Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohlverstandenes Interesse bei der Abtretung von Kindergeld
Orientierungssatz
Die Abtretung des Kindergeldes zum Zwecke der Deckung laufender Energiekosten für die Benutzung der Familienwohnung liegt dann im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten, wenn dadurch die Energiezufuhr gesichert wird (vgl BSG vom 7.9.1988 - 10 RKg 18/87 = SozR 1200 § 53 Nr 8). Es ist unerheblich, ob die Zahlungen direkt an das Energieversorgungsunternehmen erfolgen oder ob dem Betroffenen ein Darlehen zur Bezahlung der Energiekostenpauschale gewährt wird.
Normenkette
SGB 1 § 53 Abs 2 Nr 2; BSHG § 15a S 2
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 18.12.1987; Aktenzeichen L 1 Kg 11/86) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 14.10.1986; Aktenzeichen S 2 Kg 1/86) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist festzustellen, daß die Abtretung von Kindergeld durch den Beigeladenen an den Kläger im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt (§ 53 Abs 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - SGB 1).
Der Beigeladene bezieht den nicht pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens und ein monatliches Kindergeld von 370,-- DM. Mit Wirkung vom 1. September 1985 trat er am 18. Oktober 1985 einen monatlichen Teilbetrag von 150,-- DM an den Kläger ab. Der Kläger hatte am 15. März 1985 ein Darlehen von 447,-- DM an den Beigeladenen zum Zwecke der Begleichung rückständiger Stromkosten gewährt; aus demselben Grunde war dem Kläger am 16. Oktober 1985 nach Sperrung der Stromzufuhr ein weiteres Darlehen in Höhe von 1.501,11 DM gegeben worden. Die Abtretung des Teilkindergeldes erfolgte wegen des Gesamtbetrages beider Darlehen in Höhe von 1.948,11 DM.
Den Antrag des Klägers, ab November 1985 den abgetretenen Kindergeldbetrag an ihn zu überweisen, lehnte das Arbeitsamt durch Bescheid vom 11. November 1985 mit der Begründung ab, daß die Abtretung nicht im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liege, weil sie zur Abdeckung von Energie und Verbrauchskosten erfolgt sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1985).
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 14. Oktober 1986 die genannten Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ab November 1985 unter Genehmigung der Abtretung aus dem Kindergeldanspruch des Beigeladenen einen Betrag von 150,-- DM monatlich an den Kläger zu zahlen. In dem nunmehr angefochtenen Urteil vom 18. Dezember 1987 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) den Leistungsausspruch des sozialgerichtlichen Urteils aufgehoben und im übrigen die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das LSG hat die Revision zugelassen. In den Urteilsgründen ist ausgeführt: Der Kläger habe einen Leistungsantrag nicht gestellt, so daß das SG ihm mehr zugesprochen habe als beansprucht worden sei. Der Antrag des Klägers sei dahin zu verstehen, die Beklagte zu verpflichten, die Feststellung zu treffen, daß die vorgenommene Abtretung des Kindergeldes im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liege. Dies sei der Fall. An dem erforderlichen wohlverstandenen Interesse des Berechtigten fehle es nicht schon deshalb, weil es sich bei der abgetretenen Geldleistung um Kindergeld handele. Auch die Tatsache, daß der Abtretungsvertrag zum Ausgleich rückständiger Stromkosten gedient habe, beseitige das wohlverstandene Interesse des Berechtigten nicht. Durch die darlehensweise Übernahme der rückständigen Stromkosten sei die vorgenommene Stromsperre aufgehoben und damit eine Notlage der gesamten Familie beseitigt worden. Auf andere Weise sei diese Notlage nicht abzuwenden gewesen. Die Möglichkeit, von dem Beigeladenen andere Beträge abgetreten zu erhalten, habe nicht bestanden, weil insbesondere sein Arbeitsentgelt bis auf den nichtpfändbaren Mindestbetrag zu Gunsten anderer Gläubiger gepfändet gewesen sei.
Die Revision ist der Auffassung, das LSG habe das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung zu Unrecht bejaht. Eine schwerwiegende Notlage, welche nach der Rechtsprechung das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen hätte begründen können, habe nicht bestanden. Das Darlehen aus Sozialhilfemitteln habe unmittelbar nur der Absicherung des Risikos des Klägers bei der pünktlichen und vollständigen Tilgung der Darlehen durch den Beigeladenen gedient. Der der Darlehensgewährung zugrunde liegende Zweck, nämlich die Sperrung der Stromzufuhr zu beseitigen, reiche nicht aus, um das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen an der Abtretung zu begründen; es sei auch nicht erkennbar, daß das zweite Darlehen ohne die Abtretung des Kindergeldes nicht gewährt worden wäre. Die Darlehensgewährung sei lediglich zur Tilgung rückständiger Stromlieferungskosten und zur Aufhebung der bereits durchgeführten Sperrung der Stromzufuhr erfolgt. Die Abwendung einer drohenden Notlage sei auch nicht rechtsverbindlich durchgeführt worden. Durch die Abtretung des Kindergeldes hätten dem Beigeladenen nicht mehr ausreichende Mittel zur Deckung des notwendigen laufenden Lebensunterhalts der Familie zur Verfügung gestanden, weil sein Arbeitseinkommen bis zur pfändungsfreien Mindestgrenze gepfändet gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen LSG vom 18. Dezember 1987 - soweit die Berufung der Beklagten nicht erfolgreich war - und das Urteil des SG Schleswig vom 14. Oktober 1986 aufzuheben, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung liegen die Voraussetzungen des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 vor, weil durch die Gewährung des Darlehens eine Notlage der Familie des Beigeladenen behoben worden sei, zumal da auch seine Heizung von der Stromzufuhr abhängig sei. Der Beigeladene sei zwar nicht hilfebedürftig iS des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gewesen, die Hilfegewährung sei jedoch im Ermessenswege nach § 15a BSHG erfolgt. Auch nach der Abtretung des Teilkindergeldes habe das Einkommen der Familie des Beigeladenen ausgereicht, um den notwendigen laufenden Lebensunterhalt sicherzustellen. Vorrangig abzutretendes Wohngeld habe nicht zur Verfügung gestanden.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, nachdem die Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Bezüglich des Darlehens in Höhe von 447,-- DM, welches der Beigeladene durch Bescheid vom 15. März 1985 erhielt, hat der Kläger keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen feststellt. Im übrigen ist die Revision der Beklagten nicht begründet; das LSG hat die Beklagte durch das hier angefochtene Urteil vom 18. Dezember 1987 mit Recht verurteilt, das wohlverstandene Interesse des Beigeladenen bezüglich der von ihm vorgenommenen Abtretung eines Teilbetrages des monatlichen Kindergeldes zur Tilgung des am 24. Oktober 1985 gewährten Darlehens in Höhe von 1.501,11 DM festzustellen.
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Beklagte gemäß § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 feststellen muß, daß die Abtretung eines Teilbetrages des Kindergeldes in Höhe von monatlich 150,-- DM zum Zwecke der Tilgung der beiden genannten Darlehen im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen liegt. Zwar hatte das SG durch Urteil vom 14. Oktober 1986 weitergehend entschieden, daß die Beklagte dem Kläger den abgetretenen Betrag in Höhe von 150,-- DM monatlich auszuzahlen habe. Diesen Ausspruch hat das LSG in dem angefochtenen Urteil jedoch aufgehoben, ohne daß hiergegen Revision eingelegt worden ist. Insoweit ist der Rechtsstreit daher erledigt.
Die Klage ist statthaft. Der Kläger wollte die Verpflichtung der Beklagten herbeiführen, eine Feststellung nach § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 zu treffen. Die von ihm erhobene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage war die hier zulässige Klageart (BSG SozR 1200 § 53 Nr 2).
Die angefochtenen Bescheide entsprechen im Ergebnis nur zum Teil der Sach- und Rechtslage. Die Beklagte grenzt das wohlverstandene Interesse an der Abtretung eines Teiles des Kindergeldes zu eng ab, wenn sie meint, der Kindergeldberechtigte dürfe das Kindergeld nicht zur Tilgung eines zur Behebung einer besonderen Notlage gewährten Darlehens - das in § 15a Satz 2 BSHG ausdrücklich als Sozialleistung vorgesehen ist - einsetzen. Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, daß die Abtretung des Kindergeldes zum Zwecke der Deckung laufender Energiekosten für die Benutzung der Familienwohnung jedenfalls dann im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten liegt, wenn dadurch die Energiezufuhr gesichert wird (Urteil vom 7. September 1988 - 10 RKg 18/87 - SozR 1200 § 53 Nr 8 - und Urteil vom 14. März 1989 - 10 RKg 10/88 -). Nach dieser Rechtsprechung ist auch unerheblich, ob die Zahlungen direkt an das Energieversorgungsunternehmen erfolgen oder ob dem Betroffenen ein Darlehen zur Bezahlung der Energiekostenpauschale gewährt wird. Maßgebend für die Beurteilung des wohlverstandenen Interesses ist nicht die Person des Abtretungsgläubigers, sondern der Abtretungszweck und das Ausmaß der Sicherheit, mit der dieser Zweck erreicht werden soll und kann.
Das LSG hat im vorliegenden Falle nicht ausreichend beachtet, daß die Abtretung des Kindergeldes zu unterschiedlichen Zwecken erfolgte. Soweit die Abtretung zur Tilgung des ersten Darlehens in Höhe von 447,-- DM erfolgte, ging es den Teilnehmern am Abtretungsgeschäft ausschließlich darum, noch nachträglich für eine geordnete Rückzahlung dieses Darlehens zu sorgen. Demgegenüber verfolgten der Kläger und der Beigeladene mit der weitergehenden Abtretung einen über die unmittelbare Tilgung des Darlehens in Höhe von 1.501,11 DM hinausgehenden Zweck, nämlich die am 16. Oktober 1985 vollzogene Sperrung der Stromzufuhr aufzuheben. Nur insoweit lag, wie bereits ausgeführt ist, die Abtretung eines Teiles des Kindergeldes im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen. Demgegenüber schmälerte er durch die Abtretung zum Zwecke der Tilgung des ersten Darlehens die wirtschaftliche Lebensgrundlage der Familie über das bestehende Ausmaß hinaus, ohne daß auf der anderen Seite ein erkennbarer bedeutender Vorteil für den Beigeladenen entstand (vgl hierzu BSG SozR 1200 § 53 Nr 2). Insoweit lag die Abtretung des Kindergeldes demgemäß nicht im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen. Der Kläger hat daher auch keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte verurteilt wird, ein entsprechendes Interesse festzustellen.
Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, ist nicht nur das wohlverstandene Interesse des Berechtigten an der Abtretung erforderlich, um den Leistungsträger zu einer entsprechenden Feststellung zu verpflichten, vielmehr muß die Abtretung auch rechtmäßig sein. Die Abtretung darf nicht gegen ein gesetzliches Verbot oder die guten Sitten verstoßen (erkennender Senat aaO). Derartige Verstöße sind hier nicht erkennbar. Insbesondere ist die Höhe der Abtretung angesichts des Gesamtanspruchs des Beigeladenen auf das Kindergeld einerseits und der abzutragenden Darlehensforderung des Klägers andererseits nicht rechtswidrig. Der Beigeladene hat von seinem Gesamtanspruch auf das Kindergeld weniger als die Hälfte, nämlich 150,-- DM von 370,-- DM, abgetreten. Damit behielt er einen nennenswerten Anteil am Kindergeld für den Lebensunterhalt der Familie. Eine Notlage wurde infolge der Abtretung nicht verursacht, weil dem Beigeladenen darüber hinaus der nichtpfändbare Teil seines Arbeitseinkommens verblieb. Von der Gesamtforderung in Höhe von 1.501,11 DM gegenüber dem Kläger trug er monatlich etwa ein Zehntel ab, so daß sein Kindergeldanspruch insgesamt nur für die Dauer von 10 Monaten um den genannten Teilbetrag verringert wurde. Dies erscheint angesichts der vollzogenen Sperrung der Stromzufuhr nicht unangemessen.
Die Beklagte war demgemäß verpflichtet, die von dem Kläger verlangte Feststellung iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 zu treffen, weil die Abtretung bezüglich der Tilgung des Darlehens von 1.501,11 DM im wohlverstandenen Interesse des Beigeladenen lag.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen