Leitsatz (amtlich)
Der Anspruch auf Witwenrente lebt nach Auflösung der dritten Ehe auch dann nicht wieder auf, wenn die zweite Ehe mit demselben Mann geschlossen und nach deren Scheidung kein Witwenrentenanspruch geltend gemacht worden war (Ergänzung zu BSG 1978-01-18 1 RA 17/76 = BSGE 45, 262 und BSG 1961-11-16 7/9 RV 306/60 = BSGE 15, 246).
Leitsatz (redaktionell)
Die Witwe kann nicht durch die Nichtinanspruchnahme von Rente nach Auflösung der zweiten Ehe den Wiederauflebensanspruch auf die Auflösung einer späteren Ehe verschieben.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 05.07.1979; Aktenzeichen L 8 J 76/78) |
SG Berlin (Entscheidung vom 27.04.1978; Aktenzeichen S 25 J 1703/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Anspruch der Klägerin auf Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes nach Auflösung der dritten Ehe wieder auflebt, wenn sie in zweiter und dritter Ehe mit demselben Mann verheiratet war (§ 1291 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Die 1917 geborene Klägerin bezog aus der Versicherung ihres 1941 gefallenen ersten Ehemannes W K, den sie 1935 geheiratet hatte, Witwenrente. Im Jahre 1954 ging sie die Ehe mit E F ein. Nach einer 1957 ausgesprochenen Scheidung heiratete sie ihn 1959 erneut. Im Dezember 1976 wurde auch diese Ehe geschieden.
Im Juni 1977 beantragte die Klägerin die Wiedergewährung der Witwenrente nach W K. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil der Witwenrentenanspruch nach Auflösung einer dritten Ehe nicht wieder auflebe (Bescheid vom 25. August 1977). Das Sozialgericht (SG) Berlin hat der auf Gewährung der Witwenrente ab Januar 1977 gerichteten Klage stattgegeben, das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat sie abgewiesen und im Urteil vom 5. Juli 1979 ausgeführt:
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) lebe der Anspruch auf Witwenrente nur nach Auflösung einer zweiten - nicht dritten und weiteren - Ehe wieder auf. Das müsse auch gelten, wenn die zweite und dritte Ehe mit demselben Partner geführt worden sei. Soweit der Große Senat (GS) des BSG im Beschluß vom 21. Juli 1977 - GS 1/76, GS 2/76 (= BSGE 44, 151 = SozR 2200 § 1302 Nr 3) das Erlöschen des gegen den "zweiten Ehemann" bestehenden Unterhaltsanspruchs bei Eingehen einer dritten Ehe ins Feld geführt habe, behalte diese Erwägung auch bei Identität des zweiten und dritten Ehemannes ihre Gültigkeit. Zwar bleibe in diesem Fall der zweite Ehemann weiterhin zum Unterhalt verpflichtet, jedoch allein aus einem Rechtsgrund (§ 1360 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -), der in dem erörterten Zusammenhang ohne Bedeutung sei; es komme darauf an, daß er in seiner Eigenschaft als geschiedener zweiter Ehemann von der Unterhaltspflicht befreit werde. Auch das Argument, daß mit jeder Wiederheirat die Bindungen sowie die wirtschaftlichen und unterhaltsmäßigen Beziehungen zum verstorbenen ersten Ehemann an Intensität verlören, treffe im Grundsatz bei Identität der weiteren Ehepartner zu. Die besonderen Umstände, die im vorliegenden Fall zur Scheidung und Wiederheirat geführt hätten, rechtfertigten keine andere Beurteilung.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision trägt die Klägerin vor, die Erwägungen des GS träfen in Anbetracht der besonderen Umstände des Falles nicht zu. Sie habe sich von dem 1957 in O strafverfolgten E F auf Anraten dessen Verteidigers nur scheiden lassen, um eine Milderung des Strafmaßes zu begünstigen, und damals bewußt keinen Witwenrentenantrag gestellt. Bis zur beabsichtigten und dann auch durchgeführten Wiederheirat sei sie erwerbstätig gewesen. Deshalb werde hier weder der Versichertengemeinschaft zugemutet, trotz Scheiterns beliebig vieler späterer Ehen den Unterhaltsstatus der originären Witwenrente zu erhalten, noch hätten durch die zum Schein durchgeführte erste Scheidung und die nachfolgende Wiederheirat die inneren Bindungen sowie die wirtschaftlichen und unterhaltsmäßigen Beziehungen zum ersten Ehemann an Intensität verloren.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin
vom 5. Juli 1979 aufzuheben und die Berufung
der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts
Berlin vom 27. April 1978 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin kein "wiederaufgelebter" Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung ihres ersten Ehemannes zusteht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 1291 Abs 2 RVO idF des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl 1972 I 1965). Soweit die Vorschrift hier von Belang ist, lebt danach der Anspruch auf Witwenrente wieder auf, wenn sich eine Witwe wiederverheiratet hat und diese Ehe aufgelöst wird. Das BSG hat die Vorschrift in ständiger Rechtsprechung dahin ausgelegt, daß nur nach Auflösung einer zweiten, nicht nach einer dritten und weiteren Ehe der Witwenrentenanspruch wiederaufleben kann (vgl Urteile des erkennenden Senats vom 21. Januar 1971 - 4 RJ 227/70 = SozR Nr 30 zu § 1291 RVO, vom 19. Januar 1978 - 4/12 RJ 164/75 - und vom 28. Februar 1978 - 4 RJ 70/77 = Sgb 1978, S 232 sowie des 1. Senats vom 18. Januar 1978 - 1 RA 17/76 = BSGE 45, 262 = SozR 2200 § 1291 Nr 11). Dabei hat die Rechtsprechung stets die Fälle der Abfindung der Witwe bei Wiederheirat und des Wiederauflebens der Rente nach Auflösung der Ehe gleichbehandelt und entschieden, daß die Abfindung des Rentenanspruchs nur bei der ersten Wiederheirat gewährt wird (§ 1302 Abs 1 RVO, § 81 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-, § 83 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes -RKG-), daß also Bezieherinnen einer "wiederaufgelebten" Witwenrente bei Eingehen einer dritten Ehe keinen Anspruch auf Abfindung haben. Schließlich ist in den Entscheidungen auch die Parallele zu vergleichbaren Vorschriften der Kriegsopferversorgung (KOV) über Witwenabfindung und Wiederaufleben des Witwenrentenanspruchs (§ 44 Abs 1 und 2 des Bundesversorgungsgesetzes -BVG-) gezogen worden (vgl GS in BSGE 44, 151, 152 und die dort zitierten Entscheidungen). Der GS hatte sich entsprechend der Vorlage nur mit der Abfindung zu befassen und entschied, diese sei lediglich bei der ersten Wiederheirat zu gewähren.
Über die Frage, ob der Witwe ein Anspruch nach Auflösung der dritten Ehe zusteht, wenn der Ehegatte dieser und der vorangegangenen Ehe identisch sind, hat das BSG in Angelegenheiten der KOV schon wiederholt entschieden. So ist der 8. Senat im Urteil vom 28. April 1960 - 8 RV 1341/58 = BSGE 12, 127 = SozR Nr 4 zu § 44 BVG) zu dem Ergebnis gelangt, der Kriegerwitwe stehe eine Beihilfe in Höhe der Witwenrente nach § 44 Abs 3 BVG idF vom 6. Juni 1956 nicht zu, wenn nach erneuter Ehe mit dem geschiedenen Ehemann dieser sterbe. Ebenso hat der 9. Senat im Urteil vom 16. November 1961 - 7/9 RV 306/60 (= BSGE 15, 246 = SozR Nr 5 zu § 44 BVG) zur Beihilfe iS des § 44 Abs 4 BVG idF vom 1. Juli 1957 und zum Wiederaufleben der Witwenrente iS des § 44 Abs 2 BVG idF vom 27. Juni 1960 entschieden und ausgeführt, die Fortsetzung der "Versorgungskette" nach dem an den Folgen einer Schädigung Verstorbenen sei auch dann nicht mehr möglich, wenn die dritte Ehe mit dem zweiten Mann geschlossen worden sei. Bei gleicher rechtlicher Konstellation hat es der 10. Senat im Urteil vom 18. Februar 1970 - 10 RV 75/68 (= SozR Nr 3 zu § 89 BVG) selbst im Wege des Härteausgleichs abgelehnt, nach Auflösung der dritten Ehe eine Witwenversorgung zuzubilligen.
Daraus geht hervor, daß der erkennende Senat, wollte er entsprechend dem Antrag der Klägerin entscheiden, gemäß § 42 SGG den GS anrufen müßte. Denn zumindest das erwähnte Urteil des 9. Senats, der auch noch für Angelegenheiten der KOV geschäftsplanmäßig zuständig ist, betrifft dieselbe Rechtsfrage; hierbei braucht es sich nicht um die Auslegung derselben Gesetzesstelle zu handeln, sondern es genügt, wenn beabsichtigt ist, den gleichen Rechtssatz, der in verschiedenen Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat, abweichend auszulegen (BGH 9, 179). Indessen besteht keine Veranlassung, eine von der bisherigen Rechtsprechung abweichende Ansicht zu vertreten:
Das LSG hat sich bereits eingehend mit den wesentlichen Gründen auseinandergesetzt, die vom GS zwar aus Anlaß der Witwenabfindung nach § 1302 RVO im Zusammenhang mit der "ersten Wiederheirat" dargelegt worden sind, die sich in allen wesentlichen Punkten aber auch auf das Wiederaufleben der Witwenrente übertragen lassen und hier eine eher noch stärkere Berechtigung haben (vgl ua BSGE 45, 262, 264). Zutreffend ist das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangt, diese Erwägungen hätten auch bei Identität des Mannes der zweiten und dritten Ehe zu gelten.
