Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattungsanspruch für Einsatz selbstbeschaffter Haushaltshilfe
Leitsatz (redaktionell)
Hat ein Versicherter die für die Gestellung einer Haushaltshilfe erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, ist der gesetzliche Krankenversicherungsträger verpflichtet, die Kosten der von dieser selbstbeschafften Ersatzkraft - Haushaltshilfe -, auch wenn es sich um eine im Verwandtschaftsverhältnis zum Versicherten stehende Person handelt, in angemessener Höhe zu übernehmen.
Normenkette
RVO § 185b Abs. 2 S. 2 Fassung: 1973-12-19
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 12.05.1976; Aktenzeichen S 4 Kr 133/75) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 12. Mai 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe die beklagte Betriebskrankenkasse dem Kläger die Kosten für eine selbstbeschaffte Haushaltshilfe zu erstatten hat (§ 185 b der Reichsversicherungsordnung -RVO).
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten. Seine Ehefrau befand sich vom 5. Juni bis 11. Juli 1975 (= 37 Kalendertage) im Krankenhaus. Während dieser Zeit führte ihm seine nicht in seinem Haushalt lebende Schwiegermutter den Haushalt und beaufsichtigte seine vier damals 4, 9, 12 und 13 Jahre alten Kinder. Als Vergütung zahlte ihr der Kläger 40,- DM pro Tag. Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 18. Juli 1975 einen Erstattungsanspruch für 29 nicht arbeitsfreie Kalendertage zu je 12,- DM = 348, DM an. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 27. August 1975). Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, dem Kläger 1.160,- DM zu erstatten (Urteil vom 12. Mai 1976). Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei einem einer fremden Haushaltshilfe damals im allgemeinen gezahlten Stundensatz von 6,- DM wären für 8 Stunden täglich 48,- DM zu zahlen gewesen. Bei Verwandten und Verschwägerten könne der Versicherungsträger einen niedrigeren Stundenlohn festsetzen. Dieser dürfe aber nicht so niedrig sein, daß dadurch die Angemessenheit der Entlohnung in Frage gestellt werde. Der von der Beklagten angesetzte Tagessatz von 12, DM trage der Belastung bei der Führung eines Haushalts mit vier minderjährigen Kindern in keiner Weise Rechnung. Hier sei ein Stundensatz von 5,- DM angemessen. Der vom Kläger gezahlte Tagessatz von 40,- DM sei deshalb nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe ihm mithin für 29 nicht arbeitsfreie Kalendertage 1.160,- DM zu erstatten.
Mit der - zugelassenen - Sprungrevision rügt die Beklagte Verletzung des § 185 b RVO. Sie meint, der in dieser Vorschrift verwandte Begriff "Kosten" sei lediglich iS einer Aufwandserstattung zu verstehen. Deshalb sei hier eine "Kostenerstattung" in Gestalt einer Aufwandsentschädigung mit 12,- DM je Anspruchstag ausreichend und angemessen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Rechtsgrundlage des geltend gemachten Erstattungsanspruchs ist der mit Wirkung vom 1. Januar 1974 in die RVO eingefügte § 185 b (vgl § 1 Nr 2, § 5 des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung - Leistungsverbesserungsgesetz (KLVG) - vom 19. Dezember 1973, BGBl I 1925). Nach Absatz 1 dieser Vorschrift erhalten Versicherte Haushaltshilfe, wenn ihnen oder ihrem Ehegatten wegen Aufenthalts in einem Krankenhaus oder in einer Entbindungsanstalt oder wegen eines Kuraufenthalts, dessen Kosten von der Krankenkasse ganz oder teilweise getragen werden, die Weiterführung des Haushalts nicht möglich ist und eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann. Voraussetzung ist ferner, daß im Haushalt ein Kind lebt, das das 8. Lebensjahr noch nicht vollendet hat ... Diese Voraussetzungen waren beim Kläger - außer an arbeitsfreien Tagen - unstreitig gegeben. Nach Absatz 2 der genannten Bestimmung ist von der Kasse grundsätzlich eine Ersatzkraft zu stellen. Erst wenn diese Gestellung nicht möglich ist ..., sind die Kosten für eine selbstbeschaffte Ersatzkraft in angemessener Höhe zu erstatten.
Die Beklagte hat eine Ersatzkraft nicht gestellt. Der Kläger hat mithin für die von ihm selbstbeschaffte Ersatzkraft einen Erstattungsanspruch gegen die Beklagte in angemessener Höhe. Dieser Anspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß als Ersatzkraft die Schwiegermutter des Klägers tätig geworden ist. Es braucht nicht erörtert zu werden, inwieweit die Schwiegermutter hier sittlich oder moralisch zur Hilfe verpflichtet war. Eine solche Pflicht wäre außerrechtlicher Art. Weder der Kläger noch seine Ehefrau konnten aufgrund dieser Pflicht eine Hilfeleistung verlangen. Es kann auch dahinstehen, inwieweit die Schwiegermutter nach bürgerlich-rechtlichen Vorschriften verpflichtet war, im Haushalt des Klägers zu helfen. § 185 b RVO trifft eine eigenständige Regelung der Verpflichtung zur Weiterführung des Haushalts: In Absatz 1 Satz 1 heißt es ausdrücklich: "... und eine andere im Haushalt lebende Person den Haushalt nicht weiterführen kann". Daraus ergibt sich, daß keine außerhalb des Haushalts lebende Person nach § 185 b Abs 1 Satz 1 RVO verpflichtet ist, den Haushalt weiterzuführen. Das gilt auch für Verwandte und Verschwägerte.
Daß auch eine mit dem Kläger verwandte oder verschwägerte Ersatzkraft nicht nur ihre Auslagen ersetzt bekommen, sondern entgegen der Auffassung der Beklagten außerdem auch ihre Arbeitsleistung im Haushalt vergütet erhalten kann, hat bereits der 5. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in einem Urteil vom 28. Januar 1977 - 5 RKn 32/76 - entschieden. Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung in zwei Urteilen vom 13. Juli 1977 (3 RK 52/76 und 3 RK 99/76) angeschlossen. Für ihre Richtigkeit spricht einmal die Tatsache, daß der Entwurf zum KLVG in seinem § 185 b Abs 2 Satz 2 Halbsatz 2 zwar die Kostenerstattung für mit dem Versicherten verwandte und verschwägerte Ersatzkräfte ausschloß (vgl Entwurf zum KLVG § 1 Nr 2, BT-Drucks VI/3588 S. 1), insoweit aber seinerzeit nicht Gesetz geworden ist (siehe auch den Entwurf des Leistungsverbesserungsgesetzes in der späteren BT-Drucks VII/377). Dafür spricht weiterhin, daß durch das am 1. Juli 1977 in Kraft getretene Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (KVKG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1069) § 185 b Abs 2 RVO nunmehr dahin ergänzt worden ist, daß für bis zum zweiten Grade verwandte und verschwägerte Ersatzkräfte die Kostenerstattung künftig grundsätzlich entfällt (Art 1 § 1 Nr 12 KVKG). Beide Tatsachen - die Nichtübernahme des im Entwurf des KLVG vorgesehenen Ausschlusses der Kostenerstattung für verwandte und verschwägerte Ersatzkräfte in das Gesetz und der nunmehr ab 1. Juli 1977 für derartige Ersatzkräfte normierte Kostenerstattungsausschluß - lassen nur die Folgerung zu, daß bisher ein derartiger Ausschluß der Kostenerstattung nicht bestand.
Hinsichtlich der Angemessenheit der in Betracht kommenden Vergütung kann nach der Auffassung des 5. Senats, die der erkennende Senat teilt, zwar von mit dem Versicherten verwandten und verschwägerten Ersatzkräften erwartet werden, daß sie bei ihren Forderungen für die von ihnen erbrachte Hilfeleistung Zurückhaltung üben. Eine Vergütung der Arbeitsleistung mit täglich 40,- DM erscheint aber auch dann nicht unangemessen, wenn es sich bei der Ersatzkraft um die Schwiegermutter des Versicherten handelt. Allerdings hat der 5. Senat in dem erwähnten Urteil diesen Betrag in einem Fall für angemessen erachtet, in dem die Schwägerin des Versicherten, die selbst berufstätig war, ihren Erholungsurlaub dazu benutzt hatte, bei ihrer Schwester als Ersatzkraft auszuhelfen. Außerdem hat der 5. Senat betont, da es sich um einen 8-Personen-Haushalt gehandelt habe, sei die Ersatzkraft überdurchschnittlich beansprucht worden. Abgesehen davon, daß in dem vom 5. Senat entschiedenen Fall nicht mehr als 40,- DM Vergütung pro Tag für die Ersatzkraft beantragt worden war, ist der erkennende Senat der Ansicht, daß bei der Beantwortung der Frage nach der Angemessenheit der Vergütung aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei einer Massenverwaltung, wie sie bei dem Träger der Sozialversicherung vorliegt, eine mehr schematische Betrachtungsweise angebracht ist, weshalb kein Unterschied innerhalb der Gruppe der bis zum zweiten Grade Verwandten oder Verschwägerten gemacht werden kann (siehe dazu jetzt § 185 b Abs 2 Satz 3 RVO idF des Art 1 § 1 Nr 12 KVKG). Hinzu kommt, daß hinsichtlich der Belastung der Ersatzkraft im Haushalt nur darauf abgestellt werden kann, wieviel Kinder unter 8 Jahren von ihr zu betreuen sind; denn fehlen Kinder dieses Alters in einem Haushalt überhaupt, dann steht dem Versicherten nach § 185 b RVO eine Haushaltshilfe nicht zu. In dem vom 5. Senat entschiedenen Fall waren zwar zwei Kinder unter 8 Jahren zu betreuen, im vorliegenden Fall dagegen nur ein Kind. Dieser Unterschied ist aber zu gering, um eine andere Beurteilung der Angemessenheit der Entschädigung zu rechtfertigen. Das hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 13. Juli 1977 - 3 RK 99/76 - entschieden.
Für arbeitsfreie Tage steht dem Kläger kein Erstattungsanspruch zu. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß bei Abwesenheit der Ehefrau der Ehemann an arbeitsfreien Tagen in der Lage ist, den Haushalt weiterzuführen. Auch dies hat bereits der 5. Senat des BSG entschieden, und zwar in zwei Urteilen vom 30. März 1977 - 5 RKn 20/76 und 5 RKn 23/76 -. Das kann naturgemäß nicht gelten, wenn an einem üblicherweise arbeitsfreien Tag, also beispielsweise an einem Sonnabend oder Sonntag, von dem Versicherten tatsächlich Arbeit zu leisten ist, etwa bei Schichtdienst, Schalterdienst, Wachdienst und dergleichen; denn dann ist es ihm auch an einem solchen im allgemeinen arbeitsfreien Tag nicht möglich, den Haushalt weiterzuführen, da dieser arbeitsfreie Tag dann für ihn persönlich ein Arbeitstag ist. Ein derartiger Ausnahmefall lag beim Kläger aber nicht vor.
Nach alledem hat das SG die Beklagte zu Recht verurteilt, dem Kläger 1.160,- DM (= für 29 nicht arbeitsfreie Tage je 40,- DM) zu zahlen. Sein Urteil ist mithin nicht zu beanstanden. Die Revision der Beklagten ist deshalb unbegründet und muß zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen