Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorzeitiges Altersruhegeld aus der Angestelltenversicherung. Bewertung einer Notstandsarbeit

 

Orientierungssatz

Vorzeitiges Altersruhegeld kann nicht gewährt werden, wenn die vor Rentenantragstellung erforderliche Arbeitslosigkeit durch eine 13-wöchige Notstandsarbeit unterbrochen wird, da es sich hierbei weder um eine geringfügige Beschäftigung gemäß § 75 Abs 2 AVAVG noch um eine gelegentliche Aushilfe nach § 25 Abs 2 S 4 AVG (= § 1248 Abs 2 S 4 RVO) handelt.

 

Normenkette

AVG § 25 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1957-02-23, § 4 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1957-02-23; AVAVG § 75 Abs. 2; RVO § 1248 Abs. 2 S. 4 Fassung: 1957-02-23, § 1228 Abs. 2 Buchst. a Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Hamburg (Entscheidung vom 11.11.1960)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 11. November 1960 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger das Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. August 1957 bis 30. April 1958 zusteht; die Entscheidung hängt davon ab, wie der Begriff der gelegentlichen Aushilfe in § 25 Abs. 2 Satz 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) auszulegen ist.

Der im August 1897 geborene Kläger war seit 1950 - mit Unterbrechungen - arbeitslos; am 2. Februar 1957 wurde er in Notstandsarbeit vermittelt, die bis zum 3. Mai 1957 andauerte. Danach war er wiederum arbeitslos, bis er am 27. Mai 1958 erneut als Notstandsarbeiter eingesetzt wurde.

Im August 1957 beantragte der Kläger die Gewährung des vorzeitigen Altersruhegeldes nach § 25 Abs. 2 AVG. Die Beklagte entsprach diesem Antrag für die Zeit vom 1. bis 31. Mai 1958 (Bescheid vom 3. November 1958). Im anschließenden Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte, dem Kläger Altersruhegeld auch für die Zeit vom 1. August 1957 bis 30. April 1958 zu gewähren; die Voraussetzungen zur Zahlung des vorzeitigen Altersruhegeldes seien im August 1957 erfüllt gewesen; die Notstandsarbeit vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 habe die Arbeitslosigkeit des Klägers nicht unterbrochen.

Das Landessozialgericht (LSG) hob auf die - zugelassene - Berufung der Beklagten hin das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Es war der Meinung, daß die Arbeitslosigkeit des Klägers durch die auf 13 Wochen festgesetzte, im Rahmen eines normalen Arbeitsverhältnisses geleistete Notstandsarbeit in den Monaten Februar bis Anfang Mai 1957 unterbrochen worden sei; die streitige Notstandsbeschäftigung könne auch nicht als "gelegentliche Aushilfe" im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG angesehen werden; dies ergebe sich aus § 4 Abs. 2 a AVG, dessen Grundsätze bei der Auslegung des Begriffs "gelegentliche Aushilfe" im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG entsprechend anzuwenden seien.

Mit der - zugelassenen - Revision beantragte der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen. Er rügte die Verletzung des § 25 Abs. 2 AVG. Notstandsarbeit sei schon ihrem Wesen nach nicht geeignet, die Arbeitslosigkeit zu unterbrechen; sie beruhe nicht auf einem normalen Arbeitsverhältnis, sondern auf einem staatlichen Akt der Fürsorge. Außerdem erfülle die Notstandsbeschäftigung vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 die Merkmale der "gelegentlichen Aushilfe" im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG; bei dessen Auslegung könne § 4 Abs. 2 a AVG nicht maßgebend sein.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Revision ist zulässig aber unbegründet. Dem angefochtenen Urteil des LSG ist im Ergebnis beizutreten.

Der Anspruch des Klägers auf das Altersruhegeld nach § 25 Abs. 2 AVG hängt - da die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind - allein davon ab, zu welchem Zeitpunkt er ein Jahr lang ununterbrochen arbeitslos gewesen ist. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es entscheidend darauf an, ob Arbeitslosigkeit auch während der vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 geleisteten Notstandsarbeit bestanden hat. Das LSG geht mit Recht davon aus, daß auch Notstandsarbeit die Arbeitslosigkeit eines Versicherten unterbrechen kann. Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 24. 2.1961 - 1 RA 251/59 - BSG 14, 53 - sowie Urteil des 12. Senats vom 26.5.1964 - 12 RJ 324/61 - SozR § 1248 der Reichsversicherungsordnung - RVO - Nr. 26). Der Senat hält trotz der vom Kläger vorgetragenen Bedenken nach erneuter Prüfung an dieser Auffassung fest.

Die Notstandsarbeit des Klägers in der Zeit vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 hätte seine Arbeitslosigkeit nur dann nicht unterbrochen, wenn es sich dabei um eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 75 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) oder um eine gelegentliche Aushilfe im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG gehandelt hätte. Wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, scheiden diese Möglichkeiten aber aus.

Die vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 - genau 13 Wochen - dauernde Notstandsarbeit des Klägers kann nicht als so geringfügig angesehen werden, daß die Fiktion der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 75 Abs. 2 i. V. m. § 66 AVAVG aufrechterhalten werden könnte. Zwar fehlt es in dem Berufungsverfahren an genauen Feststellungen darüber, welcher Art die Beschäftigung des Klägers gewesen und in welcher Höhe sie entlohnt worden ist; aus dem Gesamtinhalt des angefochtenen Urteils ergibt sich aber, daß die hier zu beurteilende Notstandsarbeit des Klägers außerhalb des in den §§ 75 Abs. 2, 66 AVAVG abgesteckten Rahmens liegt. Der Kläger hat auch weder in den Vorinstanzen noch in dem Revisionsverfahren irgendwelche Tatsachen geltend gemacht, die auf das Vorliegen einer nur geringfügigen Tätigkeit im Sinne der genannten Bestimmungen hindeuten würde.

Die Notstandsarbeit des Klägers in der strittigen Zeit kann auch nicht im Hinblick auf § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG außer Betracht bleiben. Das wäre nur möglich bei einer Beschäftigung, die über eine gelegentliche Aushilfe nicht hinausgeht. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 24. Februar 1961 (vgl. BSG aaO) entschieden, daß die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG nicht nur bei der Frage der Weitergewährung des Ruhegeldes (Satz 2 und 3 des § 25 Abs. 2) Anwendung findet, sondern auch bei Prüfung der Voraussetzungen für die erstmalige Rentengewährung nach Satz 1 des § 25 Abs. 2 (ebenso Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, S. 87, Anm. II, 2 zu § 1248). Im Gegensatz zu § 66 Abs. 2 AVAVG, der weniger auf die Gesamtdauer der verrichteten Beschäftigung abstellt, ist aus § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG zu entnehmen, daß es sich hier vornehmlich um eine zeitliche Abgrenzung handelt. Diese unterschiedliche Zweckrichtung macht eine Ausdehnung der im Satz 4 des § 25 Abs. 2 AVG enthaltenen Regelung auf Satz 1 von § 25 Abs. 2 AVG nicht überflüssig oder gar sinnlos; denn es ist durchaus denkbar, daß eine Tätigkeit zwar die Merkmale der gelegentlichen Aushilfe im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG, nicht aber diejenigen der geringfügigen Beschäftigung im Sinne von § 66 Abs. 2 AVAVG erfüllt.

Ob eine Beschäftigung oder Tätigkeit als gelegentliche Aushilfe anzusehen ist, hängt nach dem genannten Urteil des 12. Senats vom 26. Mai 1964 - das zu der gleichlautenden Vorschrift des § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO ergangen ist - davon ab, ob sie auf weniger als 3 Monate nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Für die Annahme eines solchen Zeitraumes spricht nach der Ansicht des 12. Senats vor allem, daß Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zu § 397 AVG aF, der als Vorbild des § 1248 Abs. 2 RVO anzusehen sei, eine Frist von weniger als 3 Monaten als unschädlich in diesem Sinn angesehen haben. Diese Frist sei unter Hinzuziehung des § 168 Abs. 1 RVO i. d. F. der 1. Vereinfachungs-Verordnung vom 17. März 1945 gefunden worden (SozR § 397 AVG Nr. 1). Es fehle an einem Hinweis dafür, daß der Gesetzgeber dem Begriff der gelegentlichen Aushilfstätigkeit in § 1248 Abs. 2 Satz 4 RVO einen anderen Inhalt geben wollte als in § 397 AVG aF; die Interessenlage habe sich nicht geändert.

Der erkennende Senat hat seinerzeit in dem erwähnten Urteil vom 28. Januar 1959 (SozR § 397 AVG Nr. 1) dargelegt, weshalb es nahelag, den Inhalt, der dem Begriff "gelegentliche Aushilfe" durch § 168 Abs. 1 RVO aF gegeben war, auch bei der Auslegung des wortgleichen Begriffs im § 397 Abs. 4 AVG aF entsprechend mit heranzuziehen. Da § 168 Abs. 1 RVO heute nur noch für die Krankenversicherung Geltung hat, erscheint es verständlich, wenn das LSG nunmehr die Vorschrift des § 4 Abs. 2 a AVG zur Auslegung des § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG herangezogen hat. Es liegt nahe, die Ansicht zu vertreten, daß der Gesetzgeber nunmehr in § 4 Abs. 2 a wie auch in § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG für den strittigen Begriff den gleichen Wortlaut verwendet, so daß beide Begriffe - zumal sie sich in zwei Vorschriften desselben Gesetzes finden - auch gleich zu verstehen und auszulegen seien. Für diese Ansicht ließe sich auch anführen, daß nur eine im Vergleich mit einjähriger Arbeitslosigkeit unbedeutende Beschäftigung unberücksichtigt bleiben soll.

Der Senat kann jedoch offen lassen, ob der in § 25 Abs. 2 Satz 4 AVG gebrauchte Begriff einer gelegentlichen Aushilfe unter entsprechender Anwendung des § 4 Abs. 2 a AVG (so: das LSG in dem angefochtenen Urteil) oder nach § 168 RVO (so: der 12. Senat in dem genannten Urteil) auszulegen ist. Denn selbst nach der weitergehenden Rechtsauffassung des 12. Senats fiele die Notstandsbeschäftigung des Klägers nicht mehr unter den Begriff der gelegentlichen Aushilfe, weil sie genau 13 Wochen - also nicht weniger als 3 Monate - gedauert hat. Folgt man nämlich der früher für die Wartezeit geltenden Fiktion des § 1262 Abs. 3 RVO aF - wonach je 13 Beitragswochen als 3 Beitragsmonate gelten - so war jedenfalls - auch wenn man die Ansicht des 12. Senats zugrunde legt - bei dem Kläger die Notstandsbeschäftigung nicht auf weniger als 3 Monate beschränkt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob eine Dreimonatsfrist mit Rücksicht auf §§ 124, 125 Abs. 1 RVO durch die tatsächliche Zeitspanne vom 2. Februar bis 3. Mai 1957 sogar als überschritten anzusehen wäre.

Der Rentenanspruch des Klägers für die geltend gemachte Zeit ist somit unbegründet. Seine Revision muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2375198

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