Leitsatz (amtlich)

Wer 1965 durch einen Soldaten der Sowjetarmee in der DDR bei einem Verkehrsunfall verletzt wurde, wurde nicht durch einen Angehörigen der Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchst a BVG geschädigt.

 

Orientierungssatz

Besatzungsmacht - Ende der Besatzungsherrschaft - Souveränität - DDR als Völkerrechtssubjekt:

1. Eine Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchst a BVG muß im völkerrechtlichen Sinn mit Hilfe ihrer Streitkräfte das Gebiet eines besiegten Staates besetzt haben und dort tatsächlich die oberste Hoheitsgewalt ausüben (vergleiche BSG 24.11.1977 9 RV 98/76 = BSGE 45, 166, 168 f; Art 42 der Anlage zum Internationalen Abkommen, betreffend Gesetze und Gebräuche im Landkrieg vom 18.10.1907 - Haager Landkriegsordnung - LKO Haag). Dieser allgemeine völkerrechtliche Begriff der Besatzungsherrschaft ist, ungeachtet der fraglichen Geltung der gesamten LKO Haag in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg maßgebend für § 5 Abs 2 Buchst a BVG.

2. Der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 21.12.1972, der in der Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht Gesetz geworden ist, schließt es aus, die sowjetischen Truppen in der DDR noch 1965 als Besatzungsmacht zu beurteilen.

3. Wenn die Bundesrepublik die DDR auch nicht im üblichen völkerrechtlichen Sinn als fremden Staat anerkennt, so respektiert sie doch deren Rechtsnatur als Staat und Völkerrechtssubjekt mit der uneingeschränkten "Unabhängigkeit und Selbständigkeit... in ...inneren und äußeren Angelegenheiten" (Art 6 S 2 Art 1 und 2 des Grundlagenvertrages). Die Bundesrepublik stimmt mit der DDR "darin überein, daß durch diesen Vertrag die von ihnen" (also auch von der DDR) "früher abgeschlossenen oder sie betreffenden zweiseitigen und mehrseitigen internationalen Verträge und Vereinbarungen nicht berührt werden" (Art 9 des Grundlagenvertrages; dazu BVerfG 31.7.1973 2 BvF 1/73 = BVerfGE 36, 1, 21 f).

4. Zu diesen Verträgen und Vereinbarungen gehört jedenfalls auch der Vertrag über die Beziehungen der DDR und der UdSSR vom 20.9.1955. Die Beziehungen der beiden Staaten sollen demnach "auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" beruhen (Art 1). Die auf dem Gebiet der DDR stationierten Truppen der Sowjetunion "verbleiben zeitweilig mit Zustimmung der Regierung der DDR" dort; in die inneren Angelegenheiten der DDR und in das gesellschaftspolitische Leben des Landes werden sie sich nicht einmischen (Art 4).

5. Der Senat ist jedenfalls nach dem Grundlagenvertrag gehindert zu prüfen, ob sich die Sowjetunion an diese Vertragsbestimmungen gehalten oder sich nach 1965 wie eine Besatzungsmacht verhalten hat.

 

Normenkette

BVG § 5 Abs. 1 Buchst. e, Abs. 2 Buchst. e; GrundVtr Art. 6 S. 2; GrundVtrG; LKO Haag; GrundVtr Art. 1-2, 9

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.04.1983; Aktenzeichen L 7 V 53/82)

SG Detmold (Entscheidung vom 09.02.1982; Aktenzeichen S 2 V 168/80)

 

