn die Mitgliedschaft bei ihm bestehen würde, verpflichtet wäre.
Normenkette
RVO § 212 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-08-10, § 183 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1961-07-12; RKG § 20; RVO § 315a Abs. 1 Fassung: 1977-06-27; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger innerhalb einer neuen Blockfrist wieder Krankengeld zusteht.
Der Kläger bezieht seit dem 1. August 1963 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Aufgrund der erstmals am 28. August 1963 wegen eines Wirbelsäulensyndroms eingetretenen Arbeitsunfähigkeit berechnet die Beklagte von diesem Tag an eine Kette von Dreijahres-Zeiträumen (Blockfristen). Seit dem 5. März 1973 zahlte die Beklagte, deren Mitglied der Kläger zu dieser Zeit war, ihm Krankengeld bis zum 6. August 1974 wegen eines Leberleidens und des Wirbelsäulensyndroms. Der Kläger war danach nicht beschäftigt. Er hatte bereits am 19. Juli 1973 bei der Bundesknappschaft einen Rentenantrag wegen Berufsunfähigkeit gestellt. Ab 1. Juni 1975 wurde er auf Veranlassung des Sozialamts freiwillig bei der Bundesknappschaft gegen Krankheit versichert. Den Antrag auf Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit lehnte sie am 3. Juni 1976 endgültig ab. Der Kläger stellte am 23. Juni 1977 einen neuen Antrag auf Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit bei der Bundesknappschaft. Diese gewährte ihm Leistungen der knappschaftlichen Rentenversicherung aufgrund des Erlasses des früheren Reichsarbeitsministers vom 22. August 1942.
Am 29. August 1977 beantragte der Kläger erneut Krankengeld. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Kläger die Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf von 78 Wochen seit Beginn der 5. Blockfrist am 28. August 1975 gemeldet habe. Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und ausgeführt: Grundvoraussetzung eines jeden Versicherungsanspruchs sei das Bestehen einer Mitgliedschaft bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung. Beim Kläger liege diese Voraussetzung nicht vor. Für seinen Anspruch wäre es allerdings unerheblich, wenn er Mitglied eines anderen Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Er sei am 6. August 1974 bei der Beklagten ausgeschieden und danach zunächst nicht Mitglied einer Krankenkasse gewesen. Mit der Stellung des Rentenantrages bei der Bundesknappschaft sei er nocht nicht deren Mitglied geworden. Die Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Rentenversicherung hätte erst mit der Zustellung eines rentenbewilligenden Bescheides entstehen können. Allerdings habe der Kläger sich am 1. Juni 1975 bei der Bundesknappschaft freiwillig gegen Krankheit versichert. Diese Mitgliedschaft habe aber mit der Stellung des neuen Rentenantrags am 23. Juni 1977 geendet. Durch die Stellung des Rentenantrags und die Gewährung von Leistungen der knappschaftlichen Rentnerkrankenversicherung aufgrund des Erlasses vom 22. August 1942 sei keine Mitgliedschaft begründet worden. Selbst wenn aber die am 1. Juni 1975 begonnene freiwillige Mitgliedschaft des Klägers fortbestanden hätte, könnte er das begehrte Krankengeld nicht beanspruchen. Denn seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung sei vor dieser freiwilligen Versicherung einige Zeit - vom 7. August 1974 bis zum 31. Mai 1975 - völlig unterbrochen gewesen.
Der Kläger hat Revision eingelegt und macht geltend, er müsse entsprechend dem Grundgedanken des § 315a der Reichsversicherungsverordnung (RVO) zumindest so gestellt werden, als habe ein Mitgliedschaftsverhältnis bei der Bundesknappschaft bestanden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
Das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1979 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 30 März 1978 und des Bescheides vom 6. September 1977 idF des Widerspruchsbescheids vom 25. November 1977 zu verurteilen, dem Kläger ab 29. August 1977 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen, hilfsweise das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Zwar hat das LSG die Berufung mit Recht zurückgewiesen, soweit der Kläger seinen Anspruch gegen die Beklagte richtet, die Zurückverweisung ist aber geboten, weil die Bundesknappschaft notwendig beizuladen war.
Die Notwendigkeit der Beiladung ergibt sich aus der Bestimmung des § 75 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), die das Bundessozialgericht (BSG) auf eine zugelassene Revision von Amts wegen zu beachten hat (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr 1). Nach der zweiten Alternative des § 75 Abs 2 SGG sind andere Versicherungsträger beizuladen, wenn sich im Verfahren ergibt, daß sie bei der Ablehnung des Anspruchs als leistungspflichtig in Betracht kommen. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist entscheidend, daß die Gründe für die Ablehnung des Anspruchs gegen die Beklagte und die möglichen Gründe für die Verurteilung der Bundesknappschaft in engem Zusammenhang stehen und daß es sich um denselben Anspruch handelt (vgl Hennig/Danckwerts/König Kommentar zum SGG, § 75 Anm 5). In Betracht kommt die Verpflichtung der Bundesknappschaft, da nch den Feststellungen des LSG eine nicht fernliegende Möglichkeit dafür besteht.
Der Möglichkeit, daß die Bundesknappschaft zur Gewährung des vom Kläger begehrten Krankengeldes verpflichtet ist, steht keine entsprechende Leistungspflicht der Beklagten entgegen. Das LSG hat mit Recht entschieden, daß der Kläger gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Zahlung des Krankengeldes hat. Nach der Ansicht des LSG war der Kläger in der für die Entstehung des Anspruchs maßgebenden Zeit nicht Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Wiederentstehung des Anspruchs in einer neuen Blickfrist setzt aber die Mitgliedschaft des Arbeitsunfähigen in der Krankenversicherung voraus (BSGE 45, 11). Wenn andererseits entgegen der Meinung des LSG in der maßgebenden Zeit doch eine Mitgliedschaft zur gesetzlichen Krankenversicherung oder ein ihr gleichzusetzendes Verhältnis bestanden haben sollte, so wäre jedenfalls nicht die Beklagte für die Krankengeldleistung zuständig. Vielmehr kommt dann nach § 212 RVO eine Verpflichtung der Bundesknappschaft in Betracht, die weiteren Leistungen des Krankengeldes zu übernehmen. Die Übernahmepflicht könnte bereits durch den Rentenantrag vom 19. Juli 1973 oder die freiwillige Versicherung des Klägers bei der Bundesknappschaft begründet sein. Allerdings ist fraglich, ob das durch den Rentenantrag oder die freiwillige Versicherung begründete Rechtsverhältnis zur Bundesknappschaft einen Krankengeldanspruch eingeschlossen hat. Das Fehlen des Krankengeldanspruchs würde aber der Übernahme dieser Leistung nach § 20 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) idF des Gesetzes zur Errichtung der Bundesknappschaft vom 28. Juli 1969 (BGBl I 974) iVm § 212 RVO nicht entgegenstehen.