Die von der Revision hiergegen erhobenen Einwände betreffen weniger die Frage, ob ein Witwenrentenanspruch schlechthin nach Auflösung der dritten Ehe bei Identität des Partners der zweiten und dritten Ehe wiederaufleben kann; die Klägerin hebt vielmehr hervor, die besonderen Umstände ihres Falles müßten den Ausschlag geben und zur Zuerkennung der beantragten Rente führen. Es ist indessen unerheblich, ob die Klägerin (nach ihrem Vortrag "unstreitig") sich von dem 1957 in Ostberlin strafverfolgten E F auf Anraten dessen Verteidigers nur zum Schein hat scheiden lassen, um eine Milderung des Strafmaßes zu erreichen (dem LSG-Urteil zufolge hat das die Beklagte unter Hinweis auf die von der Klägerin im Scheidungsverfahren gemachten Angaben bestritten), und es bedarf auch keiner Prüfung, inwiefern dieser Vortrag schlüssig sein könnte. Denn es kommt - worauf zu Recht bereits das LSG abgehoben hat - allein auf die Auflösung der (zweiten) Ehe, nicht auf die zugrundeliegenden Beweggründe an. Vor allem lassen sich keine rechtlich relevanten Erkenntnisse aus der Gegenüberstellung gewinnen, ob eine Scheidung aus der Sicht der Ehepartner nur zum Schein ("formal") oder wirklich gewollt ("echt") angestrebt worden ist (hierzu bereits BSG in SozR Nr 3 zu § 89 BVG, Ca 11 unter Bezug auf Bosch in FamRZ 1960, S 494 und 1967, S 393). Mit der Scheidung wird nämlich das familienrechtliche Band zwischen den Ehegatten gelöst; es treten personenstandsrechtliche Wirkungen ein, die güterrechtlichen und erbrechtlichen Beziehungen sind beendet. Heiraten die geschiedenen Ehegatten einander wieder, so handelt es sich um eine neue, nicht um die Fortsetzung der alten Ehe, und zwar unabhängig davon, in welchem zeitlichen Abstand das geschieht und welche Gründe für die vorangegangene Scheidung maßgebend waren. Wenn es sich aber auf allen Rechtsgebieten um zwei getrennte Ehen handelt, kann um der Einheitlichkeit des Rechts willen im Anwendungsbereich des § 1291 Abs 2 RVO nichts anderes gelten. Demzufolge vermag die Klägerin weder aus den von ihr erwähnten Umständen, die zur Scheidung geführt haben, noch daraus etwas herzuleiten, daß sie E F alsbald nach der ersten Scheidung wiedergeheiratet hat. Nach Gesetz und Rechtsprechung wird der Witwe nur für eine weitere Eheschließung das Unterhaltsrisiko abgenommen. Diesen Grundsatz hat die Rechtsprechung konsequenterweise selbst in den Fällen eingehalten, in denen die Zweite und/oder dritte Ehe für nichtig erklärt worden ist (vgl Urteile des BSG, 9. Senat vom 23. Mai 1973 - 9 RV 344/72 und 10. Senat vom 28. Juni 1973 - 10 RV 621/72 = SozR Nrn 19, 20 zu § 44 BVG).
Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe nach der ersten Scheidung keine Witwenrente in Anspruch genommen, vermag sie auch damit ihr Begehren nicht zu stützen. Das Gesetz stellt es der Witwe nicht frei, durch die Nichtinanspruchnahme von Rente nach Auflösung der zweiten Ehe den Wiederauflebensanspruch auf die Auflösung einer späteren Ehe zu verschieben. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Urteil vom 1. Juli 1980 - 1 BvR 179/78 - und - 1 BvR 464/78 - Verfassungsbeschwerden zur Heiratsabfindung im Falle der dritten Eheschließung und zum Wiederaufleben der Witwenrente nach Auflösung einer dritten Ehe zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Großzügigkeit der - verfassungsrechtlich nicht gebotenen - Regelung des Wiederauflebens der Witwenrente zwinge nicht dazu, die dritte Ehe wie die zweite zu begünstigen; daran ändere sich auch nichts, wenn die Frau ihren Wiederauflebensanspruch nach Auflösung ihrer zweiten Ehe (noch) nicht geltend gemacht habe (Seiten 16, 20 und 21 des Urteils). Als Begründung läßt das BVerfG gelten, daß der Intensitätsgrad der wirtschaftlichen und unterhaltsmäßigen Beziehungen einer Frau, die eine dritte Ehe eingeht, zum ersten verstorbenen Mann abnimmt. Jede neue Ehe birgt für die Frau die Chance und das Risiko der Verbesserung oder Verschlechterung ihrer wirtschaftlichen Lage in sich, und der Gesetzgeber weist in § 1291 Abs 2 RVO der Solidargemeinschaft eine Garantenstellung für den Fall der Auflösung der zweiten Ehe zu. Nur danach soll die Frau in ihrer laufenden Versorgung nicht schlechter stehen als vor der Eheschließung. Diese Gründe haben ihre Berechtigung unabhängig davon, ob nun die Frau eine dritte Ehe mit ihrem geschiedenen oder einem anderen Mann eingeht.
Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen