Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 13.09.1988; Aktenzeichen L 7 Ar 237/87)

SG Hildesheim (Urteil vom 07.07.1987)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 13. September 1988 insoweit aufgehoben, als es das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 7. Juli 1987 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1986 abgeändert und die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger für die Zeit ab 12. August 1986 Arbeitslosenhilfe zu zahlen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 7. Juli 1987 wird auch in diesem Umfang zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist, ob der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi) für die Zeit ab 12. August 1986 hat.

Der 1936 geborene Kläger besaß die polnische Staatsangehörigkeit. Nach einem am 5. März 1987 ausgestellten Personalausweis ist er Deutscher. In Polen war er ab 1. März 1980 – zunächst in einem Probedienstverhältnis – als Gerichtsassessor beschäftigt. Im Jahre 1982 wurde er auf Antrag des dortigen Justizministers zum Richter ernannt. Er bezog ein monatliches Gehalt, dessen Höhe sich nach der Dauer der Tätigkeit als Richter und Vortätigkeiten anderer Art richtete und von dem Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt wurden. Im Juli 1986 kam er mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in die Bundesrepublik Deutschland.

Am 12. August 1986 meldete er sich arbeitslos und beantragte gemäß dem verwendeten Antragsvordruck die Bewilligung von Alhi. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe nicht die erforderliche Anwartschaftszeit zurückgelegt (Bescheid vom 26. September 1986, Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 1986).

Das Sozialgericht (SG) hat die auf Gewährung von Alg gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 7. Juli 1987). Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide abgeändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger Alhi ab 12. August 1986 zu gewähren. Es hat ausgeführt, dem Kläger stehe zwar kein Anspruch auf Alg zu, weil die von ihm in Polen ausgeübte Richtertätigkeit nicht nach § 107 Satz 1 Nr 3 AFG einer beitragspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt werden könne, sondern einem beitragsfreien Beamtenverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland entsprochen habe. Begründet sei jedoch der Anspruch auf Alhi, weil § 90a Abs 2 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) auch auf in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigt gewesene Personen entsprechend anzuwenden sei (Urteil vom 13. September 1988).

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 90a Abs 2 BVFG iVm §§ 134 Abs 1 Nr 4, 107 Satz 1 Nr 3 AFG. Der Gesetzgeber habe zunächst nur beabsichtigt, den Kreis der Anspruchsberechtigten um Personen zu erweitern, die als Übersiedler oder in der DDR aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen an der Ausübung einer Beschäftigung gehindert worden seien sowie um Aussiedler, die im Herkunftsland aus von ihnen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen keine Erwerbstätigkeit ausüben durften. Die Erkenntnis, daß auch Selbständige und mithelfende Familienangehörige keine Alhi erhielten, habe ihn dann zwar veranlaßt, auch diesen Personenkreis – aber nach § 90a Abs 2 BVFG auch nur diesen – unter Angleichung an das bis zum 31. Dezember 1981 geltende Recht in die Begünstigung aufzunehmen. Ein Beamter aus den Vertreibungs-/Umsiedlungsgebieten habe aber schon damals im Hinblick auf das Dienst- und Treueverhältnis keinen Anspruch auf Alhi gehabt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG Niedersachsen vom 13. September 1988 insoweit aufzuheben, als es der Berufung des Klägers stattgegeben hat, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 7. Juli 1987 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision der Beklagten ist begründet.

Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 26. September 1986 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 1986 nur noch insoweit, als die Beklagte darin den Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Alhi abgelehnt hat. Denn das Urteil des LSG ist, soweit es den in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch auf Alg abgelehnt hat, vom Kläger im Revisionsverfahren nicht angegriffen worden und damit insoweit rechtskräftig (zur Auslegung eines „Antrags auf Arbeitslosenhilfe” als Antrag auf Alg – siehe BSGE 49, 114, 115; BSG Urteil vom 12. November 1981 – 7 RAr 69/80 – USK 81261).

Nach § 134 Abs 1 AFG hat Anspruch auf Alhi, wer neben den hier unstreitigen Voraussetzungen der Nrn 1 – 3 eine der Anwartschaftsvoraussetzungen des § 134 Abs 1 Nr 4 AFG erfüllt. Ein Sachverhalt nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a AFG liegt nicht vor, wie das LSG festgestellt hat. Auch die Voraussetzungen des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG sind – entgegen der Auffassung des LSG – nicht gegeben.

Nach § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG reicht es für die Anwartschaftsvoraussetzung aus, wenn der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, mindestens 150 Kalendertage in einer Beschäftigung gestanden oder eine Zeit zurückgelegt hat, die zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen kann. Hierbei handelt es sich um Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168 AFG) oder um diesen hinsichtlich der Erfüllung der Anwartschaftszeit gleichgestellte Zeiten (vgl BSG SozR 4100 § 134 Nr 29).

Der Kläger ist nach den Feststellungen des LSG innerhalb der maßgeblichen Vorfrist – das ist der Zeitraum vom 12. August 1985 bis 11. August 1986 – als Richter in Polen tätig gewesen. Diese Tätigkeit begründet – wie das LSG zutreffend ausgeführt hat und auch von den Beteiligten nicht bestritten wird – keine Beitragspflicht. Denn die Beitragspflicht tritt grundsätzlich nur hinsichtlich der Beschäftigungen solcher Personen ein, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches beschäftigt sind (§ 173a AFG, § 3 Nr 1 SGB 4 – s hierzu auch BSG SozR 4100 § 104 Nr 14).

Zugunsten des Klägers greift auch nicht die Bestimmung des § 134 Abs 2 Nr 1 AFG ein, wonach Zeiten eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses, insbesondere als Beamter, Richter, Berufssoldat und Soldat auf Zeit einer Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4b AFG gleichstehen. Auch insoweit muß es sich, wie schon der Aufzählung in § 134 Abs 2 Nrn 1 und 2 AFG und den hierbei verwendeten rechtstechnischen Begriffen zu entnehmen ist, um Dienststellen bei einem inländischen Hoheitsträger handeln (vgl Hennig/Kühl/Heuer, Kommentar zum AFG, Band 1, Anm 7a zu § 134; Knigge, Kommentar zum AFG, Anm 23 zu § 34; Urteil des LSG Niedersachsen vom 24. November 1981 in Breithaupt 1982, 815). Der mit der Bestimmung verfolgte Zweck gebietet keine erweiternde Rechtsanwendung. Denn die Regelung dient dem Ziel, die fehlende Versicherungspflicht bestimmter Tätigkeitsarten auszugleichen, wobei der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit diese Regelung ausdrücklich auf die unmittelbar angesprochenen Sachverhalte nach deutschem Recht beschränkt hat (vgl auch BSG, Urteil vom 19. Juni 1980 – 7 RAr 54/79 in SozSich 1981, 30).

Vorschriften, nach denen Zeiten einer Beschäftigung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland einschließlich des Landes Berlin Ansprüche auf Alhi begründen, greifen im vorliegenden Falle ebenfalls nicht ein.

Zeiten einer Beschäftigung, die in Polen außerhalb des Gebietes des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 ausgeübt worden sind, stehen zwar einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich, wenn sie ein Deutscher iS des Art 116 Grundgesetz (GG) ausgeübt hat. Voraussetzung dieser Gleichstellung ist jedoch gemäß § 107 Satz 2 AFG, daß die Beschäftigung bei Ausübung im Geltungsbereich des AFG die Beitragspflicht des Arbeitnehmers begründet hätte. Selbst wenn man – abweichend von BSG SozR Nr 5 zu § 85 AVAVG – mit dem LSG für die Beurteilung auf die tatsächliche und rechtliche Gestaltung der Tätigkeit des Klägers in Polen abstellt, scheidet eine Gleichstellung aus. Denn nach den Feststellungen des LSG, die für den Senat bindend sind (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), hat es sich bei der Tätigkeit des Klägers als Richter in Polen nach ihrer tatsächlichen dienst- oder arbeitsrechtlichen Gestaltung um ein öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis gehandelt. Beamte und Richter sind aber im Bundesgebiet für den Fall der Arbeitslosigkeit nach § 169 Nr 1 AFG nicht versichert; sie sind in der Sozialversicherung nach §§ 169, 172 Abs 1 Nr 1 RVO aF (jetzt: § 6 Abs 1 Nr 2 SGB 5) versicherungsfrei, wenn die entsprechende Versorgung gewährleistet ist. Dies war nach den Feststellungen des LSG beim Kläger – trotz gewisser Unterschiede zum deutschen Recht – der Fall.

Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung kann die vom Kläger in Polen ausgeübte Tätigkeit auch nicht nach § 90a Abs 2 BVFG – im Wege der Lückenfüllung – einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gleichgestellt werden.

Die durch das Sechste Gesetz zur Änderung des BVFG (6. ÄndG BVFG) vom 2. Dezember 1985 (BGBl I 2186) eingeführte Regelung des § 90a BVFG bestimmt in Absatz 1 Nr 2, daß auch Zeiten berücksichtigt werden, in denen ein Deutscher oder ein Vertriebener wegen seiner Volkszugehörigkeit, seiner Aussiedlungs- oder Übersiedlungsabsicht oder wegen eines vergleichbaren nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihm nicht zu vertretenden Grundes gehindert worden ist, als Arbeitnehmer tätig zu sein. Absatz 2 dieser Vorschrift bestimmt, daß für den Anspruch auf Alhi die Tätigkeit als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger, die eine in Absatz 1 Nr 2 genannte Person in dem dort genannten Gebiet hauptberuflich ausgeübt hat, einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gleichsteht.

Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, sollte mit der Regelung des § 90a BVFG eine neue Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen an Übersiedler und Aussiedler geschaffen werden, die im Herkunftsland aus von ihnen nach freiheitlich-demokratischer Auffassung nicht zu vertretenden Gründen an der Ausübung einer Beschäftigung gehindert worden sind (vgl BT-Drucks 10/3407 S 4). Im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde dann erkannt, daß auch Übersiedler und Aussiedler, die vor der Übersiedlung oder der Aussiedlung als Selbständige oder als mithelfende Familienangehörige tätig waren, keinen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung haben. Auf Empfehlung des Innenausschusses des Bundestages wurden daher diese Tätigkeiten durch § 90a Abs 2 BVFG für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe einer Beschäftigung gleichgestellt. Damit sollte berücksichtigt werden, daß der Verlust der Existenzgrundlage durch das Schicksal der Aussiedlung oder der Übersiedlung verursacht worden ist und die Betroffenen im Bundesgebiet im allgemeinen eine neue Existenzgrundlage als Arbeitnehmer aufbauen müssen (vgl BT-Drucks 10/3859).

Durch § 90a BVFG ist somit eine Lücke geschlossen worden (so auch ausdrücklich BT-Drucks 10/3407, S 7, Begründung, Allgemeiner Teil). Denn bis dahin hatten die in der Vorschrift genannten Personenkreise keine oder jedenfalls keine ausreichende Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Leistungen der Arbeitslosenversicherung. § 90a BVFG ergänzt somit die allgemeine Regelung des § 90 Abs 1 BVFG, wonach Vertriebene und Sowjetzonenflüchtlinge in der Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung den „Berechtigten im Geltungsbereich des Gesetzes gleichgestellt” werden.

Wie das Bundessozialgericht (SozR § 85 AVAVG Nr 5) bereits entschieden hat, erfaßt die Gleichstellungsvorschrift nach § 90 Abs 1 BVFG nicht eine Tätigkeit im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses im Ausland. Denn die Gleichstellung erfaßt, da die Vorschrift ausdrücklich von „den Berechtigten im Geltungsbereich des Grundgesetzes” spricht, die gesamten Merkmale der Tätigkeit (vgl auch Schönefelder/Kranz/Wanka zu § 107, S 76, Anm 7,8). Da der Kläger – wie bereits oben ausgeführt – nach den Feststellungen des LSG bei seiner Tätigkeit in Polen in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden hat, kommt seine Gleichstellung nach § 90 BVFG nicht in Betracht, zumal er – weder nach seinem eigenen Vorbringen, noch nach den Feststellungen des LSG – Vertriebener iS des BVFG ist. Der Kläger erfüllt, wie das LSG zutreffend festgestellt hat, auch nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 90a BVFG. Denn er gehört weder zu dem Personenkreis, der aus den im Gesetz genannten Gründen an einer Tätigkeit als Arbeitnehmer gehindert worden ist (Abs 1), noch hat er Tätigkeiten als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger vor der Aussiedlung ausgeübt (Abs 2).

Entgegen der Auffassung des LSG enthält § 90a BVFG nicht deshalb eine Lücke, weil er solche Personen von der Gleichstellung ausschließt, die innerhalb der einjährigen Vorfrist nach § 134 Abs 1 Nr 4 AFG – wie der Kläger – in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigt gewesen sind. Eine Gesetzeslücke liegt nämlich nicht bereits dann vor, wenn eine erwünschte Ausnahmeregelung fehlt. Vielmehr muß ihr Fehlen eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes darstellen (stRspr des BSG, vgl BSG SozR 4100 § 100 Nr 1 mwN). Bei Prüfung dieser Frage hat die Rechtsprechung den Wortlaut des Gesetzes zu beachten und davon auszugehen, daß dieser den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, soweit sich aus der Entstehungsgeschichte, dem Zweck oder dem Inhalt der Vorschrift keine konkreten Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen.

Anhaltspunkte dafür, daß nach dem Plan des Gesetzgebers in die Gleichstellungsvorschrift des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG auch Tätigkeiten in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis einbezogen werden sollten, sind nicht vorhanden. Denn – wie dargestellt – ergibt sich bereits aus den Gesetzesmaterialien, daß mit § 90a BVFG ursprünglich nur eine Lücke im Gesetz bezüglich der Zeiten geschlossen werden sollte, in denen Aus- und Übersiedler aus den im Gesetz genannten Gründen an einer Tätigkeit als Arbeitnehmer gehindert waren. Zwar ist im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens die Gleichstellungsvorschrift auch auf Zeiten einer Tätigkeit als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger vor der Aus- oder Übersiedlung ausgedehnt worden. Diese Ausdehnung betrifft jedoch ausdrücklich nur diesen Personenkreis und bezieht sich nur auf Ansprüche auf Alhi. Es kann auch nicht der Auffassung des LSG zugestimmt werden, der Gesetzgeber habe irrtümlich angenommen, daß in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigte Personen entweder nach § 107 Satz 1 Nr 3 iVm Satz 2 AFG oder doch nach § 134 Abs 2 Nr 1 AFG leistungsberechtigt seien, oder er habe verkannt, daß Angehörige des in § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG bezeichneten Personenkreises in den genannten Gebieten auch in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis beschäftigt sein konnten. Gegen eine solche Annahme spricht insbesondere die Entwicklung des Alhi-Rechts im AFG.

Bis zum 31. Dezember 1981 sah die Alhi-VO vom 7. August 1974 (BGBl I S 1929), zuletzt geändert durch VO vom 10. April 1978 (BGBl I S 500 – abgedruckt in Schönefelder/Kranz/Wanka zu § 134 S 242/1 ff) in § 1 Nrn 1 und 3 vor, daß an die Stelle der ganz oder teilweise fehlenden entlohnten Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG „das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis, insbesondere als Beamter, Richter, Berufssoldat und Soldat auf Zeit” (Nr 1) bzw die im Geltungsbereich des AFG „hauptberuflich ausgeübte Tätigkeit als Selbständiger oder mithelfender Familienangehöriger, wenn sie nicht nur vorübergehend aufgegeben worden ist” (Nr 3), treten konnte. Ferner war in § 4 Nr 1 der Alhi-VO vorgesehen, daß eine vorherige entlohnte Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4b AFG zur Begründung des Anspruchs auf Alhi nicht erforderlich war bei Personen iS der §§ 1 bis 3 BVFG, die nach den §§ 9 bis 13 Rechte und Vergünstigungen in Anspruch nehmen konnten oder auf die § 1 Abs 1 Nr 2 und § 2 des Bundesevakuiertengesetzes anzuwenden war, wenn sie innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung im Geltungsbereich dieser Verordnung Aufenthalt nahmen. Art 16 AFKG vom 22. Dezember 1981 (BGBl I S 1497) – in Kraft getreten am 1. Januar 1982 – hat diese Bestimmungen der Alhi-VO aufgehoben. Gleichzeitig wurde durch das AFKG die bisherige Regelung des § 1 Nrn 1 und 2 Alhi-VO fast wörtlich in § 134 Abs 2 AFG übernommen (vgl BT-Drucks 9/1144 S 3). Deshalb bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber – wie das LSG meint – den Schutz öffentlich-rechtlicher Dienstzeiten im Ausland beim Personenkreis des § 107 Satz 1 Nr 3 AFG und des § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG übersehen hat. Vielmehr wollte er mit der Neuregelung durch das AFKG offensichtlich den schon nach der Alhi-VO bestehenden Rechtszustand beibehalten, wonach die Tätigkeit als Beamter in den Vertreibungs- bzw Umsiedlungsgebieten keinen Anspruch auf Alhi begründete. Daran hat sich nichts dadurch geändert, daß später durch die Neuregelung des § 90a BVFG Zeiten der Verhinderung an einer Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer und Zeiten der Tätigkeit als Selbständiger oder als mithelfender Familienangehöriger vor der Übersiedlung oder Aussiedlung einer die Beitragspflicht nach dem AFG begründenden Beschäftigung gleichgestellt wurden.

Für diese Auslegung ist die Rechtsprechung des BSG von besonderer Bedeutung. Darin wurde nämlich schon zur früheren Regelung des § 95 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF und des § 85 AVAVG nF stets betont, die Gleichstellung der Vertriebenen und Flüchtlinge in der Sozialversicherung und Arbeitslosenversicherung (§ 90 BVFG) bewirke nicht, daß eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst des Herkunftslandes, die dort der Sozialversicherungspflicht unterlegen hat, auch im Bundesgebiet als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung anzusehen sei. Im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesene Vertriebene und Flüchtlinge waren danach in der Arbeitslosenversicherung nicht geschützt, weil ihre Tätigkeit im Geltungsbereich des AVAVG nicht versicherungspflichtig gewesen wäre (vgl BSGE 10, 103 zum Forstbeamten; SozR Nr 5 zu § 85 AVAVG zum Kassenverwalter bei der Deutschen Reichsbahn). Diese langjährige Rechtsprechung des BSG steht der Annahme entgegen, der Gesetzgeber habe – wie das LSG meint – bei Schaffung des § 90a BVFG irrtümlich angenommen, die in einem öffentlich-rechtlichen Beschäftigungsverhältnis tätig gewesenen Aussiedler und Umsiedler würden bereits zum Kreis der nach dem AFG Leistungsberechtigten gehören. Ebenso kann der Gesetzgeber dabei nicht verkannt haben, daß die in § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG bezeichneten Personen in der DDR oder in ihrem Herkunftsland auch in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden haben können. Denn gerade mit derartigen Fallgestaltungen hat sich die zitierte Rechtsprechung befaßt. – Gegen eine solche Annahme spricht übrigens auch die Regelung der Gewährung von Unterhaltsgeld an die Teilnehmer der Deutsch-Sprachlehrgänge für Aussiedler (§§ 62a ff AFG). § 62a Abs 1b AFG macht die Leistungsgewährung ua davon abhängig, daß im Herkunftsland eine „Erwerbstätigkeit” von mindestens zehn Wochen Dauer in den letzten zwölf Monaten vor der Ausreise ausgeübt wurde. Der Gesetzgeber unterscheidet somit durchaus zwischen dem umfassenden Begriff „Erwerbstätigkeit” einerseits und den hierzu zählenden verschiedenen Tätigkeiten andererseits – etwa als „Selbständiger” oder „im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis” (vgl Knigge, Kommentar zum AFG, 2. Aufl, § 62a Anm 9).

Entgegen der vom LSG vertretenen Auffassung bestehen gegen den Ausschluß des Personenkreises, dem der Kläger angehört, auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art 3 Abs 1 GG) oder des Sozialstaatsprinzips (Art 20 GG).

Art 3 Abs 1 GG ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl BVerfGE 55, 72, 88; 71, 146, 154 f mwN; stRspr). Die hier in Frage stehenden Differenzierungen zwischen öffentlich-rechtlichen Dienstzeiten einerseits und Tätigkeiten in einem abhängigen Arbeitsverhältnis oder als Selbständiger andererseits und die Differenzierung zwischen öffentlich-rechtlichen Dienstzeiten im Inland und solchen im Ausland haben hinreichend sachliche Gründe. Anders als das Arbeitslosengeld wird die Arbeitslosenhilfe nicht aus dem Aufkommen der Beitragszahler, sondern aus Bundesmitteln, dh aus dem Steueraufkommen finanziert (§ 188 AFG). Da es sich somit um eine aus öffentlichen Mitteln finanzierte Leistung handelt und damit die Arbeitsbereitschaft der Arbeitslosen auf dem deutschen Arbeitsmarkt gewährleistet werden soll, liegt es im Rahmen des gesetzgeberischen Ermessens, die Gleichstellung öffentlich-rechtlicher Dienstzeiten auf die unmittelbar im Gesetz angesprochenen Sachverhalte nach deutschem Recht zu beschränken (vgl BSG, Urteil vom 19. Juli 1980 – 7 RAr 54/79 – in SozSich 1981, 30). Zwar ist dem Kläger zuzugeben, daß auch er – ebenso wie der Selbständige – eine neue Existenzgrundlage als Arbeitnehmer aufbauen muß. Die hier in Frage stehenden Differenzierungen rechtfertigen sich jedoch nicht nur aus finanziellen Gesichtspunkten, sondern auch aus der Überlegung, daß Beamte, Richter oder Soldaten eines ausländischen Staates zu diesem regelmäßig in einem besonderen Dienst- und Treueverhältnis stehen und insofern für sie andere Wertungsmaßstäbe gelten. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber mit den §§ 108, 109 zwar die rechtliche Grundlage dafür geschaffen hat, daß Beschäftigungen, die im Ausland ausgeübt werden, mit Beschäftigungen gleichgestellt werden, die die Beitragspflicht begründen, wenn dies zur sozialen Sicherung für den Fall der Arbeitslosigkeit im Inland erforderlich ist. Solche der Rechtssetzungsbefugnis des Bundesministers für Arbeit und Soziales (BMA) zugewiesenen Regelungen sind jedoch nicht erfolgt. Ein Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, nach dem polnische Versicherungszeiten einen Anspruch auf Alg oder Alhi begründen können, gibt es nicht. Es gibt insoweit auch kein Verordnungsrecht (vgl BSG SozR 4100 § 104 Nr 14).

Der Ausschluß der öffentlich-rechtlichen Dienstzeiten des in § 107 Abs 1 Nr 3 iVm Satz 2 AFG, § 90a Abs 1 Nr 2 BVFG bezeichneten Personenkreises ist auch mit Art 20 Abs 1 GG vereinbar. Durch das Sozialstaatsprinzip wird der Gesetzgeber ermächtigt, unter Beachtung des Gleichheitssatzes sozialpolitische Entscheidungen zu treffen. Seine Entscheidungsfreiheit ist lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (vgl BSGE 40, 121, 133 f; BSG SozR 4100 § 100 Nr 1). Die Regelungen des § 90a Abs 2 BVFG iVm § 134 Abs 1 Nr 4, § 107 Satz 1 Nr 3 AFG entsprechen diesen Anforderungen. Aus dem Nachrang der Sozialhilfe folgt nicht, daß dem Kläger Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu gewähren sind (vgl BSG SozR aaO).

Der angefochtene Bescheid der Beklagten erweist sich somit als rechtmäßig. Auf die Revision der Beklagten ist deshalb das Urteil des LSG aufzuheben, soweit es dem Klagebegehren stattgegeben hat, und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG auch in diesem Umfang zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172790

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