Tatbestand

Der Kläger wurde 1965 in der Nähe von Bitterfeld durch einen Verkehrsunfall verletzt, den ein sowjetischer Soldat schuldhaft verursachte. Wegen der Folgen bezog der Kläger eine Invalidenrente. Nachdem er 1966 ins Bundesgebiet gekommen war, begehrte er Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Der Antrag wurde abgelehnt (Bescheid vom 17. August 1967, Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1968), ebenso ein neuer Antrag vom März 1979 (Bescheid vom 27. April 1979, Widerspruchsbescheid vom 16. März 1980). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt (Urteile des Sozialgerichts -SG- vom 9. Februar 1982 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 7. April 1983). Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid verneint. Der Kläger sei nicht durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung als nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge in Form einer Schädigung durch einen Angehörigen einer Besatzungsmacht vor dem Tag verletzt worden, von dem an Leistungen nach anderen Vorschriften gewährt werden (§ 1 Abs 1 und 2 Buchstabe a, § 5 Abs 1 Buchstabe e und Abs 2 Buchstabe a BVG). Zur Zeit des Verkehrsunfalles sei weder das Bundesgebiet noch das Gebiet der DDR im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg besetzt gewesen. Spätestens seit 1957 seien die sowjetischen Streitkräfte im Gebiet der DDR keine Besatzungstruppen mehr. Der Vertrag zwischen der DDR und der UdSSR über gleichberechtigte Beziehungen vom 20. September 1955 und der Truppenstationierungsvertrag vom 17. März 1957 hätten der Aufhebung des Besatzungsstatuts durch die westlichen Alliierten im Jahr 1955 und der Vereinbarung über die Stationierung ausländischer Streitkräfte im Bundesgebiet entsprochen.

Der Kläger rügt mit der - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG. Für die Bundesrepublik Deutschland, die die DDR nicht völkerrechtlich anerkennen dürfe, seien die Abkommen der DDR, auf die das Berufungsgericht abgehoben habe, völkerrechtlich nicht verbindlich. Die Regierung der DDR sei nicht durch freie und geheime Wahlen legitimiert. Ihre Machtposition werde ausschließlich durch die Anwesenheit sowjetischer Truppen gewährleistet. Die DDR sei kein gleichberechtigter Partner der Sowjetunion. Die "gegenseitige Anerkennung der Souveränität" und der Grundsatz der "Nichteinmischung in innere Angelegenheiten" hätten einen anderen Wert als im Westen, wie die massiven, militärischen und politischen Einmischungen der Sowjetunion 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei erkennen ließen. Der Kläger müsse aus gesamtdeutscher Verantwortung entschädigt werden. Sein Versorgungsanspruch werde auch nicht durch die zeitweilige Gewährung einer DDR-Invalidenrente ausgeschlossen; als "Republikflüchtiger" habe der Kläger diesen Rentenanspruch verloren.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Urteile und Verwaltungsentscheidungen den Beklagten zu verurteilen, den Bescheid vom 17. August 1967 und den Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1968 zurückzunehmen und dem Kläger Versorgung nach dem BVG wegen der Unfallfolgen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Stützung seiner Auffassung, daß seit 1957 die sowjetischen Streitkräfte in der DDR keine Besatzungsmacht mehr seien, auf eine Stellungnahme des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, die der Senat eingeholt hat.

Dem schließt sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) als Vertreter der Beigeladenen an.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Der Beklagte hat zu Recht eine Zugunstenentscheidung nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (in der zur Zeit seiner Entscheidung geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 6. Mai 1976 -BGBl I, 1169-) abgelehnt. Er war auch nicht nach der Vorschrift des § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) -SGB X-, die für diesen Übergangsfall maßgebend ist (BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3), zur Rücknahme des ablehnenden Bescheides zugunsten des Klägers verpflichtet; denn die Versagung der Versorgung nach § 1 Abs 1 und 2 Buchstabe a iVm § 5 Abs 1 Buchstabe e und Abs 2 Buchstabe a BVG (idF der Bekanntmachung vom 20. Januar 1967 -BGBl I, 141, 180-/22. Januar 1982 -BGBl I, 21-) war nicht rechtswidrig.

Der Kläger hat keine Schädigung durch eine unmittelbare Kriegseinwirkung iS des § 1 Abs 2 Buchstabe a BVG erlitten, deren Folgen einen Versorgungsanspruch begründen. Als nachträgliche Auswirkung kriegerischer Vorgänge mit kriegseigentümlichem Gefahrenbereich, die nach § 5 Abs 1 Buchstabe e BVG als solche Kriegseinwirkung gilt, gilt nach § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG auch eine Schädigung "in Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg durch Angehörige ... oder durch Verkehrsmittel ... der Besatzungsmächte vor dem Tag ..., von dem an Leistungen nach anderen Vorschriften gewährt werden". Als eine solche Schädigung ist nicht die Verletzung zu werten, die der Kläger 1965 durch einen von einem Sowjetsoldaten schuldhaft herbeigeführten Verkehrsunfall im Gebiet der DDR erlitten hat. Dieser Soldat der "Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland" (VVDStRL Band 38, 1980, S 135) stand nicht im Dienst einer Besatzungsmacht.

Eine Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG muß im völkerrechtlichen Sinn mit Hilfe ihrer Streitkräfte das Gebiet eines besiegten Staates besetzt haben und dort tatsächlich die oberste Hoheitsgewalt ausüben (BSGE 45, 166, 168 f = SozR 3100 § 7 Nr 5; Art 42 der Anlage zum Internationalen Abkommen, betr Gesetze und Gebräuche im Landkrieg vom 18. Oktober 1907 -RGBl 1910 II, 107- Haager Landkriegsordnung -LKO-). Dieser allgemeine völkerrechtliche Begriff der Besatzungsherrschaft ist, ungeachtet der fraglichen Geltung der gesamten LKO in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl von Schmoller/Maier/Tobler, Handbuch des Besatzungsrechts, Band I, 1957, § 5, S 5 ff; Art 107 iVm 53 der Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945/17. Dezember 1963/20. Dezember 1965 -BGBl 1973 II, 430-), maßgebend für § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG. Das BVG bestimmt nicht ausdrücklich, ob für einen Versorgungsanspruch eine Besatzung im bezeichneten Sinn im Geltungsbereich des BVG oder sogar in ganz Deutschland zur Zeit einer Schädigung bestanden haben muß. Unter dieser Voraussetzung wäre eine Entschädigung des Klägers völlig außer Betracht. Näher liegt es indes, daß das Gebiet, in dem er verletzt wurde, 1965 noch "in Verbindung mit dem Zweiten Weltkrieg" iS des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG "besetzt" sein mußte. Das war entgegen der Ansicht des Klägers in jener Zeit, 20 Jahre nach Kriegsende, 16 Jahre nach der Schaffung oberster deutscher Staatsorgane und 10 Jahre nach der Zuerkennung staatlicher Souveränität, nicht mehr der Fall. Die sowjetischen Streitkräfte waren 1965 in Deutschland nicht als Besatzungstruppe iS der genannten Vorschrift, dh im Rahmen einer völkerrechtlichen Besetzung, stationiert.

Der Versorgungsanspruch nach dem BVG wegen eines Besatzungsschadens beruht - entsprechend dem Gesetzeszweck und dem Entschädigungsgrund (§ 5 Satz 1, Art II § 1 Nr 11 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - vom 11. Dezember 1975 -SGB I- BGBl I, 3015) - auf einem Sonderopfer, das jemand infolge der Besonderheiten der Besetzung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg erbracht hat. Eigentümlichkeiten dieser Besatzungsherrschaft, die durch Eingriffe in die Rechte der Deutschen weit über freiheitlich-rechtsstaatliche Grenzen hinaus gekennzeichnet war, ließen außerordentliche Gefahren für die Bevölkerung entstehen; deren Folgen gleicht die Allgemeinheit nach den Vorschriften des BVG aus (§§ 1, 5 Abs 1 Buchstabe e BVG). Diese Besonderheit mag für Schädigungen durch Angehörige einer Besatzungsmacht, insbesondere durch deren Verkehrsmittel, als eine Auswirkung des Krieges (§ 5 Abs 1 Buchstabe e iVm Abs 2 Buchstabe a BVG) nicht in jedem Fall bestanden zu haben brauchen. Dann muß aber, damit eine Sonderopferentschädigung gerechtfertigt ist, derjenige, der einen Deutschen geschädigt hat, zur Tatzeit eindeutig einer Besatzungsmacht im dargelegten Sinn angehört haben. Trotz zunehmender Normalisierung der Rechtslage in Deutschland darf die Besatzungsherrschaft noch nicht rechtlich und tatsächlich beendet worden sein. So war es hier aber nicht.

Die UdSSR hatte schon durch ihre Erklärung über ihre Beziehungen zur DDR vom 25. März 1954 (Europa-Archiv 1954, 6534; Sartorius II, Internationale Verträge und Europarecht, Fußnote 2 zu Nr 700 - Vertrag vom 20. September 1955 -) einseitig ihre "Besetzung" Deutschlands beendet; sie nahm demnach mit der DDR "die gleichen Beziehungen ... wie mit anderen souveränen Staaten" auf, gewährte der DDR die Freiheit, "nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten ... zu entscheiden" (Nr 1), und hob die "Überwachung der Tätigkeit der staatlichen Organe der DDR ..." auf (Nr 3). Souveränität eines Staates und Besatzungsherrschaft eines anderen über ihn schließen grundsätzlich einander aus (Zuleeg in: Azzola ua, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - Alternativkommentar, Band 1, 1984, S 147 f, Rz 50 -). Konsequenterweise setzte die UdSSR 1954 alle von ihren Besatzungsbehörden erlassenen Befehle und Anordnungen außer Kraft (Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft -Hg-, Staatsrecht der DDR, 1978, S 76).

Jene Rechtsänderung hat die UdSSR zweiseitig bindend durch den Vertrag über die Beziehungen der DDR und der UdSSR vom 20. September 1955 (Sartorius II, Nr 700; Bekanntmachung über die Ratifikation und das Inkrafttreten vom 1. November 1955 - DDR-GBl I 917 -) bekräftigt. Die Beziehungen der beiden Staaten sollen demnach "auf völliger Gleichberechtigung, gegenseitiger Achtung der Souveränität und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" beruhen (Art 1). Die auf dem Gebiet der DDR stationierten Truppen der Sowjetunion "verbleiben zeitweilig mit Zustimmung der Regierung der DDR" dort; in die inneren Angelegenheiten der DDR und in das gesellschafts-politische Leben des Landes werden sie sich nicht einmischen (Art 4; zu den Beziehungen zwischen den beiden Staaten ab 1954: Croan in: Jacobsen ua -Hg-, Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR, 2. Aufl 1980, S 347 ff, bes 353 ff). Die "volle Gleichberechtigung" und die "gegenseitige Achtung der staatlichen Souveränität" und der "Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten" sind in der anschließenden Zeit vor der 1965 verursachten Schädigung in Art 1 des Vertrages über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit zwischen der DDR und der UdSSR vom 12. Juni 1964 (Sartorius II, Nr 701; Gesetz über den Vertrag vom 24. September 1964 - DDR-GBl I 131 -; Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 30. Oktober 1964 - DDR-GBl I 137 -) bestätigt worden (Art 1). Die Souveränität der DDR soll "durch die zeitweilige Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf ihrem Territorium nicht beeinträchtigt" werden; "die sowjetischen Streitkräfte werden sich nicht in die inneren Angelegenheiten der DDR und in das gesellschaftliche Leben des Landes einmischen" (Art 1 des Abkommens zwischen der Regierung der DDR und der Regierung der UdSSR über Folgen, die mit der zeitweiligen Stationierung sowjetischer Streitkräfte auf dem Territorium der DDR zusammenhängen, vom 12. März 1957 - Verordnung über das Abkommen vom 11. April 1957 - DDR-GBl I 237 -; Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 9. Mai 1957 - DDR-GBl I 285 -). Die sowjetischen Truppen und ihre Familienangehörigen haben das in der DDR geltende Recht zu beachten (Art 3, 4 Abs 5, Art 5, 10, 11). Das ist mit der Stellung einer Besatzungsmacht nicht vereinbar.

Wenn, wie schon dargelegt, eine Besatzungsherrschaft durch den Grundsatz der Wirksamkeit gekennzeichnet wird (vgl auch Uhler in: Strupp/Schlochauer, Wörterbuch des Völkerrechts, 1. Band, 1960, S 195 ff), dann konnte sie nicht ohne eine Beendigung dieser Wirksamkeit beendet werden. Das ist durch den Vertrag vom 20. September 1955 geschehen. Sowjetische Streitkräfte sind seitdem nicht mehr als Organe einer Besatzungsmacht, sondern im Rahmen gemeinsamer militärischer Maßnahmen auf Grund des Warschauer Bündnissystems sozialistischer Staaten auf dem Gebiet der DDR mit deren Zustimmung stationiert (Art 5 des Vertrages über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand zwischen der Volksrepublik Albanien ..., der DDR ... und der UdSSR vom 14. Mai 1955 - Bekanntmachung über die Ratifikation vom 21. Mai 1955 -DDR-GBl I 381-; Bekanntmachung über das Inkrafttreten vom 4. Juni 1955 -DDR-GBl I 392- -). In diesem Vertrag werden die Grundsätze der gegenseitigen Achtung, Unabhängigkeit und Souveränität sowie der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten betont (Art 8).

Übereinstimmend mit den Grundsätzen einer Truppenentsendung ins Ausland außerhalb einer Besetzung iS des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG, hat sich die UdSSR im Vertrag vom 20. September 1955 bereit erklärt, den materiellen Schaden, der "... Bürgern der DDR ... durch Handlungen ... sowjetischer Truppeneinheiten oder der ihnen angehörenden Personen ... zugefügt werden sollte, zu ersetzen" (Art 11 Satz 1 des Abkommens vom 12. März 1957). Damit wurde eine Vorschrift geschaffen, die sogar während einer fortbestehenden Besatzung im bezeichneten Sinn einen Versorgungsanspruch nach dem BVG ausschließt.

Die vorgenannten Bestimmungen des Rechts der DDR sind vom Revisionsgericht auch ergänzend zu denjenigen, auf denen das Berufungsurteil beruht, im Rahmen der Auslegung und Anwendung der BVG-Vorschrift (§ 162 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) zu berücksichtigen (Stein/Jonas/Grunsky, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl 1977, § 549, Rz 62 iVm 61 und 67; BSGE 42, 172, 174 = SozR 3850 § 51 Nr 2; SozR 3100 § 44 Nr 3).

Ob 1965 sowjetische Truppen als Streitkräfte einer Besatzungsmacht iS des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG in der DDR stationiert waren, bestimmt sich nach der damaligen Rechtslage. Allerdings ist deren Beurteilung im Geltungsbereich des BVG aus der Sicht seit 1972/73 versorgungsrechtlich maßgebend, wie sie im folgenden dargelegt wird, zumal der Kläger für eine frühere Zeit keine Versorgung mehr beanspruchen könnte (§ 44 Abs 4, Art II § 40 Abs 1 und 2 Satz 1 und 2 SGB X).

Dafür ist folgendes ausschlaggebend: Die Bundesrepublik Deutschland hatte schon 1972 die beiderseitige völkerrechtliche Sicherung des 1954/55 herbeigeführten Endes der Besatzung rechtlich anerkannt. Wenn sie die DDR auch nicht im üblichen völkerrechtlichen Sinn als fremden Staat anerkannt, so respektiert sie doch deren Rechtsnatur als Staat und Völkerrechtssubjekt mit der uneingeschränkten "Unabhängigkeit und Selbständigkeit ... in ... inneren und äußeren Angelegenheiten" (Art 6 Satz 2, Art 1 und 2 des Grundlagenvertrages vom 21. Dezember 1972 - Gesetz über diesen Vertrag vom 6. Juni 1973 - BGBl II 421 -; BVerfGE 36, 1, 22 f, 26 ff; Schulz in: Drei Jahrzehnte Außenpolitik der DDR, S 201, 203 ff). Die Bundesrepublik stimmt mit der DDR "darin überein, daß durch diesen Vertrag die von ihnen" (also auch von der DDR) "früher abgeschlossenen oder sie betreffenden zweiseitigen und mehrseitigen internationalen Verträge und Vereinbarungen nicht berührt werden" (Art 9 des Grundlagenvertrages; dazu BVerfGE 36, 21 f; Blumenwitz in: Festschrift für Friedrich Berber, 1973, S 83 ff, bes 104 ff).

Allein diese zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen bestimmen die Auslegung des versorgungsrechtlichen Begriffs "Besatzungsmacht" mit dem Ergebnis, daß Fälle wie der gegenwärtige nicht unter § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG fallen. Dies wird nicht durch das politische und geschichtliche Revisionsvorbringen entkräftet.

Wenn die völkerrechtlichen Erklärungen der DDR und der UdSSR in den genannten Verträgen und Abkommen nach Wortlaut und Willen der Vertragschließenden auszulegen sind (BSGE 39, 284, 287 = SozR 2200 § 1303 Nr 3; Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, I. Bd, 2. Aufl 1975, S 447 ff), mag das Vertragswerk in die übrigen Beziehungen zwischen den beiden Staaten einzuordnen sein. Dafür ist die Auffassung von "sozialistischem Internationalismus" maßgebend, zu dem sich auch die DDR bekennt und der ihre Souveränität einschränkt (Kröger, Staat und Recht 1969, S 1583 ff; Sorgenicht ua -Hg-, Verfassung der DDR, Berlin-Ost 1969, Bd I, S 291 ff; Schulz, aaO, S 201, 206 ff; 220 ff; § 1 Abs 3 des Gesetzes vom 20. September 1961 -DDR-GBl I 175; Art 6 Abs 2 der Verfassung vom 6. April 1968 -DDR-GBl I 199; § 10 des Gesetzes vom 26. März 1968 -DDR-GBl I 192; Gesetz vom 7. Oktober 1974 -DDR-GBl I 435). In diesem Rahmen wird die Vormachtstellung der UdSSR anerkannt (Sorgenicht, aaO, S 296, 297; Staatsrecht der DDR, S 88 f, 90, 146). Deren etwaige Eingriffe in die innere Ordnung der Mitglieder des Warschauer Pakts würden aber die DDR nicht anders als die übrigen betreffen, also nicht auf Grund einer Besatzungsherrschaft.

Das Eingriffsrecht der sowjetischen Streitkräfte (Art 18 des Abkommens vom 12. März 1957), das in diesen Zusammenhang gehören mag, beruht im übrigen auf den Vorbehalten der ehemaligen Besatzungsmächte, und zwar der östlichen wie der westlichen, auf Grund der Verantwortung für Deutschland über die Grenzen der einzelnen früheren Besatzungszonen hinaus (Nrn 2 und 3 der Erklärung der Sowjetregierung vom 25. März 1954; Präambel zum Vertrag vom 20. September 1955; Art 2 Abs 2 und Art 9 des Vertrages vom 12. Juni 1964; Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 25. Januar 1955 über die Beendigung des Kriegszustandes in: von Siegler -Hg-, Dokumentation zur Deutschlandfrage, Hauptband I, 2. Aufl 1970, S 280; vgl dazu Bernhardt, VVDStRL Bd 38, 1980, S 7, 19 f; Zieger, aaO, S 136; Blumenwitz ua, in: Fünf Jahre Grundvertragsurteil des Bundesverfassungsgerichts, 1979, S 7, 18, 71 ff, 85 ff, 90 ff, 114 ff, 121 ff, 129 ff, 140 ff, 162 ff, 301 ff, 314, 325 ff). Dieser Vorbehalt widerspricht nicht der Aufhebung der Besatzungsherrschaft iS des § 5 Abs 2 Buchstabe a BVG.

In Übereinstimmung mit dieser rechtlichen Beurteilung hält der BMA seine im Schreiben vom 7. März 1962 geäußerte Rechtsauffassung (in: Schönleiter, Handbuch der Bundesversorgung, 2. Aufl 1984, zu § 5 BVG Nr 32 S 19 f), die derjenigen des Klägers entsprach, nicht mehr aufrecht.

Mithin ist die Revision des Klägers nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 94

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Kranken- und Pflegeversicherungs Office enthalten. Sie wollen mehr?