Der Versicherte hat, wenn er die Kasse wechselt, gegenüber demjenigen Krankenversicherungsträger, bei dem er gerade versichert ist, Ansprüche auf die Leistungen, die von diesem Träger nach dem für ihn geltenden Recht zu gewähren sind (BSG 18. Februar 1981 - 3 RK 60/79 und vom 28. April 1981 - 3 RK 8/80). Nach § 212 RVO übernimmt der neue Träger der Krankenversicherung die weiteren Leistungen nach seiner Satzung, wenn ein Versicherter, der Leistungen bezieht, zu einem anderen Träger der Krankenversicherung übertritt. Übernahme der Leistungen bedeutet auch, daß der alte Versicherungsträger aus der Leistungspflicht entlassen wird; einer eventuellen Leistungspflicht der alten Kasse aus der beendeten Mitgliedschaft geht die Leistungspflicht der neuen Kasse aus der bestehenden Mitgliedschaft grundsätzlich vor (vgl BSGE 28, 202, 203, 204 = SozR Nr 6 zu § 212 RVO; BSGE 48, 235, 237 = SozR 2200 § 306 RVO Nr 5). Wie der Senat entschieden hat, sind von der Übernahme nach § 212 RVO die weiteren Krankengeldleistungen nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Versicherte bei der neuen Kasse nur noch ohne Krankengeldberechtigung versichert ist (BSG 28. April 1981 - 3 RK 8/80). Die Übernahme setzt nicht voraus, daß der Versicherte unmittelbar vor dem Übertritt oder vor dem Ende der Mitgliedschaft bei der alten Kasse Leistungen bezogen oder auch nur Leistungen zu beanspruchen hatte (vgl BSG 28. April 1981 - 3 RK 8/80 -). Allerdings hat der neue Versicherungsträger nur diejenigen Leistungen zu übernehmen, zu denen der alte, wenn die Mitgliedschaft bei ihm bestehen würde, verpflichtet wäre. Wenn aber entsprechend der Meinung des LSG die Wiederentstehung des Krankengeldanspruchs mit Beginn einer neuen Blockfrist eine ununterbrochene Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung voraussetzt, würde ohnehin kein Anspruch gegen die Beklagte bestehen.
Die Übernahme der Leistungen nach § 212 RVO und damit der Anspruch des Klägers gegen die Bundesknappschaft setzt die Mitgliedschaft bei ihr oder eine hinsichtlich der Übernahme gleichzubehandelnde Rechtsbeziehung voraus. Nach Ansicht des LSG begründet der Erlaß des Reichsarbeitsministers vom 22. August 1942 (AN II S 476) keine solche Rechtsposition. Es ist aber zu prüfen, ob es mit Art 3 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist, wenn den Personen, die eine Rente aus der knappschaftlichen Rentenversicherung beantragt haben, nicht wie der Personenkreis des § 315a Abs 1 RVO unter den weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift als Mitglieder gelten würden. Diese Frage ist bisher nicht höchstrichterlich geklärt. Zwar hat das BSG in der vom LSG erwähnten Entscheidung vom 28. Juni 1979 (USK 79101) ausgeführt, der Erlaß gewähre keinen gesetzlichen Anspruch und sein nicht so auszulegen, daß praktisch auch die knappschaftliche Krankenversicherung der Rentner mit dem Rentenantrag beginne. Im damals zu entscheidenden Fall ging es aber um die Frage, ob der Anspruch auf Familienkrankenhilfe gegen die beklagte Betriebskrankenkasse ausgeschlossen sei, weil der Erlaß Krankenhilfeleistungen der Bundesknappschaft ermögliche. Der Familienangehörige und Rentenantragsteller war also auch ohne Mitgliedschaft in der knappschaftlichen Krankenversicherung der Rentner nicht schutzlos. Dasselbe gilt für das Urteil des BSG vom 26. Februar 1975 - 5 RKn 9/74 (SozR 2600 § 19 RKG Nr 2). Deshalb hat das BSG im Urteil vom 28. Juni 1979 auch ausgeführt, es bestehe kein sachlich begründetes Interesse, einen weitergehenden Schutz zu verlangen. Der Kläger begehrt im vorliegenden Fall hingegen Leistungen für eine Zeit, in der er keinen anderen Versicherungsschutz außer dem fraglichen bei der Bundesknappschaft gehabt hat. In diesem Fall kann über die Vereinbarkeit von leistungsausschließenden Regelungen mit Art 3 GG jedenfalls nicht ohne Beiladung der Bundesknappschaft entschieden werden.
Auch wenn der Kläger als Mitglied der Bundesknappschaft zu gelten hätte, würden aber im Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen einer alten Krankheit die früher einmal in Gang gesetzten Blockfristen gelten. Der Kläger könnte nur für die ersten 78 Wochen der geltenden Blockfrist Krankengeld beanspruchen. Er hat die Arbeitsunfähigkeit erst am 29. August 1977 gemeldet. Deshalb wird das LSG auch zu ermitteln haben, wann hier die Blockfrist für das Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit begonnen hat.
Der Rechtsstreit ist ais diesen Gründen zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen