Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsweg. Verkehrsgefahr. Herzstillstand. Schwere der lebensbedrohenden Gesundheitsstörung. Tod vor oder nach Unfallereignis
Orientierungssatz
Bei einem Verkehrsunfall hängt die Entscheidung der Frage, ob Unfall und Tod wesentlich durch die besonderen Gefahren des Betriebsweges oder wesentlich durch eine auf innerer Ursache beruhenden Krankheit des Versicherten herbeigeführt worden sind, von der Schwere der Gesundheitsstörung ab, die den Unfall mitbedingt hat. War der Verunglückte vor dem Unfall lediglich einer vorübergehenden Herzschwäche (Ohnmacht) erlegen, sind die besonderen Wegegefahren eine der Ohnmacht zumindest gleichwertige Bedingung; hatte der Versicherte dagegen einen lebensbedrohenden Anfall (Herzstillstand) erlitten, der noch vor dem Unfall zu seinem Tod geführt hat oder auch ohne den Unfall zwangsläufig dazu geführt hätte, sind Unfall und Tod wesentlich nicht durch die besonderen Gefahren des Verkehrs, sondern durch die vom Schutz der Unfallversicherung nicht umfaßte innere Ursache bewirkt worden (vgl BSG 25.1.1979 8a RU 36/78 = SozR 2200 § 555 Nr 2).
Normenkette
RVO § 548 Abs 1 S 1, § 589 Abs 1
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.02.1986; Aktenzeichen L 5 U 83/84) |
SG Duisburg (Entscheidung vom 16.02.1984; Aktenzeichen S 17 U 246/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1.) (G.) Folge eines Arbeitsunfalles ist.
Der damals 45 Jahre alte Bäckermeister G. befand sich am 7. März 1981 mit seinem PKW auf einer Auslieferungs- und Einkaufsfahrt. Sein Fahrzeug kam ohne erkennbaren äußeren Grund von der Fahrbahn ab und prallte mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h gegen einen Hochspannungsmast. Der herbeigerufene Notarzt stellte den Tod fest. Eine mit Zustimmung der Klägerin zu 1.) vorgenommene Obduktion ergab keine Klarheit, ob G. aufgrund des Aufpralles starb oder schon vor dem Aufprall infolge Herzstillstandes gestorben war. Die Beklagte lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit dem Hinweis ab, daß der Unfall auf körpereigener Ursache beruhe (Bescheid vom 10. August 1981). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, G. sei während der Fahrt einem akuten Herzversagen erlegen und bei dem Aufprall bereits tot gewesen (Urteil vom 16. Februar 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat festgestellt, daß der Tod des G. Folge eines am 7. März 1981 erlittenen Arbeitsunfalles sei, und betont: Selbst wenn ein Herzstillstand vorgelegen haben sollte, sei G. erst nach dem Aufprall gestorben. Der Tod trete nach neuerer medizinischer Erkenntnis erst mit dem endgültigen Erlöschen der Hirnströme durch Unterbrechung der Sauerstoffzufuhr ein (Hirntod). Zwischen Herzstillstand und endgültiger Hirnschädigung lägen bis zu fünf Minuten. Hier seien zwischen Abweichen von der Fahrbahn und Aufprall allenfalls wenige Sekunden verstrichen (Urteil vom 4. Februar 1986).
Die Beklagte rügt mit der - vom LSG zugelassenen - Revision unrichtige Anwendung der Kausalitätsnorm. Im Fall eines Herzstillstandes werde der Verlauf des Sterbevorganges selbst durch einen Unfall mit schweren Verletzungen nicht beeinflußt.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Klägerinnen beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist insoweit erfolgreich, als das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen ist.
Tod durch Arbeitsunfall, Voraussetzung ua für die Gewährung von Hinterbliebenenrente (§ 589 Abs 1 Reichsversicherungsordnung -RVO-), verlangt einen inneren Zusammenhang sowohl zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis als auch zwischen Unfallereignis und Tod.
Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, daß G. sich, als er am 7. März 1981 mit seinem PKW von der Fahrbahn abkam und gegen einen Hochspannungsmast prallte, in seiner Eigenschaft als Unternehmer (§ 658 Abs 2 Nr 1 RVO) auf einer Auslieferungs- und Einkaufsfahrt befand und damit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand (§ 543 RVO). Es hat ferner dargelegt, daß der innere Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis deswegen gegeben sei, weil G. im Zeitpunkt des Unfallereignisses noch gelebt habe. Diese Bewertung wird, wie die Beklagte mit Recht beanstandet, der das Unfallversicherungsrecht beherrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung nicht gerecht.
Im Unfallversicherungsrecht sind Ursachen im Rechtssinne nicht alle Bedingungen eines Erfolges, einerlei, mit welcher Schwere sie zu ihm beigetragen haben und in welchem Zusammenhang sie dazu stehen, sondern nur diejenigen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Einzelfall als Ursache oder Mitursache im Rechtssinne anzusehen sind und welche nicht, beurteilt sich nach der Auffassung des täglichen Lebens (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 246 = SozR Nr 27 zu § 542 RVO aF; BSGE 38, 127, 129 = SozR 2200 § 548 Nr 4). Danach hängt bei einem Verkehrsunfall die Entscheidung der Frage, ob Unfall und Tod wesentlich durch die besonderen Gefahren des Betriebsweges oder wesentlich durch eine auf innerer Ursache beruhenden Krankheit des Versicherten herbeigeführt worden sind, von der Schwere der Gesundheitsstörung ab, die den Unfall mitbedingt hat. War der Verunglückte vor dem Unfall lediglich einer vorübergehenden Herzschwäche (Ohnmacht) erlegen, sind die besonderen Wegegefahren eine der Ohnmacht zumindest gleichwertige Bedingung; hatte der Versicherte dagegen einen lebensbedrohenden Anfall (Herzstillstand) erlitten, der noch vor dem Unfall zu seinem Tod geführt hat oder auch ohne den Unfall zwangsläufig dazu geführt hätte, sind Unfall und Tod wesentlich nicht durch die besonderen Gefahren des Verkehrs, sondern durch die vom Schutz der Unfallversicherung nicht umfaßte innere Ursache bewirkt worden (BSG SozR 2200 § 555 Nr 2).
Das LSG hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - die ärztlichen Gutachten in bezug auf die Frage einer etwaigen lebensbedrohenden Gesundheitsstörung, die auch ohne den Unfall unweigerlich zum Tod des G. geführt hätte, nicht ausgewertet. Es hat dies nachzuholen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen